"Der Engel mit den dunklen Flügeln" - Elizabeth Knox

  • Orgininaltitel: "The vintner's luck"


    Zum Buch


    Burgund, Mittsommer 1808. Ein junger Winzer steht im Hof des väterlichen Gutes und ist verzweifelt. Nicht wegen der Napoleonischen Kriege, die anderswo stattfinden, sondern weil seine Heiratspläne zu scheitern drohen. Nun will Sobran Jodeau unter dem mondhellen Sternenzelt seinen Kummer im Wein ertränken. Da fühlt er, dass er nicht allein ist. Als käme eine der dunklen Statuen vom nahen Kirchhof auf ihn zu, steht plötzlich ein leibhaftiger Engel neben ihm. Dieser Engel mit Namen Xas trinkt einen Schluck Wein und hört sich Sobrans Sorgen an. Er schlägt vor, sich regelmäßig zu treffen und wird sein persönlicher Schutzgeist. Sobran bekommt die Frau, die er will, wird bald danach glücklicher Vater, und auch das Weingut liefert zusehends bessere Trauben. Jahr um Jahr, immer in der gleichen Nacht, stellt Sobran dem Engel viele Fragen über das Jenseits, und es beschleicht ihn der Verdacht, dass Xas ein dunkles Geheimnis vor ihm verbirgt. Ihre Beziehung wird immer inniger, sogar intim, bis Sobran mit seiner unbändigen Neugier die ganze Wahrheit entdeckt und daran fast zerbricht.


    Über die Autorin


    Elizabeth Knox wurde 1959 in Wellington, Neuseeland, geboren und hat an der Victoria University englische Literatur studiert. Sie publizierte mehrere Romane und Erzählungen, war 1997 Writer in Residence an der Victoria University und lebt heute mit ihrer Familie als freie Schriftstellerin in Wellington.


    Meine Meinung


    Ich weiss nicht genau, in welche Kategorie das Buch gehört. Es ist eine Art Mischung aus historischem Roman und theologischer Fantasy.


    Das Buch hat 55 Kapitel für die 55 Jahre von dem Zeitpunkt an dem Sobran Xas das erste Mal sieht bis zu seinem Tod. Jedes Kapitel ist mit der Jahreszahl und einem französischen Ausdruck aus der Winzersprache überschreiben, der erklärt wird und wahrscheinlich irgendwie symbolisch das Thema des jeweiligen Kapitels wiedergibt. Da das Buch nur 240 Seiten hat, kann man sich vorstellen, dass die Kapitel nicht wirklich lang sind, das kürzeste besteht nur aus vier Worten. Andere gehen wieder über viele Seiten. Man erfährt die Geschichte also nur episodenartig und das was ausgelassen wird, ist manchmal genau das Wichtige.


    So richtig verstanden habe ich das Buch nicht. Xas ist Teil eines Pakts zwischen Luzifer und Gott. "Xas shall go freely. God shall have his pains and Lucifer shall have his pleasures." Es geht wohl irgendwo um Willensfreiheit und ihre Konsequenzen? Und um Moral und Sünde und gefallene Engel. Und um die Frage der Zeit. Wie fühlen sich fünfundfünfzig Jahre für einen Engel an, der tausend Jahre damit verbringt, Wasser zu tragen, um einen Garten in der Hölle anzulegen? Und wie fühlt es sich an, immer zurückzubleiben?


    Ich muss sagen, dass mich der Engel weit mehr fasziniert hat als Sobrans Probleme mit seiner ständig wachsenden Familie, die ich irgendwann kaum noch auseinandersortieren könnte. Und am Ende bin ich irgendwo ausgestiegen. Die theologischen Fragen waren nicht so mein Ding und mir fehlen auch die Vorkenntnisse. Mich würde interessieren, wie ein Theologe das Buch wahrnehmen würde. Ich bin aber trotzdem froh, das Buch gelesen zu haben, es war irgendwie befremdlich, aber auch faszinierend. Die Sprache ist sehr poetisch und nicht ganz einfach und das Buch ist ziemlich traurig.


    Die Geschichte ist dieses Jahr verfilmt worden und kommt 2008 in die Kinos.
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  • Zitat

    Original von Pelican
    Klingt sehr eigenartig. Ob wir mal Churchill anstiften?


    Hatte ich auch schon überlegt. :lache Meine Kenntnisse von Lucifer und gefallenen Engels beschränken sich nämlich auf das, was ich mal für "Lycidas" recherchiert habe, daher weiss ich wahrscheinlich einen Großteil der Symbolik gar nicht ausreichend zu würdigen, wenn sie nicht sowieso total an mir vorbei gegangen ist. Ausserdem würde ich zu gerne wissen, wie sich das Buch mit den Augen eines Theologen liest. :wow

  • "The Vintner's Luck" fand ich sehr schön zu lesen, und die Geschichte von Xas und Sobran über so viele Jahre hinweg faszinierend.


    Da es aber sicher schon fünf Jahre her ist, seitdem ich das Buch gelesen habe, kann ich nicht mehr sagen, ob für mich irgendwelche Fragen offen geblieben sind.


    Die Geschichte beinhaltet einen gefallenen Engel und Fragen zu seinem Verhältnis zu Gott, die Geschichte würde ich daher nur bedingt als Fantasy bezeichnen. Engel sind für mich trotzdem Element einer Fantasy Geschichte, auf jeden Fall solche Engel, die wunderbar weiße flauschig gefiederte Flügel haben / gehabt haben, bevor sie aus dem Himmel verstoßen wurden sind.


    Dass das Buch verfilmt wird, wusste ich noch nicht. Bei der Gelegenheit wird das Buch sicher neu herausgegeben.

  • Zitat

    Original von MaryRead
    Der Link geht offenbar nur für Eingeweihte...
    aber bei Amazon.com kann man auch testlesen:
    klick


    Das komische war, dass ich ja drin war und den Text gesehen habe und nach dem Verlinken ging es plötzlich nicht mehr. Aber ok, wenn es bei Amazon.com geht...

  • Zitat

    Original von Delphin
    Zum Film gibt es anscheinend noch nicht viele Infos: klick


    Ich bin aber schon mal beruhigt, dass es keine Hollywood Produktion zu sein scheint, das wäre sicher schiefgegangen. Die Hauptdarsteller sind ein Franzose und ein Belgier. Gaspard Ulliel ist ein ganz Hübscher, (ich kenne ihn aus "Mathilde - Eine große Liebe"), ist er dann der Engel? :lache

  • Es ist nicht leicht, zu diesem Buch etwas zu schreiben. Was hier versucht wird, ist, einen emotionalen Kosmos, der gemeinhin unter 'Liebe' bekannt wird, zu kartographieren. Das schließt, - ich bin versucht zu sagen 'naturgemäß, aber was ist an einem Engel 'Natur'?? - den Himmel, die Hölle, die Erde, Gott, Luzifer, Männer und Frauen mit ein. Und Engel, die klassischen Verbindungsglieder zwischen den Welten.


    Auf den ersten Blick läßt sich die Handlung leicht erzählen. Ein junger Mann in Liebesnöten trifft in der Mittsommernacht 1808 in einem Weinberg in Burgund (in der Nähe von Châlon-sur-Saône) einen Engel. Die beiden höchst unterschiedlichen Lebewesen sind neugierig aufeinander und beschließen, jedes Jahr in dieser Nacht zusammenzukommen.
    Von hier aus entfaltet sich die Lebensgeschichte des Weinbauern Sobran, einiges der Geschichte des Engels Xas, und ihre gemeinsame Geschichte. Der Personenkreis erweitert sich, um Familienmitglieder Sobrans, um 'Angehörige' von Xas.
    Schritt für Schritt werden Formen von Liebe vorgestellt, die, und das ist einer der spannendsten Aspekte an diesem Roman, niemals selbstlos ist. Sie ist immer auch Begehren, Begierde, Gier. Davon sind auch Gott und Luzifer nicht ausgenommen. Eine faszinierende Setzung.
    Daß Liebe auch Wahn beinhaltet und zerstören, tödlich werden kann, ist miteingeschlossen.
    Auch Engel sind nicht durchgängig positiv besetzt, es gibt strafende Engel, Würgeengel, Todesengel. Knox spielt mit all diesen Bildern gekonnt.


    Die Sprache ist poetisch und präzis gleichermaßen. Sie ist, sieht man genau hin, erstaunlich sparsam, obwohl sie wuchern scheint. Ihre Farbigkeit gewinnt sie aber
    eher daraus, daß Wörter und Ausdrücke mehrere, auch unterscheidliche Bedeutungen gleichzeitg entwickeln können, als durch die Verwendung einer Vielzahl von Wörtern.
    Tatsächlich kommt es auf jedes einzelne Wort an bei diesem Text, Änderungen im Handlungsverlauf können mitten in einem einzigen Satz signalisiert werden.
    Beim Lesen sehr gefordert ist man auch dadurch, daß ein Engel als Protagonist von vorneherein ein gewaltiges Eigengewicht entwickelt. Dagegen muß man ankämpfen, denn jede einzelne Person in diesem Buch ist wichtig, für den Verlauf der Handlung wie für das Verständnis des Ganzen.
    Xas bleibt am Ende tatsächlich am wenigsten 'erklärt'.


    Abgesehen von Hauptthema 'Begehren' geht es um sehen/erkennen. Obwohl es ein geschriebener Text ist, hatte ich den Eindruck vor einer Mischung aus einer spätmittelalterlichen Tapisserie, einem barocken Stilleben und den Impressionisten zu stehen. Daß Ferngläser vorkommen und Lupen, Periskope und am Ende auch noch eine Filmkamera ist kein Zufall.
    Ich habe die Autorin stark im Verdacht, daß sie nicht nur eine Menge von Theologie, Dämonologie, vom Schreiben und von Menschen versteht, sondern auch von Malerei.
    Daß sie auch noch lässig 200 Jahre durchmißt, von der franzäsischen revolution bis heute, auf diesen wenigen Seiten, versteht sich von selbst.


    Bloß beim Wein habe ich ihr nicht ganz getraut, aber das mag an mir liegen. Die Überschriften der Kapitel entsprechen jeweils einem Begriff aus dem Weinbau, genauer gesagt, eines Zustands der Substanz (Substanzen sind wesentlich in diesem Buch!), aus der dann Wein wird. Der Zusammenhang zwischen Überschrift und Inhalt hat sich mir aber nicht in jedem Fall erschlossen. Sicher sind mir da Feinheiten der Ausdrucksweise entgangen, ab und zu kam es mir aber auch zu bedeutungsüberlastet vor.
    Im Zweifelsfall aber hat immer die Autorin recht!


    Dafür, daß man dieses Buch langsam und sorgfältig liest, sorgt überdies eine stilistische Eigenheit. Die Autorin wechselt immer wieder abrupt von der direkten in die indirekte Rede, vom Dialog in den Bericht. Das hat mich immer wieder gestört, aber auch aufgestört und wieder sorgfältiger lesen lassen, wenn ich zu sehr von der Frage 'kriegen sie sich nun oder nicht?' abgelenkt war.
    Knox läßt eine beim Lesen nicht gemütlich zurücksinken. Sie will Aufmerksamkeit und die weiß sie sich zu verschaffen.


    Natürlich ist der Roman auch ein sehr, sehr schöner Liebesroman. Traurig, tragisch, weil nicht vermeidbar.


    In einem letzten Kapitel, einer Art Epilog, das 1997 spielt, werden dann die letzten losen Fäden verknüpft. Auch die technisch-stilistischen 'Ungereimtheiten', die immer wieder auftretenden auffälligen Perspektivwechsel zwischen personal und nahezu auktorial/allwissend, lösen sich hier auf. Ein Kniff, der mich überzeugt hat, einer von denen, die mich wünschen lassen, ich wäre selbst darauf gekommen.


    Die letzten drei Sätze gehören für mich zu den großen Sätzen der Weltliteratur über das Lieben. Nicht über die Liebe, nota bene. Sondern über das Tun, die Art, wie man sich durch diesen Kosmos bewegt, dessen Landkarte uns die Autorin gezeigt hat.
    Seither bewegt mich übrigens die Frage, ob auch dieser Kosmos in den Falten einer Weltkarte verborgen liegt, so wie Himmel und Hölle. Noch einer der berückenden Gedanken von Elizabeth Knox.



    Dankeschön, Delphin!
    :knuddel1


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus