OT: The Grand Sophy 1950
Wann immer ich ein Buch von Georgette Heyer aufschlage - und das passiert Dutzende von Malen im Jahr - frage ich mich, warum ich diesen Romanen so rettungslos verfallen bin.
Der Einstieg ist verwirrend, die Sprache katastrophal, nichts als Satzungetüme voller hakeliger Partizipialkonstruktionen und veralteter Ausdrücke. Die handelnden Personen entstammen dem exklusiven Kreis des englischen Hochadels und haben folgerichtig nur die Probleme von Leuten, die keine Probleme haben. Es sind reine Liebesromane und sie spielen noch dazu in einer Zeit, die, man wagt es kaum hinzuschreiben, seit gut 170 Jahren Staub ist.
Jedesmal schüttle ich über mich selber den Kopf auf den ersten ein, zwei Seiten.
Spätestens auf Seite drei aber haben sie mich im Griff, die Autorin, der Plot, die Sprache, die auftretenden Personen, vom Spülmädchen bis zum Herzog. Ich bin hingerissen vom Wortwitz, den ironischen Beschreibungen, den pointensprühenden Dialogen, den running gags, der schieren Lebendigkeit, die aus jedem Satz quillt. Nichts ist mehr wichtiger als die Frage, ob der jungen Dame das Hütchen à l'Angoulême steht, der Herr à Titus frisiert ist, das Halstuch zum Wasserfall oder zum Mathematischen gebunden hat und wie die Herzoginwitwe auf die plötzliche Absicht der Eheschließung ihres geliebten Sprößlings reagiert. Im Geist rühre ich schon Hirschhornsalz in ein Glas Wasser und träufle Lavendelessenz aufs Spitzentaschentuch.
Letzteres ist in diesem Roman hier, der so sehr zu meinen Favoriten zählt, daß ich ihn im Lauf der Jahre bereits zweimal ersetzen mußte, so zerlesen waren die Exemplare, nicht der Fall. Miss Sophia Stanton-Lacy, Titelgeberin und Hauptfigur, braucht kein Hirschhornsalz und hätte überdies für die, die sich so schwächlich zeigen, eher einen bissigen Kommentar parat.
Sophia, die alle, die sie kennengelernt haben, aus gutem Grund ‚Grand Sophy’ nennen, ist die Tochter von Sir Horace, einem Diplomaten. Ihre Kindheit hat sie mit ihm auf dem Kontinent verbracht, in den Zentren der politischen Macht oder, wenn diese etwas schwächelte, im Schutz des englischen Heeres. Doch nun muß sich Sir Horace auf Dienstreise nach Südamerika begeben, wohin er seine liebe Tochter nicht mitnehmen kann. Nichts ist natürlicher, als Sophy für die Dauer seiner Reise in die Obhut seiner ältesten Schwester in London zu geben, Lady Elizabeth Ombersley.
Die Ombersleys allerdings erleben gerade eine Zeit schwerer Prüfungen. Der Familienvater ist ein munterer und dem leichten Leben zugeneigter Herr, den Geldfragen nicht weiter kümmern. Sein ältester Sohn Charles neigt zum anderen Extrem, er achtet auf strikte Sparsamkeit und ist noch dazu mit einer vorbildlichen jungen Dame verlobt, die sich sehr um Moral und Anstand der Familie kümmert. (Sie klingt entsetzlich fad, sagt Sir Horace, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt). Charles’ nächstjüngere Schwester, die wunderschöne Cecilia, ist gleichfalls verlobt, mit einem soliden, etwas älteren Mann, der aber das Pech hatte, kurz nach der Verlobung an - Mumps zu erkranken. Ausgerechnet in dieser Zeit taucht ein phantastisch aussehender junger Mann auf, der Cecilia anschmachtet, zwar völlig weltfremd ist, aber ein Dichter! Wie kann Cecilia, durch den Mumps tief gekränkt, widerstehen? Dann ist da Vetter Hubert, der ein düsteres Geheimnis mit sich herumträgt und schließlich noch drei jüngere Geschwister aus der Kinderstube, die, so meint Charles’ vorbildliche Verlobte Eugenia, dringend einer festen Hand bedürfen.
In diesen bedrückten Haushalt nun kommt Sophy, mitsamt Zofe, Reitpferd, Windhund, Papagei und einem kleinen Affen. Sophy ist alles andere als hübsch, noch dazu ist sie das, was man früher eine Hopfenstange genannt hat, sie ist 1,75 m groß, in Strümpfen. Sophy ist gescheit und selbstständig, sie hat Rückgrat. Und sie kann es einfach nicht ertragen, wenn die Menschen um sie herum unglücklich sind. Was Sophy darüberhinaus nicht ertragen kann, ist, untätig zu bleiben, wenn sie meint, daß geholfen werden kann.
Weiß diese Familie eigentlich so fragt Sir Vincent Sophy einmal, ‚daß sie einen Feuerbrand in ihre Mitte aufgenommen hat?
Sophy protestiert, sie ist doch kein Feuerbrand!
Sir Vincent gibt ihr recht. Sie sind wie eine von Whinyates Raketen. Man weiß nie, wann Sie losgehen.
So fängt mit ihrem Auftritt das Liebeskarussell an, sich zu drehen. Man nehme noch eine kleine Anzahl hochstehender Offiziere aus dem englischen Heer dazu, eine spanische Marquesa, sehr reich und eigentlich - eigentlich - mit Sir Horace verlobt sowie einen äußerst ernsthaften und äußerst hypochondrischen jungen Lord und fertig ist alles, was zu einer klassischen Komödie von hohem Rang gehört.
Wie Sophy Wohlerzogenheit und Freizügigkeit zu mischen versteht, wie sie Charles ‚auflockert’, Cecilias Liebesangelegenheiten entflicht, Hubert beisteht (mit einer Pistole!), den wunderbar öden Lord Bromford abwiegelt, Eugenia erzieht und sich auch noch den Mann herbeiwinkt, den sie sich wünscht, ist dramaturgische Kunst auf höchster Ebene. Intelligent ist es obendrein, denn Sophy gelingt nicht alles. Auch andere spinnen ihre kleinen Intrigen. Marquesas sind nicht zu unterschätzen, selbst wenn sie den halben Tag auf dem Sofa liegen und sich mit Süßigkeiten vollstopfen.
Die Charakterisierungen sind wunderbar rund. Wenn man genau hinschaut, ist vieles nur skizziert. Die Autorin spielt mit der Phantasie der LeserInnen. Zwei, drei Sätze zur Person, ein wenig zum Aussehen, ein wenig zur Kleidung und schon stehen sie vor einem. Die zarte blondlockige Cecilia, die prüde Eugenia, die Marquesa, eine von Heyer besten Schöpfungen unter ihren Nebenfiguren. (Sie war eine üppige Brünette, außerordentlich schön, mit großen braunen Augen und milchweißen Wangen ...)
Charles, der streng dreinschaut, aber soviel lieber lachen möchte, der ehrenwerte, aber zugleich durchtriebene Sir Vincent, der herrlich weltfremde Dichter Augustus (Ein Kopf wie auf einer römischen Münze, klagte Charlbury), der natürlich im unpassendesten Moment ein Gedicht verfertigen muß.
Das gilt auch für weitere Nebenfiguren wie Sophys Zofe, Cecilias jüngere Schwestern, deren Erzieherin oder Sir Horace. Und den armen Lord Charlbury, den der Mumps aus dem Feld schlug. Bis Sophy kam.
Selbst die schreckliche Sprache wirkt. Die Sätze entwickeln eine regelrechte eigene Melodik, die im Kopf bleibt. Keiner hat je so gesprochen oder würde je so sprechen, man kann die Sätze nicht einmal laut lesen, ohne zu stolpern. Dennoch haben sie ihren Rhythmus und der funktioniert auf Dauer.
Ein tragender Kniff der Autorin ist es, durchgängig ironisch zu sein. Als Leserin ist man in der Handlung, ganz dicht bei den Personen und hat doch den Abstand. Ehe man sich noch sagen kann: Ach, ist das albern, weiß man schon, daß man doch von außen darauf blickt. Darüber erhaben ist. Und man merkt überhaupt nicht, wie tief man schon drinsteckt, daß man mit den Personen auf der Bühne steht, während man vom Rang aus gleichzeitig begeistert applaudiert.
Am besten wirkt der Appell an den ‚gesunden Menschenverstand’, die Portion an Lebensweisheit und Einsichten, die die Autorin wohldosiert austeilt. Wären alle so vernünftig-liebend und liebend-vernünftig, dann wäre die Welt wohl in Ordnung. Das ist so überzeugend vorgebracht, daß man völlig vergessen kann, daß auch gesunder menschenverstand alles andere als ein Allheilmittel ist.
Sex findet sich nur angedeutet, Küsse müssen genügen und auch sie sind wohldosiert. Dennoch ist ein Geheimnis von Heyer das, daß es de facto um weibliches Begehren geht. Die Ladies wählen ihren künftigen Eheherrn und sobald ihre Entscheidung gefallen ist, gibt es nichts mehr, was ihn retten kann. Weiblich-sanft, aber zielsicher wird die Beute zum Traualtar verführt. Dabei sind so ziemlich alle Mittel erlaubt, solange sie dem weiblichen Charme keinen Abbruch tun. Mitunter gibt es kräftigen Wirbel, aber der Rocksaum wird nie weiter als knöchelhoch geweht.
Vorgeblich unkonventionell kommen die Konventionen des Genres voll zum Tragen.
Beispielhaft ist Heyers Umgang mit den historischen Hintergrundinformationen. Da wird nichts wortreich erklärt. Die Personen unterhalten sich, als wären die Dinge, die sie erwähnen, normal. Sie sind es ja auch. Für die Menschen aus der Zeit.
Whinyates Raketen? Heute weiß ich, daß Whinyate ein englischer Artillerie-Offizier war und daß seine Raketen wegen ihre Ungenauigkeit im englischen Heer berüchtigt waren. Als ich den Satz vor über dreißig Jahren zum ersten Mal las, wußte ich das nicht. Das war egal, denn der Sinn hinter Sir Vincents Beschreibung war klar und eindeutig.
Muß ich wissen, was genau ein Phaeton ist, wenn Sophy sich eines kaufen will und Charles es verbietet, weil es sich für eine Dame nicht schickt? Muß ich nicht. Es reicht, wenn ich erfahre, daß es ein kleiner Wagen ist, den man selber lenkte und sich Sophy noch dazu einen auswählt, dessen Wagenkorb hoch über den Vorderrädern aufgehängt ist. Einen echten Sportwagen, also. Das erfahre ich beim Wagenkauf, im Gespräch zwischen Sophy, Hubert, Cecilia und - was für eine Idee - dem schönen Poeten.
Zur Unterstützung liefert mir die Autorin noch eine funkelnde Szene davon, was passiert, als Charles Sophy zum erstenmal mit ihrem schicken Wägelchen durch den Hydepark kutschieren sieht.
Natürlich habe ich es ihr rundum verboten. Aber sehen würde ich doch gern einmal, wie sie einen solchen Wagen kutschiert, gesteht Charles bei einer Ausfahrt gerade seinem besten Freund.
Ich glaube, alter Junge, dieses Vergnügen wirst du gleich haben, sagte Felix, der den Fahrweg entlangsah.
Es wird ein Vergnügen, für die LeserInnen. Das ist eine Art von Schwerelosigkeit. Heyer eben.
Die Geschichte hat Tempo und Witz. Die Autorin läßt einem wenig Atempausen. Schon auf der nächsten Seite zeigt sie uns eine neue Facette der immergleichen Liebesgeschichte. Das hält sie bis zum Ende durch. Sie hat die Fäden in der Hand bis zum letzten Wort. Die ‚Drei Ehen’ des deutschen Titels sind letztlich nicht so leicht zusammenzupuzzeln. Selbst die letzten dreißig Seiten enthalten noch Überraschendes.
Im Buch ist es Sophy, die die Fäden in der Hand hält, die meisten jedenfalls.
"Was willst du in Lacy Manor eigentlich tun?" fragte Sir Horace und betrachtete ihn ziemlich amüsiert.
"Sophy den Hals umdrehen", erklärte Charles wütend.
"Dazu brauchst du meine Hilfe doch nicht, mein lieber Junge", sagte Sir Horace und setzte sich bequemer im Sessel zurecht.
Damit ist die letzte Runde eingeläutet, die keine Wünsche mehr offen läßt. Wenn ich recht gezählt habe, sind es mehr als drei Ehen. Aber das wäre typisch Sophy. Sie findet es nicht richtig, wenn Menschen alleine sind.
Ach so, warum ich Romane von Georgette Heyer lese? Es muß Liebe sein.