Engelsblut, der erste historische Roman von Julia Kröhn, ist harte Lektüre, thematisch, sprachlich, denkerisch.
Die Geschichte spielt im Österreich des 19. Jahrhunderts. Der Kunstkritiker Moritz Schlossberg ist entschlossen, das Geheimnis zu lüften, das sich in den letzten zwanzig Jahren um die Bilder und die Person des Malers Samuel Alt gewoben hat. Ein einziges Gemälde des Malers soll es überhaupt noch geben. Tatsächlich gelingt es Schlossberg, eine Frau aufzuspüren, Lena, die Samuel gekannt und auf dem größten Teil seines Lebenswegs begleitet hat. Er verbringt zwölf Tage bei ihr und im Verlauf dieser Tage erfährt er Samuels Lebensgeschichte. Die Treffen zwischen Lena und Schlossberg bilden die Rahmenhandlung, die Ereignisse aus dem Leben Samuels die eigentliche Handlung des Romans.
Gezeugt in einer gewalttätigen inzestuösen Verbindung seiner sehr jungen Mutter und ihres Vormunds-Onkels, eines Domherrn, wächst Samuel nach der Zwangsverheiratung des Mädchens an einen Grafen als gräflicher Bastard auf. Sein Talent zum Malen wird früh entdeckt, ruft aber nur Schrecken hervor, da er in seinen Porträts die Menschen seiner Umwelt nur in ihren schwächsten und abstoßendsten Momenten zeigt. Der Graf verbietet ihm das Malen, seine Mutter dagegen unterstützt ihn und stellt einen höchst skurrilen Lehrer ein, der Samuel beibringt, wie man Farben mischt und welche Geheimnisse in der Farbe verborgen sind. Die einzige Farbe aber, die Samuel über seinen Lehrer heben kann, ist die Farbe von Blut. Diese Farbe herzustellen, wird zur Besessenheit Samuels.
Eine weitere Besessenheit entwickelt er in der Themenwahl. Er, der geboren ist, das Abgründige und Häßliche wiederzugeben, will nur das wahrhaft Schöne malen. So beschließt er, nie mehr Menschen zu porträtieren, sondern nur noch Engel zu malen und zwar in der wichtigsten Farbe bzw. mit dem wichtigsten Grundstoff: menschliches Blut. Er erreicht sein Ziel.
Auf seinem schwierigen Weg wird er von drei Personen begleitet, seinem Vetter Andreas, ein weicher Charakter, homosexuell, für den Samuel das Gute und Schöne und vor allem die Freiheit bedeutet. Lena, die armselige Magd, die sprichwörtlich im Dreck aufgewachsen ist und die von Samuel ebenso besessen ist, wie dieser von seiner Malerei. Und schließlich dem Kunsthändler, Simon Grothusen, der an Samuel zunächst nur verdienen will, ihm dann aber ebenso verfällt, wie die beiden anderen.
Szenarium, Charaktere und Handlung werden in den düstersten Farben gemalt. Es gibt nichts als Gemeinheit, Niedrigkeit, den ganzen Ekel des Lebens. Es wird geschrien, gekeift, gefaucht, geplärrt, man wälzt sich in Mist und Blut und Körpersäften. Die Personen begehren sich, verkrallen sich ineinander, stoßen sich ab und fort, ohne sich je trennen zu können. es ist dämonisch, infernalisch, abstoßend.
Geschrieben ist das Ganze in einer bewußt altertümelnden, regelrecht archaisierenden Sprache, die strikt durchgehalten wird und auch vor Schöpfungen wie z.B. ‚Trocknis’ für Trockenheit nicht zurückschreckt.
Die Mittel der Darstellung wie die Wahl der Sprache sind sicher mutig, legen dem Ganzen aber auch Fesseln an. Die Geschichte verliert an Lebendigkeit, je mehr sie fortschreitet. Das Ganze erinnert bald an die schlimmste Auswüchse der deutschsprachigen Bühnen vor ca. 40 Jahren, als da vorne jeder Dialog nur noch herausgebrüllt wurde. Die Bedeutung der Worte, die Nuancen und schließlich die Atmosphäre gingen verloren. So ergeht es einem auch mit diesem Roman. Der kleine Voyeur in jedem von uns, der durch die geschilderten Ekelhaftigkeiten unzweifelhaft geweckt wird, wird bald müde und wendet sich schließlich ab.
Mit jeder neuen wilden Szene, jeder weiteren Widerwärtigkeit verliert die Erzählung an Glaubwürdigkeit. Das stets übermäßig Drastische wird eintönig, die Personen verlieren ihre Konturen.
Ab dem zweiten Teil fiel mir auf, daß es mir allmählich einerlei war, wer gerade mit wem um Samuel, das Objekt der Begierde, rang, schlug, trat. Oder wen Samuel gerade beschimpfte und warum die Sache mit den Engeln eigentlich so wichtig sein soll.
Der Text wurde trocken, starr, da vibrierte nichts mehr, die Worte wurden bloße Wörter, stinken, grindig, Schleim, Blut, und noch einmal, was soll’s.
Durchsetzt ist die Geschichte mit jeder Menge christlicher Symbolik, dem Abscheu vor der Körperlichkeit und der Verklärung von Blut. Samuel ist eine verdrehte Mischung aus Heilsbringer - Lena heult ihm die Schuhe naß bei ihrer ersten Begegnung (Fußwaschung, um nur ein Beispiel zu nennen, es gibt Dutzende) - und Dämon mit Vampir-Touch. Die Leidenschaft, die er angeblich weckt, saugt die aus, die ihn begehren, freiwillig überreichen sie ihm Fläschchen mit ihrem Blut. Lena, Ur-Mutter mit magischer Kraft, Eva und Lilith, Andreas, irgendwo zwischen den Unschuldigen Kindlein und Caliban-Judas - daß er gerade schwul sein muß, ist ein wenig problematisch, um es mild auszudrücken, usw usf.
Jede und jeder, die auftreten, ist verdreht, pervers, eine Karikatur im schlimmsten Sinn.
Der Höhepunkt aller Widerwärtigkeiten ist eine Art Ritualmord an einem Neugeborenen, dessen Blut eben die Farbe zu jenem Bild gibt, das der Kritiker Schlossberg aufspürt. Der Schauerroman läßt grüßen. Deftig und lautstark, wie es zu diesem Buch gehört.
Das eigentliche Ende ist unbefriedigend. Der Dreh überzeugt nicht. Tatsächlich ist mir keine Lösung eingefallen, die diese Flut aus Blut, Schweiß und Tränen zu einem befriedigenden Ende hätte bringen können. Sei’s drum.
Eine Geschichte von eigener Art, die sich letztlich selbst die Luft abdreht.