Diesen Roman hat Uwe Johnson im Jahr 1958 geschrieben, im Alter von 24
Jahren. Es wurde 1959 in Westdeutschland veröffentlicht, im gleichen
Jahr wie "Die Blechtrommel" von Günter Grass.
Fast möchte man es ein Jugendwerk nennen, besäße es nicht schon in
vollem Umfang jene Abgeklärtheit, Strenge und Distanziertheit, die
Johnsons Prosa überhaupt auszeichnet.
Eine sehr erhellende Zusammenfassung findet man auf der Seite von
Dieter Wunderlich.
Das Buch erschließt sich äußerst schwer. Es gibt ständige
Perspektivewechsel, sogar innerhalb derselben Szene. Oft ist nicht
klar, wer denn nun gerade spricht und seine Sicht der Dinge auf den
DDR-Eisenbahner Jakob Abs schildert. Jakobs Freundin Gesine ist mit
zwanzig Jahren in den Westen gegangen und arbeitet dort als
Übersetzerin. Im Verlaufe des Romans flüchtet Jakobs Mutter ebenfalls
in den Westen, Gesine kommt zu Besuch, und Jakob erstattet einen
Gegenbesuch. All dies geschieht unter den Augen der "Staatsmacht"
in Gestalt des des Herrn Rohlfs von der Spionageabwehr und seiner
Kollegen.
Warum ist dies nun ein Roman, der in den Kanon der deutschen Literatur
eingegangen ist? Der Autor Johnson war sehr überzeugt davon, dass sich
mit Sprache Wahrhaftigkeit ausdrücken lässt. Genau das ist die Stärke
auch dieses Romans. Er ist verdichtete, intensivierte DDR-Realität,
ein Zeitdokument von großer Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die
Charaktere wirken echt und lebendig, und das obwohl die Prosa trocken
und ereignisarm daherkommt. Wer verstehen will, wie in der DDR des
Jahres 1965 Schicksale einfacher Menschen geprägt wurden durch den
Absolutheitsanspruch einer bis tief ins Privatleben vordringenden
Ideologie, der liest diesen Roman.
Jakob ist ein unpolitischer Mensch, zuverlässig, arbeitsam, mit einem
unkomplizierten, geradlinigen Gemüt ausgestattet. So einer
"funktioniert" im besten Sinne des Wortes. Er ist ein nützliches
Mitglied der Gesellschaft, was versinnbildlicht wird durch seinen
Beruf als Eisenbahner. Indem er den Zugverkehr koordiniert, hilft
Jakob dabei, einen wichtigen Teil der Infrastruktur des Landes
aufrecht zu erhalten. Wenn so einem staatsfeindliche Tendenzen
unterstellt werden, dann führt sich die Staatsmacht selbst ad
absurdum. Sie untergräbt ihre eigene Basis, indem sie das zerstört,
was sie selbst am Leben hält: den Fleiß und die Loyalität des gemeinen
Mannes.
Der Geheimdienstmann Rohlfs bekommt in diesem Roman selbst menschliche
Züge. Er setzt sich gedanklich und emotional mit den Personen
auseinander, die er observiert. Seine politische Argumentation
gegenüber seinen Opfern ist differenziert, intelligent und persönlich.
Letztlich bleibt er dennoch grausam und unerbittlich.
Einer wie Jakob kann nicht über Grenzen hinweg lieben. Seine Liebe zu
"verwestlichten" Gesine ist zum Scheitern verurteilt. Das Hin und
Her seiner völlig normalen Liebesgeschichte geschieht unter den Augen
der Staatsmacht, die ihm kein Geheimnis lassen möchte. Am Ende bleibt
sein Tod ungeklärt. Im Sterben entzieht sich Jakob der
Überwachung. Mit dem Ableben endet das Wissen über seine Person, es
beginnen die Mutmaßungen. Er ist quer über die Gleise gegangen, ein
Eigensinniger, der sich nicht mehr an die Spur hielt. So befreit er
sich, indem er sich entzieht.
Der Roman setzt der Individualität des Menschen ein Denkmal. Es gibt
immer einen Punkt im Leben eines Menschen, der sich nicht ausleuchten,
nicht kontrollieren lässt. Dort gibt es dann nur noch die Mutmaßungen,
die Mutmaßungen über Jakob.