Jesus und seine Zeit in erzählender Form
270 Seiten, kartoniert; 19. Auflage (4. Auflage der Sonderausgabe)
Gütersloher Verlagshaus
Zum Inhalt / Klappentext
Die Rahmenhandlung ist fiktiv: ein Junger Jude, Andreas mit Namen, wird von Pilatus dazu erpreßt, Material über neue religiöse Bewegungen in Palästina zu sammeln. Dabei stößt er auf Jesus und reist ihm hinterher. Aus Erzählungen über Jesus rekonstruiert er dessen Leben. Dabei begegnet er ihm nie selbst, sondern verpaßt ihn immer wieder und ist gezwungen, Informationen von Menschen zu sammeln, die ihm begegnet sind.
Gerd Theißen ist ein fesselndes Buch gelungen, das dem Stand der Forschung entspricht, aber auch für die Gegenwart verständlich ist. Verkündigung und Geschick Jesu werden aus der Perspektive eines jüdischen Zeitgenossen dargestellt und im Rahmen der religiösen und sozialen Welt des Judentums verständlich gemacht.
Im Anhang werden wichtige Quellen zu Jesus und seiner Zeit kurz vorgestellt; auch findet sich dort eine Karte.
Über den Autor
Dr. Gerd Theißen, geboren 1943, ist Professor für Neutestamentliche Theologie in Heidelberg. Auf der Basis historischer Quellenstudien, verbunden mit soziologischen und religions-psychologischen Fragestellungen, entwickelte Dr. Gerd Theißen eine Theorie des Urchristentums. Er gilt als Pionier auf dem Gebiet der deutschen neutestamentlichen Forschung. (Verlagsinformation)
Hier klicken für die Informationsseite seiner Universität;
Hier klicken für den Artikel in Wikipedia
Hier klicken für die Informationen auf der Seite des Gütersloher Verlagshauses
Meine Meinung
Ich habe lange überlegt, in welche Rubrik dieses Buch gehört: Religion, Historische Romane oder Biographien? Es würde in jede dieser Schubladen passen, was schon einen Hinweis auf das Buch bzw. dessen „eigentlichen Hauptprotagonisten Jesus“ (der selbst überhaupt nicht auftritt) gibt: der paßt damals wie heute in keine Schublade.
Der Autor selbst gibt auf Seite 121 eine gute Beschreibung seiner Vorgehensweise:
Er (Andreas) ist ein „Forscher“ auf den Spuren Jesu - durchaus einem historisch-kritischen Forscher vergleichbar.
Andreas muß aufgrund verschiedener Überlieferungen ein Bild von Jesus rekonstruieren. Er muß Aussagen kombinieren und kritisch bewerten. Geschichtsschreibung beginnt ja damit, daß man nicht mehr schlicht behauptet: „So und so war es“, sondern: „Aufgrund dieser und jener Quellen möchte ich - vorbehaltlich besserer Einsicht - folgendes Bild der Ereignisse entwerfen.“
Und genau so geht Theißen vor: Andreas findet Quellen und muß aus diesen seinen Bericht an Pilatus zusammenstellen. Zu allen Fakten, teilweise sogar wörtlichen Reden, gibt Theißen die genauen Quellen an. Sind diese aus einer anderen Zeit (ein paar Jahrzehnte vor- oder nachher), erwähnt er auch das und begründet, weshalb er das trotzdem verwendet. Mir ist noch nie ein Buch begegnet, in dem so viel durch Quellen belegt wird, wie in diesem. Es kommt damit unseren Möglichkeiten, etwas über Jesus erfahren wollen, sehr nahe.
Zunächst fand ich es etwas seltsam, ein Jesusbuch zu lesen, was sich über viele Seiten hinweg überhaupt nicht mit Jesus beschäftigt, sondern dessen Zeit und deren Probleme vorstellt. Theißen entwirft ein Bild der, wie wir heute sagen würden, politischen und religiösen Großwetterlage im damaligen Palästina; denn Jesus kam aus dem Judentum und war tief darin verwurzelt, was wir heute oft vergessen. So sind, bis der Name „Jesus“ das erste Mal auftaucht, viele Seiten gelesen und ein recht gutes Bild von den Verhältnissen des Großen wie des Kleinen Mannes entworfen. Und aus diesen Verhältnissen wird dann auch das Auftreten Jesu (sowie anderer Bewegungen damals) erklärt und verständlich, denn eines der Anliegen Theißens ist es, Jesus aus seiner Zeit und Herkunft her verständlich zu machen.
Dabei habe ich mich immer mehr gefragt, von welcher Zeit eigentlich gesprochen wird. Wenn die „Terroristen“ (aus Sicht der Römer die Zeloten) wie die Herrschenden die gleichen Argumente gebrauchen, um Menschen dazu zu bringen, in deren Sinne zu handeln; wenn „alle Rechtfertigungen (für ihr Handeln) haben und sich in der grausamen Logik der Welt verfangen“ (nach Seite 249), wenn Jesus, der für die kleinen Leute eintritt, schließlich ein Opfer der „Sachzwänge“ und zwischen allen Fronten zerrieben wird; wenn mehr und mehr deutlich wird, daß Jesus, käme er heute, genauso abgelehnt würde wie damals und (Spekulation von mir) zwar nicht gekreuzigt würde, aber wohl in einer geschlossenen Anstalt weggesperrt würde, damit das System erhalten und das Volk geschützt wird, von den wirtschaftlichen Interessen ganz zu schweigen.
Nein, dieses Buch ist alles andere als bequem. Es entwirft auf Grund der heute verfügbaren Quellen ein Bild, wie es gewesen sein könnte und vergißt dabei nicht darauf hinzuweisen, daß die Verhältnisse sich eigentlich gar nicht groß verändert haben (von der technischen Entwicklung mal abgesehen). Die Botschaft Jesu hat heute noch genau so viel Sprengkraft wie damals. Und - sorry Licht und Churchill - auch dieses Buch hat bei mir dazu beigetragen, daß die Frage, ob Jesus eine Kirche (kath. und evang.), wie wir sie heute kennen und vorfinden, begründen wollte. Oder ob seine Botschaft nicht gründlich mißverstanden wurde, und der Mensch noch immer für den Sabbat da ist - anstatt umgekehrt.
PS. Die erste Auflage erschien 1986. Im Buch finden sich schon Andeutungen von Theißens Forschungsarbeit über das Urchistentum. In seinem 2004 erschienen Buch „Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte“ (ISBN 3-579-06503-3) führt er diese Gedanken, für die in dem hier besprochenen Buch nicht der Platz und Ort war, weiter aus.