Fantasievolle Einblicke in ein ernstes Thema
„Nimmersatt und Hungermatt“ ist ein ebenso ungewöhnliches wie hilfreiches Buch zum Thema Magersucht, Bulimie und Esssucht. In 33 unterhaltsamen, erschütternden und kunstvollen Kurzgeschichten nimmt uns die Autorin mit auf eine Reise durch die Welt der Essstörungen und gewährt ungewöhnliche Einblicke.
Schlaglichtartig erfährt der Leser von immer wieder neuen Szenarien: Von dem täglichen Kampf zwischen besorgter Mutter und pubertätsmagersüchtiger Tochter, von dem Versuch einer Frau, sich eine Schutzschicht gegen die Männerwelt anzufressen, von dem Bestreben einer Studentin, durch Hungern ihren Perfektionismus aufrecht zu erhalten, und davon, wie eine Essgestörte den Aufnahmetag in einer Klinik erlebt. Weitere Geschichten nähern sich auf eher humoristische Weise dem Thema: Der Diät- und Fitnesswahn unserer Gesellschaft wird auf die Welt der Fische übertragen, eine Frau führt ein Gespräch mit einer Tafel Schokolade und in der letzten Geschichte taucht die personifizierte Essstörung plötzlich im Supermarkt auf und springt in den Einkaufswagen der Protagonistin. Daneben sorgen Märchen wie „Schneewittchen und die sieben Diäten“ oder „Ein Pfannkuchen-Märchen“ für ein Verständnis der Problematik im übertragenen Sinne.
Besonders schön ist der Spannungsbogen im Buch von Geschichten über die Anfänge einer Essstörung über Therapiegeschichten bis hin zu hoffnungsvollen und hilfreichen Geschichten am Ende. Äußerst positiv dabei ist, dass sich die Autorin genaue Angaben zu Gewicht, BMI und Abnehmtricks spart und so die Möglichkeit des Konkurrenzdenkens oder Nachahmens ungesunder Essstörungstricks bei Betroffenen von vorne herein ausschließt. Und obwohl diese Zahlenangaben fehlen, bekommen auch Angehörige einen umfassenden Einblick in die Mechanismen von Essstörungen. Denn durch das Fehlen dieser Angaben wird auch eines wieder deutlich: Es geht nicht ums Gewicht, denn Essstörungen beginnen im Kopf.
Fazit: Ein ungewöhnliches Buch, das durch seine fantasievollen Geschichten sowohl Betroffenen als auch Angehörigen und Therapeuten ganz neue Denkanstöße geben kann und dabei nicht triggert. Schade ist, dass das Buch nach 33 Geschichten schon zu Ende ist, denn man würde gerne mehr dieser Geschichten lesen. Andererseits bietet jede Geschichte so viele Denkansätze, dass man sich trotzdem lange mit dem Buch beschäftigen kann.
Marina Jenkner: „Nimmersatt und Hungermatt. Essstörungen bewältigen.“
Verlag Frauenoffensive, ISBN 978-3-88104-377-9, Preis: 13,90 €