"Was gibt's Neues vom Krieg?" - Robert Bober

  • Der Umgang mit Nadel und Faden


    Robert Bobers erster Roman „Was gibt’s Neues vom Krieg?“



    Eine kleine Pariser Schneiderei im Jahre 1946. Der Krieg ist vorbei, die Erinnerungen bleiben. Die Angestellten des Monsieur Albert, bis auf eine Ausnahme alle jüdischen Glaubens, füllen den Raum mit ihren Geschichten – zwischen Nähmaschinen und Schneiderpuppen. Es sind behutsame Geschichten vom Alltag der Nachkriegszeit, die nur zwischen den Zeilen die furchtbaren Ereignisse erahnen lassen, die ihnen vorausgingen.
    Da ist der Näher Abramowitz, der von den anderen Abramauschwitz genannt wird, weil er das Lager überlebt hat. Des weiteren Monsieur Albert und seine Frau Lea mit ihren Kindern Raphael und Betty, eine Familie, die vollständig geblieben ist, und doch ist die Ehe zwischen den beiden alles andere als glücklich. Beziehungsprobleme – die Normalität kehrt wieder ein.
    Robert Bober erzählt die Geschichten des Alltags; von Humor, den kleinen Problemen und Freuden, die sich nicht haben verdrängen lassen. Und doch bleiben die beinahe unmerklichen Hinterlassenschaften des Grauens, die verraten, daß es keine innerliche Normalität gibt, ja vielleicht nie mehr geben wird.
    Wie in der Geschichte des Mannes, der endlich seine Wohnung zurückbekommen hat, aber nicht im Stande ist, dort einzuziehen. Statt dessen wohnt er in einem Hotelzimmer, von dessen Fenster er auf eben diese Wohnung blickt, aus der seine Frau und seine Kinder verschleppt worden sind.
    Und es gibt die Geschichten der jüdischen Heimkinder, die ihre Eltern verloren haben und von denen wir durch Raphael nach einem Ferienlager erfahren. Da ist zum Beispiel der kleine Junge, dem einzig die Taschenuhr seines umgekommenen Vaters geblieben ist, die er immer wieder aufzieht, als wenn er dadurch die Erinnerung wachhalten, ja vielleicht sogar den Herzschlag seiner Eltern verlängern könnte.
    Oder Raphaels Freund, der keine Marmelade mehr essen kann, weil er nach dem Abtransport seiner Eltern in seinem Kleiderschrankversteck den wertvollen Marmeladenvorrat aufgegessen hat.
    Der Text, der von Tobias Scheffel ins Deutsche übertragen wurde, ist in einer leichten, überaus harmonischen und humorvollen Sprache verfaßt. Bober läßt seine Protagonisten im kapitelweisen Wechsel selber sprechen – sei es durch die Briefe aus dem Ferienlager von Raphael oder durch Erzählungen der Angestellten.
    Im zweiten, sehr viel kürzeren Teil des Buches finden wir Tagebuchauszüge Raphaels aus den Jahren 1981 – 1982. Der erwachsene Raphael ist Photograph und steht am Grabe seines Freundes Nathan. Hier wird ihm klar, wie er für sich den Holocaust rezipieren muß – er will jüdische Gräber photographieren und alte Juden portraitieren.
    Bober, der selber nach dem Krieg in verschiedenen Schneidereien arbeitete, hat sein Handwerk auf sein Schriftwerk übertragen: Die einzelnen Kapitel sind wie zugeschnittene Stoffe, die zusammengenäht werden müssen.
    Doch auch seine Tätigkeit als Assistent des Dokumentarfilmers Truffault ist unverkennbar in die Form des Buches eingeflossen. Die Kapitel mit ihren Perspektivenwechseln und Schnitten erinnern gleichfalls an die einzelnen Szenen und Einstellungen eines Films.
    Nur läuft ein Film automatisch weiter, der Leser muß jedoch selber mit der Lektüre fortfahren.
    Und darin fehlt es dem sogenannten Roman. Die Kapitel sind für sich als kleine Episoden abgeschlossen und lassen den roten Faden vermissen, der ins nächste Kapitel hinüber zieht. Zwar gibt es die Schneiderei und teilweise auch die Personenbesetzung als gemeinsamen Nenner, doch auf eine sich entwickelnde Hauptgeschichte oder auf einen reifenden Protagonisten, auch wenn dies im zweiten Teil in der Person Raphaels leicht angedeutet wird, wartet der Leser vergebens.
    Bober hat kunstvolle Fragmente geschaffen, doch ist davon auszugehen, daß nicht jeder Leser den Umgang mit Nadel und Faden beherrscht.



    • Robert Bober: „Was gibt‘s Neues vom Krieg?“. Roman. Verlag Antje Kunstmann. München 1995. 192 S. ISBN 3888974143

  • Eigene Meinung


    Ich hatte noch nie eine so divergierende Aussage bei einem Buch, wie bei diesem, ob es mir gefällt oder nicht.


    1946 in einer kleinen Schneiderei in Paris. In dieser Schneiderei arbeiten unterschiedliche Figuren mit unterschiedlichen Hintergründen; ihnen gemeinsam ist zumeist der jüdische Hintergrund. Da ist Maurice Abramowitz, von fast allen nur "Abramoauschwitz" genannt, Zurückgekehrter aus einem Konzentrationslager. Da sind die zwei Elternteile, deren Kinder in einer Ferienkolonie sind, die ihnen regelmäßig schreiben von einer heilen Welt mit gemeinsamen Bastelstunden und Freundschaften, die immer wieder von der Realität belastet werden, indem man sie z.B. Lieder der ungarischen Partisanen auswendig lernen lässt. Da ist deren Sohn, Raphael, guter Zeichner, der später Fotograf wird und immer wieder mit dem Faschismus, auch während seiner Arbeit konfrontiert wird. Da ist genauso Charles, der Frau und beide Töchter durch die nationalsozialistischen Interventionen in Frankreich verloren hat.


    Es werden lauter Einzelschicksale beleuchtet, die immer wieder mit der Schneiderei als Zentrum verbunden sind; mehr oder weniger gekonnt gibt der Autor den Hintergrund der Protagonisten preis. Mal um ihr Verhalten zu erklären und mal, weil er eine Lücke füllen musste, die er durch seinen Schreibstil hinterlassen hat.
    Was ich damit meine? Das ganze Buch ist dröge, fast langweilig. Auch, wenn der Autor versucht durch die Hintergrundgeschichte den Figuren Leben einzuhauchen, so bleiben sie doch fragmentarisch, blass und farblos. Identifikationsfaktor gleich Null. Sie wirken wie Pappfiguren. Es gibt kaum emotionale Tiefe und wenn, wirkt sie so fehl am Platze, weil sie nicht in das Konzept passt.


    Warum ich dennoch dazu tendiere dieses Buch sogar zu empfehlen ist, weil es nicht nur Längen, sondern durchaus auch Kapitel hat, die durch ihre schöne Sprache auffallen. Da wirkt es fast poetisch, flüssig und schön und man spürt dem Charakter, nämlich Joseph heißt der Gute, der immer wieder in diesen Kapiteln vorkommt, die gefühlte Gefühllosigkeit an. Man leidet fast mit und man unterstützt seine Entscheidung.
    Jedoch... sind das nur zwei wirklich glänzende Kapitel.
    Immer wieder wechselt der Autor ohne Ankündigung die Perspektive; er verliert sich teilweise in Details, um zu erklären, wie eine Nähmaschine funktioniert. Man weiß nie genau, wer gerade in den Dialog miteinander tritt und ich werde das Gefühl nicht los, dass es dem Autor manchmal nur darum ging, dass Thema Shoah irgendwie anzubringen, um es als das Grundthema des Buches darzustellen. Sicherlich, die Hintergrundgeschichte einiger Charaktere passt zu diesem Thema, aber manchmal fragt sich meiner einer, ob dem Autor nicht besser daran gelegen wäre die Geschichten der Figuren für sich sprechen zu lassen.
    Wozu dieser zweifelhafte, durchschaubare Rahmen?


    Ich für meine Begriffe kann dieses Buch nicht uneingeschränkt empfehlen. Ich hatte mehrmals Lust es wegzulegen und habe es dennoch beendet, einfach weil ich mir dachte: "Da muss doch noch was kommen!" Kam aber nicht, es blieb dröge, langweilig.

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker