Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. 4. Band. Joseph der Ernährer

  • Für eilige Leser von Rezensionen: Joseph steigt hoch auf und fällt erneut, aber diesmal ohne zu fallen.


    Das Ende des Romans führt zum Höhepunkt der Geschichte.
    Joseph war erneut tief gefallen. Einmal mehr beobachten wir Josephs Aufstieg. Wir folgen seinem Weg, der ihn diesmal für weltliche Begriffe ganz nach oben führt. Joseph wird zur zentralen Gestalt der ägyptischen Wirtschaft. Er erweist sich als weitblickender Wirtschaftsplaner und diplomatischer Staatsmann.


    Dies alles - und man stellt bald fest, der gesamte Weg Josephs - dient nur einem Ziel: Die gesamte Sippe folgt ihm nach. Joseph war lediglich vorausgegangen, seine Familie nun versorgen zu können. Sie folgen alle seinem Ruf (auch wenn sie davon zunächst nichts ahnen). Und wir ahnen Jaakobs Freude, den totgeglaubten nun wieder zu sehen.
    Und doch fällt Joseph erneut: Der Totgeglaubte, der ins Totenreich gezogene kann nicht einfach lebendig werden: Er fällt aus dem Kreis der Brüder. Er bleibt ein gesonderter - wohl noch der Liebling des greisen Stammvaters, aber geschieden von den andern.


    Die Geschichte des Romans endet mit Jaakobs Tod.
    Die Geschichte des Volks ist noch lange nicht zuende.


    Der Roman bleibt in Stilistik und Erzählstil dem Duktus der vorangegangenen Bände treu. Wir erleben Erzählkutur auf höchstem Niveau. Wir bleiben bis zum Ende gefesselt von der Geschichte und in ihr gefangen. Der erzählte Zeitraum ist lange, das mit der Geschichte erlebte ist irre viel. Und auch der Zeitraum der Lektüre ist vergleichsweise lang. So verändert sich viel beim Lesen und ich bekomme als Leser ein ganz neues Gefühl dafür, wie sich Dinge in der Zeit entwickeln, was in bestimmten Zeiträumen geschieht. Thomas Mann gestaltet aber auch das Ende der Geschichte. Er bereitet den Leser auf das kommende Ende vor. Man verabschiedet sich langsam aus der Welt, so daß das Ende nicht apprupt da ist, sondern so, daß ich das Buch am Ende weglege und das Gefühl habe: Das ist eine Runde Sache und nun ist es zu Ende. Zeit für neue Geschichten und neue Bücher.

  • Vielen Dank für die Rezension, Licht!
    Alle 4 Bände in so kurzer Zeit zu lesen, ist eine gute Leistung.


    Was mich lange an dem Werk fesselte, ist der subtile Humor, der gemeinsam mit der Faszination am Mythos, eine große Wirkung entfaltet.


    Über Josephs Charakter habe ich schon gegrübelt. Wenn ich ihn mit Thomas Mann andere „Helden“ Felix Krull oder Gregorius (aus Der Erwählte) vergleiche, sehe ich Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Das zum höheren Berufene haben sie gemeinsam und alle gehen durch verschiedene schwierige Stadien des Lebens um die vorgesehene Position einzunehmen.
    Aber Joseph nimmt die verschiedenen schwierigen Situationen meist klaglos und schicksalsergeben entgegen.
    Woher nimmt er diese Gewissheit, dass er seine hohe Position verdient und erreicht?


    Interessieren würde mich, ob der Joseph aus der Genesis diese Persönlichkeitszüge mit der Romanfigur geteilt hat.


    Seine Distanz von allen anderen, begleitete ihn eigentlich doch sein ganzes Leben. Durch die gesonderte Position als Lieblingskind Jaakobs gefördert, fühlte er sich den Brüdern von Anfang an überlegen und brauchte sie nicht. Nur die Bewunderung des Kleinsten tat ihm wohl.
    Dass die Wiedervereinigung der Brüder und Jaakob in diesem vierten Teil, (mit einer raffiniert geplanten Durchführung die den Leser entzückt, wie Thomas Mann sagen würde) ihn dann doch nicht näher an die Menschen brachte, verwundert nicht.


    Trotz Zauberberg und Buddenbrooks war es Joseph und seine Brüder, die mich am dauerhaftesten an Thomas Mann band und das lag nicht nur an der Länge.

  • Irgendwie habe ich bisher nie den Zugang zu Thomas Mann gefunden. Durch diese Rezension habe ich mir auch die zu den bisherigen "Joseph"-Büchern angesehen - und oh je, wenn die so sind, wie Licht sie beschreibt, wären die ja genau richtig für mich.


    Danke für die Rezension(en) :wave und wenn ich jetzt noch wüßte, wann ich diese Bücher auch noch lesen soll, wäre mir wirklich sehr geholfen. ;-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")


  • Gern geschehen. Mir hats Spass gemacht!


    Woher nimmt Joseph seine Gewißheit? - Mann beschreibt ihn von Anfang als abgesonderten, als besonders begabten und gesegneten. Er führt vieles auf die besondere Vater-Sohn Beziehung zurück, die eigentlich die Beziehung zur heiß geliebten Rahel ist.
    Folgt man Mann, nimmt Joseph seine Rolle wahr. Er reflektiert sie immer wieder. Er nimmt sie zögernd zwar, aber dann um so emsiger an. Er weiß sich von Anfang an zu Höchstem berufen. Wir würdens heute mit Sendungsbewußtsein beschreiben, nehm ich an.
    Dabei können wir aber vor allem beim ägyptischen Joseph die Treue zum Gott seiner Väter nie außer acht lassen. Ihm die Treue zu wahren war gleichbedeutend mit der Treue zum Vater. Das Bewußtsein war wohl so, daß jener Gott (selbstredend, nur so kommt es Joseph dem Abrahamsenkel zu, der größte und höchste), ihn gesandt und geführt hat.


    Der Joseph der Genesis ist ja literarisch gesehen bestenfalls eine Personenskizze. Als man die Geschichten erzählte, kannte man ihn (bzw. meinte ihn im Typus dieser Person zu kennen.)
    Mann hat aus der Skizze, aus den Andeutungen über alle diese Personen Menschen aus Fleisch und Blut geschaffen.


    @ Si Collier


    Die Bücher sind so ;) ... Viel Spaß damit :wave