Das kurze Leben des Stuart Shorter - Alexander Masters

  • Der Autor
    Alexander Masters wurde in New York geboren und lebt in Cambridge. Nach seinem Studium der Physik und der Mathematik arbeitete er eine Zeit lang in der Obdachlosenhilfe und lernte dabei Stuart Shorter kennen.


    Kurzbeschreibung
    Stuart, ein Leben ganz unten, ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Alexander, einem Schriftsteller und Illustrator, und Stuart, einem chaotischen Obdachlosen. Mit viel Witz und Mitgefühl versucht Masters zu begreifen, warum sich ein fröhlicher kleiner Junge in eine drogen- und alkoholsüchtige Dr.Jekyll-und-Mr.Hyde-Persönlichkeit verwandelt hat. Durch diese enge und lange Freundschaft ist Alexander Masters eine bemerkenswerte Biographie gelungen. Witzig, verzweifelt und zugleich aufbauend, brillant geschrieben und voller Überraschungen gewährt er damit einen Einblick in Verhältnisse des Lebens auf der Straße.


    Meine Meinung
    Objektiv betrachtet ist Stuart ein Arschloch, ein drogenabhängiger Soziopath, gewalttätig und unberechenbar. Zumindest lernen wir ihn so kennen.
    Aber, wie der englische Untertitel "A life backwards" verrät, ist das erst der Anfang; im Laufe des Buches, in dem man immer tiefer in Stuarts bisheriges Leben eintaucht, nimmt die zunächst schemenhafte Figur eines heruntergekommenen Penners langsam Konturen an, und obwohl, wie Stuart selbst genau erkennt, seine erlittenen Schicksalsschläge andere nicht daran gehindert hätten, ein gediegenes Leben "in der Siedlung", mit Ford-Kombi, Frau und drei Kindern zu führen, kann Stuart nur mit unkontrollierten Wutausbrüchen, die mit aufgeschlitzten Pulsadern, demolierten Wohnungseinrichtungen und schwerverletzten Mitzechern enden, reagieren. Und nein, nicht die anderen sind Schuld, sondern allein Stuart, der das Pech anzieht wie Rotwein die Fruchtfliegen, und der, wie es scheint, nichts Besseres zu tun hat, als Glück und Frieden in seinem Leben, sobald sie sich als Silberstreif am Horizont blicken lassen sollten, sofort in rasender Wut wieder in Klump und Asche zu hauen.
    Alexander Masters wirkt oftmals fassungslos ob dieser Naturgewalt Stuart, aber dennoch wirkt die Sympathie und Wärme, die er diesem seltsamen Freund entgegenbringt, echt, sie färbte sogar auf mich als Leserin ab, so dass am Ende die Meinung blieb: Objektiv betrachtet ist Stuart ein Arschloch, ein drogenabhängiger Soziopath, gewalttätig und unberechenbar. Aber er ist auch ein Mensch, den man nicht gern haben muss, weil ihm das Leben so übel mitgespielt hat, sondern weil das Leben ihn zu dem gemacht hat, der er ist.
    Und trotzdem ist dies kein sozialkritisches Rührstück über einen armen Paria, sondern die tragische und komische Geschichte eines etwas anderen Lebens.
    Auch Stuart selbst kommt zu Wort, was seinen "Biografen" wohl einige Male an den Rande des Wahnsinns getrieben haben mag, wie der Textausschnitt auf dem Umschlag sehr treffend illustriert:



    Stuart mag das Manuskript nicht. Es zeichnet sich als dicker Packen Papier in seiner gestreiften Tesco-Tüte ab: unsere Gespräche und meine schriftstellerischen Bemühungen aus zwei Jahren.
    "Es ist stinklangweilig"
    Er möchte Witze, Geschichten, Humor. "Gelehrte Sprüche" und Recherchen beeindrucken ihn nicht. "Nee, Alexander, fang noch mal neu an. Das muss besser werden."
    Ein Bestseller schwebt ihm vor, "so im Stil von Tom Clancy".
    "Du bist aber nun mal kein Killer, der versucht, mit Milzbrand-Bomben den Präsidenten fertig zu machen", wende ich ein. Du bist ein Ex-Penner; Ex-Junkie und Psychopath lasse ich weg."

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)