Der arme Mann im Tockenburg v. Ulrich Bräker

  • EINE AUTOBIOGRAFIE AUS DER EPOCHE PIETISMUS/AUFKLÄRUNG und ich bin mir sehr unsicher, ob ich sie jetzt in die richtige Rezensions-Sparte gesetzt habe.... :gruebel




    Produktbeschreibung v. Amazon


    Ulrich Bräkers Autobiografie, bestehend aus seinen Tagebüchern, beschreibt die Lebenswirklichkeit einer breiten Bevölkerungsschicht, die in der bildungsbürgerlichen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts entweder idealisiert oder ignoriert wurde.
    Entstehung: Bräker begann 1781 als 45-Jähriger mit der Niederschrift seiner »Lebensgeschichte und natürlichen Ebentheuer«. Ohne literarische Ambitionen, »zusammengeflickt« aus den »kuderwelschen Papieren« seines 4000 Seiten umfassenden Tagebuchs, beabsichtigte er eine wirklichkeitsgetreue Dokumentation seiner Erlebnisse und Empfindungen. An eine Veröffentlichung dieser »Kritzeleien«, die ihm Ablenkung von den drückenden materiellen Sorgen und dem unfrohen Eheleben gewährten, dachte er nicht.
    Durch einen Zufall gelangte der Pfarrer des Ortes 1785 an die Aufzeichnungen und schickte sie nach der Lektüre an den Verleger Johann Heinrich Füßli in Zürich. 1788/89 wurden in der Zeitschrift Schweizermuseum die ersten Abschnitte aus Bräkers Autobiografie veröffentlicht und fanden große Beachtung.
    Inhalt: Die Lebenserinnerungen von Bräker, für die der Pfarrer Martin Imhof ein Geleitwort verfasste, berühren alle Bereiche eines ebenso erfahrungs- wie entbehrungsreichen Lebens und beginnen mit Kindheitserinnerungen, dem Verhältnis zum Vater und den Nachbarn sowie den Beschreibungen der ärmlichen Lebensumstände. Im Anschluss berichtet Bräker von seiner Zeit als Hirte, seinen Erlebnissen im preußischen Söldnerheer, seiner Tätigkeit als Salpetersieder und als hausierender Garn- und Tuchhändler. Er erzählt die Liebesgeschichte mit dem Aennchen, reflektiert aber auch über theologische und weltliche Fragen, über das Wohlleben der Großen und das Los der Kleinen.
    Wirkung: Das bürgerliche Lesepublikum der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besaß eine Vorliebe für autobiografische Werke, für Briefromane und psychologische Deutungen. Durch sprachliche Ausdruckskraft gelingt es Bräker, dem Leser sowohl die Glücksmomente wie auch die Notsituationen dieses Lebens zu veranschaulichen, ohne wie andere zeitgenössische Autoren aus der unteren Bevölkerungsschicht in einen larmoyanten Ton zu verfallen.
    Bräkers Lebensgeschichte wurde im gesamten deutschen Sprachraum bekannt. Der Literaturkritiker und Verleger Friedrich Nicolai (1733 bis 1811) würdigte die »Szenen aus der schlichten Natur«. Die Wertschätzung bürgerlicher Kreise galt Bräkers poetischer Kraft, auch wenn diese Anerkennung gelegentlich nicht frei von Standesdünkel war.
    Von der Nachwelt wurde das Werk lange Zeit ignoriert. Herman Grimm, der Sohn von Wilhelm R Grimm, wies auf die einzigartige Bedeutung der Lebenserinnerungen und der R Shakespeare-Studien Bräkers hin, Gustav R Freytag wählte die Passagen über das friderizianische Preußen, um sie in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit (1859) den heroisierenden Schilderungen Friedrichs des Großen gegenüberzustellen.
    In den Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts ist Bräkers Name nur selten aufgeführt; gelegentliche Erwähnungen sind stets in gönnerhaftem Ton gehalten. Wenn seine Stellung in der Literaturgeschichte heute unumstritten ist, so ist das primär der Verdienst von Hans Mayer




    Eigene Meinung


    Das Geburtshaus des "armen Mannes vom Tockenburg" steht ca. 1 Fuss-Stunde von meinem Wohnort entfernt...im "Schattenhalb", zwischen den beiden Dörfern Wattwil und Ebnat-Kappel.
    Das Toggenburg ist ein Tal in der Ostschweiz, am Fusse des Alpsteins...umgeben von Bergen und Hügeln....Der Fluss der sich durch dieses Tal schlängelt ist die "Thur"....Sie entspringt am Säntis, dem höchsten Berg des Alpsteins (2502 m) wird genährt von den vielen kleinen Bächen des Obertoggenburgs....und fliesst dann im Zürcher Unterland in den Rhein....


    Wer mehr über das Toggenburg wissen möchte


    Das ist also keine versteckte Werbung für den Toggenburg-Tourismus....mir persönlich reichen die Touristen die wir bereits haben schon vollauf... :rolleyes :lache


    Weil ich hier im Toggenburg lebe, fühle ich mich einfach irgendwie verplichtet, Euch diesen bemerkenswerten Ulrich Bräker vorzustellen....bei uns in der Schweiz erlebten er und seine Werke in den letzten Jahren ein grosses "Comeback"....er wurde von den Literatur-Interessierten sozusagen "wiederentdeckt".....
    ....was mich überhaupt nicht wundert. Bräkers Schreibstil ist sehr gut lesbar, beinahe schnörkellos. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass dieser Stil für seine Zeit geradezu revolutionär war.
    Was mich an ihm auch fasziniert, das ist seine grosse Offenheit...er erzählt uns ohne Hemmungen auch von seinen Untugenden/Untaten und von seinen tiefsten Gedanken....
    Ich habe zwar noch nicht viel gelesen von Schriftstellern jener Zeit, sodass ich eben wenig Vergleichsmöglichkeiten habe....doch könnte ich mir gut vorstellen, dass diese seine Aufgeschlossenheit und Ehrlichkeit nicht so sehr in seine Zeit passt....
    Seine Erzählungen sind auch überaus wertvolle Dokumentationen seiner Zeit....der damaligen Lebensumstände, der politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten....


    Diese Autobiografie von Ulrich Bräker besitze ich in Form eines jener kleinen gelben Reclam-Büchleins....Da ich diese Ausgabe bei Amazon nicht gefunden habe stelle ich Euch eine TB-Ausgabe vor.
    Das Buch ist übrigens auch für alle Nicht-Schweizer gut verständlich....die schweizerdeutschen Ausdrücke halten sich sich in Massen und werden mittels Fussnoten erklärt.

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Joan ()

  • Herzlichen Dank für diese informative Rezi. Und was passierte, nachdem ich deine Rezi gelesen hatte? Ich hab das Buch bestellt. :-)


    Das wird eines der Bücher sein, welches nicht sehr lange auf dem SUB vor sich hindümpelt. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Hallo Voltaire


    jetzt bin ich aber sehr und auch freudig überrascht....denn ich hegte grosse Zweifel, dass sich jemand für den Ulrich Bräker interessieren könnte.


    Ich denke, Du wirst es nicht bereuen dass Du das Büchlein bestellt hast....Du wirst sehr viel Informationen auch erhalten über jene Zeit....die armseligen Lebensumstände, die unvorstellbaren Ueberlebenskämpfe der Bewohner der Bergtäler....und die waren vermutlich in der Schweiz damals nicht sehr anders als im übrigen Europa.


    Viel Freude beim Lesen wünscht ....Joan

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