Tanz der Libellen

  • So, ich wage es einfach mal, meinen diesjährigen Beitrag zum Ingeborg-Bachmann-Schülerwettbewerb hier einzustellen.
    Das vorgegebene Thema lautete: Erklär mir, Liebe.
    Ich bin mit meinem Text auf dem siebten Platz gelandet.


    Tanz der Libellen


    Es ist beinah ganz still auf der Waldlichtung.
    Der silberne Bach plätschert und ergießt sich ein paar Meilen entfernt in einen glitzernden Wasserfall.
    Von irgendwo erklingt das leise Trillern eines Vogels und ein Schwarm Libellen surrt um das Paar herum, das dort im hohen Gras sitzt, vertieft in ein leises Gespräch.
    "Ich liebe diesen Ort hier... es ist so ruhig..."
    Janek streckt sich und streicht über die blassvioletten Halme ringsumher.
    Sein Gegenüber betrachtet ihn neugierig aus honigfarbenen Augen.
    "Was machst du da?"
    "Ich fühle das Gras. Es kitzelt, das gefällt mir."
    Janek lacht leise. Richtiges Gras hat er zuletzt als Kind gefühlt in einem der wenigen Naturreservate, in denen es noch echte Wiesen gibt. Die sind jedoch grün, nicht violett wie hier. Doch das ist lange her.
    "Woran denkst du?"
    "Das weißt du doch."
    Janeks Gegenüber verneint.
    "Du hast dir gewünscht, dass ich nicht mehr unerlaubt in deinen Geist sehe. Ich frage also, das ist doch richtig so?"
    Janek lächelt.
    "Ja, das ist richtig. Aber um von meinem Wunsch zu erfahren hast du doch auch schon in meinen Geist gesehen, nicht wahr?"
    Die Honigaugen blicken nach unten.
    "Ja...", gibt sie zu.
    Janek schmunzelt.
    "Nur zu, finde heraus, was ich gerade denke."
    Einen kurzen Moment ist es fast still, sogar der kleine Vogel schweigt.
    Nur die glashellen Libellen tanzen über den glitzernden Wellen.
    "Janek? Was bedeutet Liebe?"
    Janeks Blick reißt sich von den Insekten los.
    "Wie bitte?"
    "Ich kenne das Wort nicht. Ich wollte nachsehen, was es bedeutet, aber dein Geist verbindet so viele Gefühle damit. Ich verstehe das nicht. Bitte, erklär es mir."
    Janek ist erstaunt. Wie soll er denn Liebe erklären?
    "Ja, kennst du denn keine Liebe? Das ist, nun ja... wenn man etwas sehr gern hat, also, wirklich gern... so sehr, dass man meint, man kann nicht mehr ohne dieses... 'Etwas' leben."
    Sie nickt bedächtig.
    "Also liebst du diesen Ort hier, weil du nicht ohne ihn leben kannst, ja?"
    Janek schüttelt den Kopf. Er hat schließlich beinah sein ganzes Leben auf der Erde verbracht, dort gibt es keine Wälder mit Lichtungen und Bächen mehr. Außer natürlich in den Naturreservaten, aber den Eintritt kann sich ein einfacher Planetenforscher nicht leisten und er hat nur einmal als kleiner Junge eines besucht. Kann er nun wirklich behaupten, nicht ohne Natur leben zu können?
    "Nun ja, es gibt wohl verschiedene Stufen der Liebe. Ich kann durchaus ohne Wälder leben, trotzdem mag ich sie. Menschen sagen oft, sie würden etwas lieben, obwohl sie "mögen" meinen."
    "Was ist der Unterschied?"
    "Der Unterschied zwischen Mögen und Lieben? Herrje, wie soll ich das erklären? Das hängt schon irgendwie zusammen, aber Liebe ist mehr als nur Mögen..."
    Janek kommt sich vor, als müsse er einem Blinden erklären, was Farben sind.
    "Kannst du nicht einfach in meinen Gedanken lesen, was Liebe für ein Gefühl ist?"
    "Das hab ich doch versucht. Aber da sind so viele Gefühle, wenn du an Liebe denkst. Welches ist das richtige?"
    Eine Libelle surrt an Janeks Ohr vorbei und nimmt auf seiner Hand Platz. Der kleine Vogel, versteckt in einem der turmhohen Bäume, pfeift sein Lied weiter.
    Janek betrachtet das Insekt, der lange, durchscheinende Körper, die Kristallflügel, die glänzenden Facettenaugen.
    Hier sind die Libellen viel größer, als es in all den irdischen Biologiebüchern steht, denkt Janek.
    Die Libelle erhebt sich und schwebt zu ihrem Schwarm zurück.
    Und plötzlich weiß Janek, wie er ihr die Liebe erklären kann.
    "Siehst du diesen Libellenschwarm?"
    Ihre Honigaugen wenden sich zum Silberbach und folgen dem ordnungslosen Tanz der Libellen.
    "Ja."
    "Nun, die Liebe ist wie dieser Libellenschwarm. Jede Libelle ist ein einzelnes Gefühl, manche angenehm, manche nicht. Und zusammen bilden sie einen Schwarm, so wie all die Gefühle zusammen das eine Gefühl bilden, das man Liebe nennt."
    Die Honigaugen blinzeln.
    "Also ist Liebe ein Tanz vieler Gefühle, die alle für sich individuell sind und doch eine Einheit bilden?"
    Janek nickt.
    "Ja, so kann man es sagen. Jede Libelle für sich ist ein Gefühl, Sehnsucht, Freude, Trauer, Eifersucht, manchmal sogar Hass, aber auch Glück... und nur im Schwarm können sie tanzen. Der Schwarm ist also mehr als alle Libellen einzeln... und doch kannst du nie den gesamten Schwarm festhalten, sondern immer nur eine Libelle... Verstehst du das?"
    "Ja."
    Ihre Augen lächeln ihn an. Janek lächelt zurück.
    "Also liebst du etwas, wenn du viele verschiedene Gefühle gleichzeitig für etwas empfindest?"
    Janek überlegt und nickt dann.
    "Ja, und all diese Gefühle tanzen so sehr umeinander, dass man sie nicht auseinander halten kann, sondern als nur ein Gefühl empfindet, und das ist Liebe. Es ist schwer in Worte zu fassen, denn die Liebe hat so viele Facetten wie das Auge einer einzelnen Libelle. Und es gibt einen ganzen Schwarm davon..."
    Sie erhebt sich. Janek beobachtet, wie sie ihre grazilen Glieder entfaltet und die Sonne ihre wolkenweiße Haut schimmern lässt.
    "Wir sehen uns morgen, ja?" Hoffnung leuchtet aus ihren Augen.
    Janek ist betroffen.
    "Nein, leider nicht... weißt du, mein Dienst hier auf der Venus ist beendet... morgen werde ich zur Erde zurückkehren..."
    Er schweigt.
    In ihrem Blick sieht er ozeantiefe Traurigkeit.
    "Ich wollte es dir schon die ganze Zeit sagen, aber der Moment schien mir nie passend... es tut mir Leid... ich werde dich vermissen, ehrlich."
    Sie wirft ihm einen Blick zu.
    Ich liebe dich, sagen ihre Honigaugen und Janek sieht die Libellen darin tanzen.
    Dann verschwindet sie zwischen den Bäumen.
    Janek bereut, dass er sie in all der Zeit nicht nach ihrem Namen gefragt hat.
    Und die Libellen schweben über dem Silberbach in ihrem ewigen Tanz.


    Über Kommentare jeder Art freue ich mich, gerne auch Kritik.
    Liebe Grüße, Kim

  • Hallo Kim,


    erstmal: herzlichen Glückwunsch zu der tollen Plazierung und zu dem gelungenen Text!
    Ich hab den Text mit viel Freude gelesen.


    Es ist ein durch und durch sinnlicher Text, sehr ruhig, wie die Szene, die er beschreibt. Du malst mit wenigen Sätzen eine kleine Bühne, mitten in einer fernen Welt. Mehr als diese einfache Szenerie bedarf es für den Dialog nicht in der Beschreibung. Bei hat sich dann im Laufe der Lektüre alles weitere in der Vorstellung entwickelt. Ich finde das sehr gut, wenn das gelingt. Dadurch werde ich als Leser aktiv an der Geschichte beteiligt.


    Der Dialog ist wunderbar zärtlich, liebevoll. Die leise Verliebtheit der beiden durchweht den gesamten Text. Die Hilflosigkeit, das unbegreifliche in Worte zu packen ist ganz wunderbar eingefangen in dem Bild, dass es soo irre viele Gefühle und Gedanken seien, die zur Liebe gehören, so daß es die junge Damen vom andern Planeten einfach nicht herausfiltern kann.


    Schließlich findet Janek das Bild im Libellenschwarm. Das Bild passt richtig schön. Sie hat einen Begriff von dem bekommen, was sie selbst fühlt, bzw. was sich in ihrer Gefühlswelt anbahnt.


    Nicht ganz so glücklich bin ich mit dem Schluß. Das Motiv der unglücklichen Liebe ist hier ja gar nicht nötig. Es dramatisiert unnötig, es stimmt in dieser schönen Geschichte traurig.
    Im Grunde ist das Gespräch ja der Beginn von etwas. Nach meinem Geschmack hätte das Ende offen bleiben können. Aber das ist meine persönliche Meise, der ich denke, dass das Motiv der unglücklichen Liebe etwas zu oft bemüht wird.


    Nochmals: eine gelungene Geschichte, sehr schön erzählt!!

  • Schöööön!
    Das ist wirklich ein schwieriges Thema, und ich finde, du hast es sinnlich, sensibel, aber ohne Kitsch gelöst. Die Liebe-Libelle-Verbindung finde ich auch sprachlich wunderschön.
    Nur diese Zeilen:


    "Wir sehen uns morgen, ja?" Hoffnung leuchtet aus ihren Augen.
    Janek ist betroffen.
    "Nein, leider nicht... weißt du, mein Dienst hier auf der Venus ist beendet... morgen werde ich zur Erde zurückkehren..."
    Er schweigt.
    In ihrem Blick sieht er ozeantiefe Traurigkeit.
    "Ich wollte es dir schon die ganze Zeit sagen, aber der Moment schien mir nie passend... es tut mir Leid... ich werde dich vermissen, ehrlich."


    wüde ich einfach weglassen. (Die nehmen dem Text das Leichte, Schwebende.) Dann wäre er perfekt. :-)

  • Hm, mir ist nie die Idee gekommen, das Ende so zu kürzen... interessanter Einwand...


    Vielen Dank für eure Kommentare, freut mich sehr, das euch der Text gefällt. :-)


    Edit: 70 Hits, aber nur zwei Kommentare... wollten die anderen nichts sagen? Find ich schade...

  • Danke sehr, Bartimaeus! :-)


    Ich hab die Geschichte jetzt mehrmals bis zum Ende und dann nur bis zu dem von euch vorgeschlagenen Punkt gelesen. Mir scheint sie ohne diesen Abschluss nicht mehr so rund... hmm... Vielleicht liegts auch daran, dass ich beim Schreiben der Geschichte einfach nocht über glückliche Liebe schreiben wollte, weil ich sie meinen Figuren nicht gegönnt hab.. ;)

  • Kim : Naja, sie verlieren sich ja auch in der Version mit der Aussparung namenlos wieder, ob sie sich je wiederbegegnen, bleibt offen, im Schwebezustand sozusagen.
    Die Venus ist Klischee, die "Erdung" nimmt der Geschichte meinem Gefühl nach viel von ihrer Poesie. Und in den Blicken ist doch so viel mehr so viel besser gesagt als in den nachgeschobenen Erklärungen. :-)
    Finde ich.


    Dass sich bisher so wenige hier geäußert haben, liegt wahrscheinlich nicht an deinem Text, sondern eher an einem anderen "Autor", der sich hier mit seinen schlechten Texten aufdrängt und breitmacht und einem dies Subforum derzeit ein wenig vergrätzt. :-)

  • Zitat

    Original von flashfrog
    Kim : Naja, sie verlieren sich ja auch in der Version mit der Aussparung namenlos wieder, ob sie sich je wiederbegegnen, bleibt offen, im Schwebezustand sozusagen.
    Die Venus ist Klischee, die "Erdung" nimmt der Geschichte meinem Gefühl nach viel von ihrer Poesie. Und in den Blicken ist doch so viel mehr so viel besser gesagt als in den nachgeschobenen Erklärungen. :-)
    Finde ich.


    Dass sich bisher so wenige hier geäußert haben, liegt wahrscheinlich nicht an deinem Text, sondern eher an einem anderen "Autor", der sich hier mit seinen schlechten Texten aufdrängt und breitmacht und einem dies Subforum derzeit ein wenig vergrätzt. :-)


    besser hätte ich es nicht sagen können. :write

  • Dann geb ich auch mal meine Meinung zum Besten... lass mich doch nicht von der Epik-Flut im KG-Bereich abschrecken.


    Erst mal... Ich find die Geschichte schön. Das Bild mit den Libellen ist gelungen. Es erinnert an die berühmten Schmetterlinge im Bauch, drängt sich aber nicht so auf.


    Es gibt nur zwei Stellen, die mir nicht so gefallen...


    Zitat

    "Nein, leider nicht... weißt du, mein Dienst hier auf der Venus ist beendet... morgen werde ich zur Erde zurückkehren..."


    Dieser Satz kommt im Gegensatz zum Rest ein bisschen zu informativ rüber. Der Ort wird genannt... Er verlässt sie... Es scheint sich um Außerirdische zu handeln... (bei Janek wahlweise Astronaut)...
    Die Informationen wären nicht nötig gewesen, wie ich finde. Sie geben Antworten auf Fragen, die man selbst finden könnte.


    Zitat

    Janek kommt sich vor, als müsse er einem Blinden erklären, was Farben sind.


    Der Vergleich ist mir, im Gegensatz zum Rest des Textes, nicht originell genug. Die Blinden und die Farben ist ein alter (wenn auch interessanter) Hut. Nicht umsonst haben wir in Philo darüber geschrieben.



    Ansonsten mag ich die Geschichte sehr gerne. Und natürlich herzlichen Glückwunsch zum 7. Platz!


    Eny

  • Danke für deinen Kommentar, Eny!


    Die Information über die Orte wurden mir auch von der Jury angekreidet bzw. von einem Jurymitglied, dessen Kommentar in dem Wettbewerbsheft stand. Leider sind immer nur ein paar der Jury-Kommentare abgedruckt, nur einer zu meiner Geschichte...
    Ich frag mich grad selbst, warum ich diese Info für nötig gehalten habe...


    Und zu dem Vergleich mit den Blinden und den Farben.. ich mag dieses gedankliche Problem einfach...
    Es schien mir an dieser Stelle passend, um Janeks Problem auszudrücken und gleichzeitig zeigt es seine eigenen Gedanken. Er kennt das Problem und wählt selbst diesen Vergleich. Wahrscheinlich hat er auch mal in Philo drüber geschrieben. ;)

  • Hallo Kim!


    Ich finde deine Geschichte auch sehr schön. Besonders, wie du die Stimmung vermittelt hast. Passt perfekt zum Thema! :kumpel 7. Platz, das ist toll!


    Kann man sich das Heftchen mit Geschichten und Kommentaren irgendwo besorgen?
    Das würde mich sehr interessieren - gerade die Kommentare der Jury - daraus kann ich bestimmt was lernen!

    Manchmal betrachte ich seine Augen ... es liegt so vieles darin, aber seinen Mund hält er verschlossen. Später einmal im Leben, das vielleicht seinen Mund immer fester verschließen wird, muss er eine Möglichkeit haben, zu reden...
    Buddenbrooks

  • Doppeleintrag :wow

    Manchmal betrachte ich seine Augen ... es liegt so vieles darin, aber seinen Mund hält er verschlossen. Später einmal im Leben, das vielleicht seinen Mund immer fester verschließen wird, muss er eine Möglichkeit haben, zu reden...
    Buddenbrooks

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Clärschen ()

  • Hallo Clärschen!
    Danke für dein Lob!


    Hm, ich hab grad mal recherchiert, aber ich konnte nirgends eine Bezugsadresse für das Heft finden. Ich hab es über meinen Lehrer bekommen, der das an meiner Schule alles organisiert. Der eigentliche Wettbewerb läuft ja über Klagenfurt.
    Ich werd noch etwas suchen, aber ich fürchte, die Chancen sehen nicht gut aus.
    Allzuviele Jurykommentare stehen aber auch, wie gesagt, nicht drin.
    Von insgesamt 83 abgedruckten Beiträgen gibt es nur zu 29 Texten kurze Kommentare von wenigen Zeilen. So hoch wäre der Lernfaktor für dich dabei wohl auch nicht.


    Mein Text hat einen Kommentar bekommen.
    Es hieß, der Text enthalte schöne Bilder und eine schöne Atmosphäre und die Idee, die Komplexität der Liebe mit einem Libellenschwarm zu vergleichen, sei gut und stimmig. Außerdem strahle mein Text die Weisheit orientalischer Märchen aus, allerdings hätte ich besser auf die Nennung der Orte verzichtet.
    Das schrieb sinngemäß der Buchhändler (?) Helmut Zechner über meinen Text.

  • So etwas sollte an unserer Schule auch mal organisiert werden :gruebel
    Du hast wohl recht, bei den Eulen lernt man viel mehr! :-)







    [SIZE=7]...Schmeichel...[/SIZE]

    Manchmal betrachte ich seine Augen ... es liegt so vieles darin, aber seinen Mund hält er verschlossen. Später einmal im Leben, das vielleicht seinen Mund immer fester verschließen wird, muss er eine Möglichkeit haben, zu reden...
    Buddenbrooks