Alles was du brauchst - A.L. Kennedy

  • (OT: "Everything You Need")


    Klappentext
    (dem Buch entnommen)


    Auf einer sturm- und regengepeitschten Insel vor der walisischen Küste begegnet die neunzehnjährige Mary Lamb dem exzentrischen Nathan Staples. Furchtlos wagt die junge Frau, die SChriftstellerin werden will und ein Stipendium bekommen hat, den ersten Schritt ins eigene Leben. Es ist ihre Geschichte, von der "Alles was du brauchst" erzählt. Und es ist die von Nathan Staples, ihrem Vater, von dem Mary nicht weiß, daß er ihr Vater ist. Er, der einst erfolgreiche Autor, wird ihr erster Mentor. Mary gerät in eine eigenwillige, hermetisch abgeschottete Welt, die ihren eigenen, manchmal tödlichen Regeln folgt. Nathan Staples und seine fünf Kollegen sind enttäuschte, kaputte Existenzen, die auf halsbrecherische Weise mit dem Leben spielen und doch die Hoffnung auf Erlösung niemals ganz aufgegeben haben. In diesem Schlangennest aus Selbstmördern, Heiligen, beinharten Zynikern und lustvoll Perversen kämpft Mary Lamb um ihren ersten Roman. Und Nathan, der die Fähigkeit zu lieben und sich lieben zu lassen verloren hat, um die Wiedergewinnung der Nähe zu seiner Tochter.
    Die Geschichte einer Annäherung inszeniert als Zerreißprobe. Ebenso verzweifelt wie witzig, ebenso zart wie brutal. A.L. Kennedy schickt ihre Figuren durch die Hölle, erst wenn sie den Ausgang durch das Feuer hindurch finden, wartet auf sie die Erlösung. "In ihren Büchern mag es zugehen wie in der Hölle", schrieb Ursula März in 'Die Zeit', "aber es sind Purgatorien".


    "Ein todessüchtigeres und lebensgierigeres Buch als dieses ist lange nicht geschrieben worden". - Frankfurter Allgemeine Zeitung


    Über die Autorin
    (dito)


    A.L.Kennedy, 1965 in Dundee/Schottland geboren, lebt als Autorin, Filmemacherin und Dramatikerin in Glasgow. Sie gehört zu den profiliertesten Autorinnen der jüngeren angelsächsischen Literatur. Mit dem Roman 'Gleissendes Glück' gelang es ihr auf Anhieb, sich auch in Deutschland einen Platz in der ersten Reihe junger Gegenwartsliteratur zu erobern. (...)


    Meine Meinung


    Zweimal hatte ich es angefangen, zweimal wieder weggelegt. Nathans Verrücktheit, sein Egozentrismus auf den ersten Seiten fand ich abstoßend und deprimierend. Beim dritten Anlauf blieb ich hängen und konnte das Buch immer weniger aus der Hand legen, je weiter ich las.


    Es ist ein gewaltiges Buch - gewaltig hinsichtlich der Ereignisse und der Emotionen, gewaltig auch hinsichtlich der sprachlichen Ausdruckskraft Kennedys. Und doch steckt es voller leiser Zwischentöne, ist poetisch in den Schilderungen der Landschaft und der Eigenarten der einzelnen Personen. Personen, die sie schonungslos in ihrer Schwäche und Bedürftigkeit schildert, mit ihren Abgründen und Schattenseiten, dabei aber nie bloßstellt.


    Es ist schmerzhaft, es ist berührend, spannend, witzig, ironisch und wunderschön.
    Es geht um den Tod, und es geht um das Leben, das so zerbrechlich ist und doch so stark. Es geht um das Schreiben und die Kunst und den schwankenden Spaziergang entlang des Abgrunds, der Leben und Tod trennt.
    Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal ein Buch gelesen zu haben, das so bewegend über die Beziehung zwischen Vätern und Töchtern erzählt wie dieses. Und über die Liebe, Liebe in jeder Form, die Schmerzen und Sehnsüchte, die sie mit sich bringt, die Erfüllung und Erlösung durch sie.


    Es sind in der Tat schräge bis kaputte Personen, die diesen Roman bevölkern - und trotzdem lernt man sie im Laufe der Geschichte in ihrer Individualität zu akzeptieren, ja gar zu mögen.
    Sogar Nathan. Den ganz besonders.


    ASIN/ISBN: 3596157196

  • Das ist ein wirklich, wirklich tolles Buch. Das hier schrub ich seinerzeit:


    Eine Übung bei vielen "Kreatives Schreiben"-Workshops besteht darin, sämtliche Adjektive und Adverbien zu streichen, um zu überprüfen, ob der Text trotzdem noch zu seiner Aussage, seiner Handlung kommt. A.L. Kennedy war in dem anderen Workshop.


    Die nunmehr neunzehnjährige Mary Lamb wurde im Kleinkindesalter zu den "Onkels" gebracht, dem Mutterbruder Bryn und seinem Lebensgefährten Morgan, die in einem walisischen Nest ein beschauliches, überaus achtsames Leben führen, all ihre Liebe und ihr Wissen dem Mädchen vermitteln, das nie wieder von der Mutter hörte, und von ihrem Vater glaubt, er sei tot. Eben jener Vater aber, der bekannte Schriftsteller Nathan Staples, lebt auf Foal Island, in einer Art Künstlerkolonie. Nathan und die anderen fünf Schriftstellereremiten bieten Mary ein Stipendium an, denn Mary gilt als begabt. Sie trennt sich von den Onkels und der zarten, tastenden Liebe zu Jonathan, genannt Jonno, zieht auf die herbe, etwas wilde Insel, um ausgerechnet bei ihrem Vater in die Lehre zu gehen. Ohne zu wissen, wer sich wirklich hinter dem einsamen, aufbrausenden, nur beim Schreiben die richtigen Worte findenden Mittvierziger verbirgt.


    Kennedy begnügt sich mit einer Handvoll Figuren, aber bei diesen wenigen schlägt sie mit voller Wucht zu. Da sind die beiden Onkels, Nathans versoffener Lektor Jack D. Grace, Joe, der einzige Schriftsteller auf der Insel, der nicht mehr schreibt, sich dafür um die anderen kümmert, Richard mit seiner promisken Ehefrau Lynda, das Paar, das sich wie zwei Enden eines Gummiseils ständig voneinander entfernt, um heftig wieder aufeinander zuzukommen, Louis, der hedonistische Historiker, Ruth, die dickliche, einsame Autorin, die seit einem Haibiß von nichts anderem mehr reden kann. Sogar Eckless, Nathans Hund, wird zur aktiven Persönlichkeit.


    Das Buch handelt in erster Linie vom Schreiben, genauer gesagt von der Bedeutung und Anordnung der Worte, und konsequenterweise wird jede Szene, jeder Dialog um das Gedankenkostüm jeweils eines Beteiligten ergänzt, in der Hauptsache Mary und Nathan. Die beiden nähern sich an, Mary gelingt es, Nathans Panzer zu durchbrechen, aber das hindert natürlich niemanden daran, jedwedem sich bietenden Mißverständnis zu erliegen, Porzellan zu zerbrechen, dem Schritt aufeinander zu wieder den gegenteiligen folgen zu lassen. Aber "Alles was Du willst" ist viel, viel mehr als die Geschichte von Vater und Kind, die zueinander finden, weitaus mehr als eine Abhandlung über den Weg zum wirklichen Schriftstellersein, es ist ein extrem eloquentes, eindringliches, sehr nahes, einfach toll geschriebenes Buch über Freundschaft, Liebe, Träume, Wünsche, Tod, Achtsamkeit und Ehrlichkeit.
    Bemerkenswert ist die dramatische Tiefe, die Kennedy jedem noch so kleinen Ereignis zu geben in der Lage ist, vor allem aber ihre Diktion, ihre sprachliche Größe, ihre Fähigkeit, immer jene Worte zu wählen, die einem beim Lesen als die einzig möglichen, richtigen vorkommen. Fantastisch. Was für ein Buch. Völlig unmöglich, den Eindruck in angemessene Worte zu fassen.

  • "Und der Gewinner ist Kemmlers grauenhafte, grottenschlecht geschriebene Hommage an den Stumpfsinn, diese postmoderne Kotztüte voll selbstreferenziellen Schleims, dieser Schlüsselroman ohne Schlüssel, dieser Ich-hole-mir-über-meine-Ex-Frau-einen-runter-Müll, ausgespuckt vom langweiligsten und undankbarsten Penner, der je ein Sektglas in der Hand gehalten hat. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Scheiße."
    (Zitat von Jack D. Grace, Lektor von Nathan Staples in Alles was Du brauchst)

    Die Idee von A.L. Kennedy dieses Buch zu schreiben kommt mir irrwitzig vor. Ein Buch, das alle Aspekte des Schreibens in den Mittelpunkt stellt, auf allen Ebenen. Ein Buch, das vielfach geäußerte Schreibregeln wörtlich in die Handlung einbettet und sie dabei ad absurdum führt. Und gleichzeitig bestätigt.
    Ein postmodernes Feuerwerk der Selbstreflektion.
    Trotz dieser Abstraktion schafft A.L. Kennedy diese irrwitzige Idee sprachlich virtuos als eine Geschichte zu erzählen, die zutiefst menschlich und emotional ist, in der der abstrakte Vorgang des Schreibens mit der Essenz des Lebens gleichgesetzt wird. Großartig.

    Als Ergänzung hier eine Übersicht von Schreibregeln bekannter Schriftsteller, u.a. auch A.L. Kennedy:
    Schreibregeln Guardian

    Und einen Essay zur Unsinnigkeit von Schreibregeln von Richard Morgan:
    Richard Morgan: On the pointlessness of prescription