Rundumschlag II
Die lange angekündigte und nun unter dem Druck von Toms Vorlage entstandene Rezension:
Ein packendes Buch. Ein philosophisches Buch. Ein durch und durch polemisches Buch.
Michel Onfray schreibt ein Werk, dessen Titel in doppelter Weise (verbal und künstlerisch) anspricht. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis und die Notwendigkeit, es gelesen haben zu müssen, bestätigt sich. Einer ausführlichen Forderung einer „Atheologie“ schließen sich Gedanken über die Monotheismen, das Christentum im Speziellen sowie die Theokratie als von den monotheistischen Religionen hervorgebrachte Gesellschaftsform und deren notwendige Überwindung an. Bei diesen Betrachtungen dreht sich Onfray permanent im Kreis, nicht aus Phantasielosigkeit, sondern um die Schlinge, die um den Hals des unaufgeklärten, immer noch an einen Gott glaubenden Lesers gelegt ist, systematisch zuzuziehen. Weit holt er aus, wenn er nachzuweisen versucht, dass sich die Menschen Jahrtausende lang dumm halten ließen, dass der Todestrieb kranker Religionen dem irdischen Glück der Menschen im Weg steht, und dass letztendlich ein wirklich postchristlicher Laizismus nötig ist, den es heute noch nicht gebe, da der aktuelle noch viel zu sehr von dem geprägt sei, was er angeblich bekämpft.
Er wirft den monotheistischen Religionen beispielreich vor, dass sie vom Tod, dem vermeintlichen Feind des Menschen, das Leben bestimmen lassen und durch das Verweisen auf das Jenseits das Genießen des irdischen Lebens, des Diesseits verhindern. Onfray geißelt die Religionen als Intelligenzbekämpfer, deren Regierungsprogramm nur aus Verboten bestehe. Legalismus und Körperfeindlichkeit seien weitere Kennzeichen dieser lebensverhindernden Religionen.
Im Abschnitt über das Christentum geht der Autor lediglich von der Existenz Jesu als Begriff aus, während er die Hinweise auf einen historischen Jesus in zwei Zeilen als „recht ungenau“ wegwischt und die allgemein anerkannten diesbezüglichen Dokumente als Fälschungen im christlichen System bezeichnet. Die Figur „Jesus“ sieht er stellvertretend für die Hysterie einer ganzen Epoche an. Die Evangelien versucht er als zielgerichtete menschliche Werke voller Ungenauigkeiten und Widersprüche darzustellen. Die Beispiele, die er vorbringt, kennt allerdings jeder Theologiestudent seit dem ersten Semester. Interessant ist die Kennzeichnung des Briefeschreibers und Weltreisenden Paulus als Hysteriker, der durch seine Wahnvorstellungen letztendlich zweitausend Jahre Christentum prägte und „seine Neurose auf die ganze Welt übertrug“. Historisch unterstützt wird die Hysterie nach Onfray durch Konstantin, der 300 Jahre später die Verfolgten endgültig zu Verfolgern machte.
Ist das Buch bis hierhin vor allem sprachlich interessant (denn die Theorien reißen nicht unbedingt vom Hocker), werden wir auf den letzten hundert Seiten Zeugen der blühenden Phantasie Onfrays. Auf die „heiligen Bücher“ der monotheistischen Religionen bezogen betont der Autor den Wahrheitsanspruch jedes einzelnen Fragments der Schriften und ignoriert so natürlich jede historisch-kritische Schriftexegese, wie sie seit langem Standard zumindest im christlichen Bereich ist. Besonders abstrus werden die Gedankengänge, wenn er ausgerechnet Hitler zur vom Christentum geprägten, das Christentum bewundernden und von den Repräsentanten des Christentums umschwärmten (Interpretation des Rezensenten) Gestalt werden lässt. Natürlich schließt sich im Schnelldurchlauf auch noch ein Streifzug durch die Geschichte und die vom Christentum und den anderen monotheistischen Religionen begangenen Greueltaten an. Zum Schluss noch ein Schmankerl. Onfray wendet sich massiv gegen eine „Religion der Laizisten“ und schreibt: „Viele von denen, die sich engagiert für den Laizismus einsetzen, sind den Vertretern der Kirche zum Verwechseln ähnlich. Schlimmer noch: Sie erinnern regelrecht an Karikaturen dieser Kirchenvertreter ... Als Kleriker einer Kirche bigotter Atheisten haben diese Akteure dieser einst bedeutenden Bewegung offensichtlich den Anschluss an die Postmoderne verpasst.“ Da hat er sicherlich Recht
Fazit: Ich las ein Buch, das zu keinem Zeitpunkt langweilig war, das den Polemikfreund in mir befriedigte, und das darüber hinaus meine Ansicht bestätigte, dass man sich der Vernunft bedienen sollte. Dass dies allerdings nur ohne einen Gott möglich sein soll, leuchtete mir auch nach dieser Lektüre nicht ein. War aber sicher auch nicht zu erwarten
@ Tom: Enttäuscht oder in den Vorurteilen bestätigt?