Originaltitel: The Falls (2004)
Erscheinungsdatum: 2007
Seiten: 567
Verlag: S. Fischer
Hardcover - 22,90 Euro
Inhalt
Das Leben ist ein Verhängnis. Noch in der Hochzeitsnacht wird Ariah zur Witwe. Spurlos verschwindet ihr Mann in den Tiefen der Niagarafälle. Aber für Ariah fließt der Lebensstrom weiter, sie verliebt sich und gründet eine Familie - und dann schlägt das Schicksal noch einmal zu. Auch ihr zweiter Mann kommt auf mysteriöse Weise um. Jahrzehnte später decken die Kinder das Drama der Eltern auf: dunkle Geheimnisse, Betrügereien und verletzte Gefühle.
Meinung
Vor der Kulisse der faszinierenden und hypnotisierenden Niagara Fälle zeichnet Joyce Carol Oates eine fulminante Familiengeschichte, die sich ohne Zweifel flüssig, faszinierend und großartig lesen lässt.
Geschrieben wird das Jahr 1950. Am Tag nach ihrer Hochzeit, von der sowohl Ariah als auch Gilbert, das frischvermählte Paar, wohl wesentlich weniger begeistert waren als ihre religiösen Eltern, erwacht Ariah in ihrem leeren Hotelbett in Niagara Falls. Ohne zu wissen, wo ihr „neuer“ Ehemann steckt, erahnt Ariah im Innersten eine Tragödie, die sich auch wenig später bewahrheitet: Der Bräutigam hat sich in die Fälle gestürzt. Ariah, überzeugt von einem auf ihr lastendem Fluch, verbringt die Tage bis zum Fund von Gilbert in einer Art Trance. Sie ist schwer ansprechbar und wirkt mehr als apathisch bzw. im höchsten Maße traumatisiert. Während dieser Zeit lernt sie der wohlhabende, gutaussehende und sympathische Anwalt Dirk Burnaby kennen, der es sich umgehend zur Aufgabe macht, diese ungewöhnlich Rothaarige, die eine ganz besondere Faszination auf ihn ausübt, zu beschützen. So kommt es, dass sich diese beiden in eine Affäre stürzen, im vollen Bewusstsein darüber, damit sämtliche gesellschaftliche Konventionen zu brechen. Kurze Zeit später hält Dirk Burnaby um Ariahs Hand an, das Paar heiratet und Ariah scheint auch hier eine dunkle Vorahnung zu beschleichen, dass ihr Glück nicht von Dauer sein wird.
So weit, so gut. Dirk und Ariah bekommen drei Kinder (Ariahs Beweggründe hierfür sind nicht selten reichlich makaber), und verleben einige glückliche Tage miteinander. Bis Dirk Burnaby sich eines Tages eines Falles annimmt, der alles zerstört (im Übrigen ist dieser „Fall“ eine Anlehnung an den realen Giftmüllskandal des Love-Canals der siebziger Jahre in Niagara Falls). Dirk beißt sich fest, hat weder Zeit für die Familie noch für sich selbst, und verliert durch die Aufdeckung korrupter politischer Machenschaften nicht nur sein Ansehen sondern auch sein Vermögen und seine Familie.
Aus wechselnden Perspektiven beleuchtet Joyce Carol Oaots in einer peinlich genauen, detaillierten und faszinierenden Schreibweise die Geschichte der Familie Burnaby - insbesondere natürlich mit dem Augenmerk auf Ariah Burnaby. Auf keiner der über 560 Seiten kommt Langatmigkeit auf. Die Sprache, die ebenso gewaltig wirkt wie die Kulisse in die sie eingebettet ist, hält gefangen und gewährt tiefe Einblicke in die seelischen Abgründe der Figuren. Ariah kommt dabei - zugegebenermaßen - immer schlechter weg. Wirkt sie zu Beginn noch sympathisch, selbstbewusst und konsequent, so nehmen ihre Gedanken und Handlungen immer stärkere wahnsinnige Züge an, bis hin zum Fanatismus. Faszinierend auch, wie die erwachsenen Kinder zum Schluß als einzelne ihre isolierte Kindheit betrachten. Was aus ihen geworden ist, wie sie zu ihrer Mutter stehen und sie lieben, wie abhängig sie von ihrer Mutter und deren Laune sind, wie wenig sie mit der Situation des "nie dagewesenen" Vaters umgehen und wie sie letztendlich schaffen, mit dem Tod des Vaters fertig zu werden.
Und doch hatte ich auch genau damit auch meine Probleme. Viele Beweggründe bleiben unklar, zwielichtig und überzeichnet. So sehr die Autorin im Grunde jede Situation, jedes Verhalten bis zum Ende hin durchdenkt und beschreibt, so sehr lässt sie dann doch manche Befindlichkeiten im Raum stehen und geht nicht weiter darauf ein, wie beispielsweise auf die Selbstmordgedanken der Tochter oder Chandlers Verhalten in der Extremsituation und die darauf folgenden Konsequenzen. Auch die nähere Bedeutung des Abschnitts, in dem Royall, der mittlere Sohn Ariahs, auf die "Frau in Schwarz" trifft, ist mir völlig unklar geblieben und hat sich auf keine Art und Weise der restlichen Handlung angeschlossen. So jedenfalls scheint es mir. Es ist jedoch auch nicht wenig wahrscheinlich, dass mir etwas Wichtiges entgangen ist.
Joyce Carol Oates hat an einer Stelle des Buches mit einem Satz auf den Punkt gebracht, was in diesem großen Werk steckt: Letztendlich sind alle Dramen Familiendramen. Und das ist es auch, was man geboten bekommt - mit allen Höhen und Tiefen, eingebunden in die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse (Zwänge) der 50-er bis 70-er Jahre. Und trotz mancher Unstimmigkeiten, ist dieses Buch ein literarisches Highlight, welches mich nachhaltig beeindruckt hat.