Beziehungswaise, Michel Birbaek, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, 2007, ISBN 978-3-7857-2283-1, 16,95 €
Zum Autor: (lt. Klappentext)
Michel Birbaek. Tankwart, Torwart, Däne. Geboren in Koenhagen, lebt in Deutschland. Autor von "Wenn das Leben ein Strand ist, sind Frauen das Mehr" und "Was mich fertig macht, ist nicht das Leben sondern die Tage dazwischen". Drehbuchautor, Erzähler, Kolumnist und Erfinder der Sit-Down-Comedy.
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Meine Meinung:
Eigentlich bin ich an den Roman „Beziehungswaise“ von Michel Birbaek mit vollkommen falschen Vorstellungen herangegangen. Da ich wusste, dass Michel Birbaek früher Gags für Harald Schmidt und Stefan Raab schrieb, dachte ich, dass es sich bei seinem Roman um ein witziges, humorvolles Buch handelt. Weit gefehlt – und doch so wahr. Ich habe so viel mehr bekommen als ein launiges, lustiges, schnell vergessenes Leseerlebnis; ich habe einen humorvollen, zuweilen sarkastischen, aber auch liebevoll warmherzigen, lebensweisen (nicht lebenswaisen) und nachdenklich machenden Blick in die Realität eines Mittdreißigers, wie es viele geben mag, bekommen.
Lasse ist ein Comedian, dem nach anfänglichen Hochflügen Ziel, Erfolg und Humor abhanden gekommen sind. Auf dem Tiefpunkt seiner Karriere moderiert er Seniorennachmittage auf der MS Karrieretod, wie er das Clubschiff nennt, findet aber nicht den Antrieb neue Aktivitäten zu entwickeln, um seine Karriere wieder in eine andere Richtung zu lenken. Seine Beziehung hat zwar nach sieben Jahren nicht den Liebestod, jedoch den Sextod erlitten – nach fünf gemeinsamen Jahren schlief er eines Abends neben der Geliebten ein und wachte am nächsten morgen neben der besten Freundin auf. In Konsequenz schlafen die beiden nur noch neben- und nicht mehr miteinander. Das Traumpaar Lasse und Tess hat über Jahre hinweg immer an ihren Zielen gearbeitet – leider nie an gemeinsamen Zielen. Tess berufliche Entwicklung führte dazu, dass aus der Beziehung erst eine Wochenendbeziehung, dann eine Monatsendbeziehung wurde. Gerade als Lasse eine neue Karrierechance auf Basis eines manipulierten Castings bekommt, erhält Tess ein neues lukratives Jobangebot in China. Damit stellt sich für beide die Frage, ob aus der Monatsendbeziehung eine Jahresendbeziehung werden soll oder ein Beziehungsende. Als wenn dies nicht schon genug wäre, erfährt Lasse, dass sein Vater schwer krank ist...
Michel Birbaek vereint in seinem Roman „Beziehungswaise“ viele Themen, die man nicht unbedingt in einem einzigen Roman vermuten würde. Es geht um Comedy und um Sterbehilfe. Es geht um Liebe und Freundschaft. Es geht um Karriere und Erfolg, Sex und Leidenschaft, Halten und Loslassen, Trennungen und Beziehungen. Von Letzterem hat der lustige Däne Lasse eigentlich jede Menge: Freundin, Vater, die Lebensgefährtin des Vaters, Schwester, die beiden WG-Mitbewohner, Freund Stan, sein Agent und die Comediankonkurrenz sind allesamt interessante Charaktere mit Ecken, Kanten und Eigenheiten. In seinem eingeschränkten vor sich Hintreiben, muss Lasse erst spüren und lernen, wie viel ihm diese Beziehungen geben und was er von den Menschen, die ihn mögen, lernen kann. Und er muss eine Antwort auf die Frage finden, wie man eine Liebesbeziehung richtig gestaltet, wenn man die Richtige schon gefunden hat. Schlussendlich muss er sich selbst in Frage stellen, aus dem Getriebensein lösen und Entscheidungen treffen; etwas was ihm immer schwer gefallen ist.
Michel Birbaek lässt Lasse eine wichtige Phase seines Lebens mit trockenem, oft beißendem Humor erzählen, schafft es aber auch, ernste Szenen mit der notwendigen Tiefe zu versehen und mit ganz leisem Humor zu erhellen. Mit Vergnügen liest man seine Seitenhiebe auf die Comedianszene, nachdenklich verfolgt man die Passagen, in denen er sich über Beziehungen und das Leben Gedanken macht. Wirkt die ein oder andere Nebenfigur ein bisschen zu skurril, sind die Kommunikationstrainerin Tess und der Comedian Lasse doch absolut realistisch geraten und können sicher als Beispiel für manch anderes Mittdreißigerpaar stehen, auch wenn die Berufe vielleicht andere sind. Obwohl die Handlung zunächst etwas schwer in Gang kommt, sind die Figuren so interessant, dass gelegentliche Längen im Beginn schnell vergessen sind.
Mit seinem Roman „Beziehungswaise“ hat mich Michel Birbaek mit einem witzigen, klugen, ernsthaften, emotionalen, warmherzigen und liebenswerten Roman überrascht – einem Roman wie das Leben eben ist. Ganz sicher werde ich in Kürze zu einem seiner vorherigen Bücher greifen.