Klappentext
Ausländische Diplomaten, die den ersten Weltkrieg in Leningrad (das damals noch St. Petersburg hieß) verbrachten, erinnern sich noch heute, wie erbarmungslos kalt die Winter waren. In froststarren Schützengraben lagen sich die Armeen der kriegführenden Nationen einander gegenüber. Aber St. Petersburg war weit von der Front entfernt. Inmitten der Stadt, in einem Kellergewölbe des riesigen Palastes des Fürsten Jussupoff, saßen in der Nacht des 29. Dezember 1916 zwei Männer beieinander. Der jüngere der beiden sang. Seine weiche Stimme füllte den halbdunklen Raum. Von der niedrigen Decke hingen zwei altertümliche Lampen aus farbigem Glas und warfen Schatten auf die schweren Steinquadern der Wände. Seine fiebrigen Augen schweiften ruhelos umher, blieben an den schwarzen Portieren hängen, die die Fenster verdeckten. Die Augen des älteren Mannes waren geschlossen. Sein Kopf war tief über den Tisch gebeugt. Das lange dunkle Haupthaar fiel in wirren Strähnen über das harte Bauerngesicht Rasputins bis auf den Kragen der bestickten weißen Seidenbluse. Ohne aufzublicken, murmelte er: "Wie schön du singst! Sing weiter!" Der Wein auf dem Tisch funkelte rot. Keine Spur war in dem Glas zu sehen von dem feinen weißen Pulver - dem Zyankali, einer vierfach tödlichen Dosis. "Trink!" flüsterte der junge Mann. "Dann singe ich weiter." Der Bärtige blickte auf. Seine verhangenen, schwerlidrigen Augen ruhten einen langen Augenblick auf dem Gesicht des jungen Mannes. Sein Gesicht verzog sich. Er lächelte. Er nahm das Glas auf und leerte es auf einen Zug. Und der Mörder begann zu singen . . .
Im Jahre 1927 fanden Bauarbeiter der Stadt Odessa während der Reparaturarbeiten an den neuen Kanalisationswerken unter den Ruinen des während der Revolution zerstörten Polizeipräsidiums den Eingang zu einem unterirdischen Kellergewölbe. In den Sälen des Gewölbes fand man über fünfhundert Holzschränke, jeder drei Meter hoch und zwei Meter lang. In diesen Schränken waren spezielle Akten der Ochrana aufbewahrt worden, der Geheimen Staatspolizei des zaristischen Regimes, und zwar schien es sich im wesentlichen um "private Aufsichtsakten" des Generals Spiridowitsch zu handeln, der als Chef der Geheimen Sicherheitspolizei am Hof Nikolaus II. von 1906-1916 die führenden Persönlichkeiten des kaiserlichen Hofes überwachen ließ. Die Unterlagen dieser Überwachung, mit Hunderten von größtenteils unveröffentlichten Abschriften und Fotografien, wurde in Odessa aufgefunden. Von 1929-1942 arbeiteten Historiker an der Sichtung und Ordnung dieser Akten. Die Arbeit wurde durch den Krieg unterbrochen und erst 1947 wieder aufgenommen. Seit einiger Zeit sind nun die Ergebnisse dieser Arbeit im Archiv der Historischen Zentralbibliothek in Moskau veröffentlicht worden - und diesen Veröffentlichungen und der pedantischen Präzision der Ochrana-Beamten verdanken wir zahlreiche neue, bisher unbekannte Einzelheiten über das Leben und Treiben des Grigori Jefimowitsch Rasputin, die der Autor hier gewissenhaft und anschaulich verarbeitet hat.
Autor (von wikipedia, da im Buch selbst keine Hinweise zu ihm stehen)
Heinz Liepman (eigentl. Liepmann, * 27. August 1905 in Osnabrück, † 6. Juni 1966 in Agarone/Schweiz) war ein deutscher Schriftsteller und Antifaschist. 1926-28 war er Dramaturg an den Hamburger Kammerspielen und veröffentlichte 1926-33 mehrere Romane und Theaterstücke. April 1933 protestierte er öffentlich gegen die Diskriminierung eines jüdischen Schriftstellers, den die Nazis nicht ins Altonaer Stadttheater gelassen hatten. Juni 1933 wurde er von den Nazis wahrscheinlich kurzzeitig im Konzentrationslager Wittmoor bei Hamburg eingesperrt und floh im November nach Holland. Ende 1933 erschien in Amsterdam sein Roman "Das Vaterland". Darin schildert er, wie die Besatzung eines Fischkutters nach dreimonatiger Fahrt im März 1933 nach Hamburg zurückkehrte und ihr Vaterland in furchtbarer Weise verändert vorfand. Nach 1945 blieb er in Westdeutschland weitgehend vergessen.
Meine Meinung
Dieses Buch erschien 1958, meine Ausgabe ist ein Exemplar des Bertelsmann Leseringes mit 303 Seiten und einigen schwarz-weißen Fotografien und Abbildungen.
Obwohl Heinz Liepman als einziger Autor angegeben ist, schreibt er doch bei seinen Recherchen (vor allem bei dem Besuch bei Fürst Jussupoff in Paris) immer wieder in der "Wir"-Form. Leider habe ich nirgends herausfinden können ob das vielleicht ein Spleen des Autors war oder ob es einen Co-Autor zu diesem Buch gab.
Dieses Buch erzählt das Leben des mysteriösen Wundermönches Rasputin (der eigentlich gar kein Mönch war). Dabei wechseln sich sachliche Beschreibungen mit romanhaften Abschnitten (die auf relativ exakten Gesprächsmitschriften der oben erwähnten Ochranaspitzel beruhen) ab. Der Autor schafft es durch diese Verbindung, die Biographie nicht wie eine staubige Ansammlung und Abschrift von Fakten wirken zu lassen, sondern wie ein spannendes und faszinierendes Buch, das man gerne liest.
Aufgezeigt wird der Werdegang des Grigori Jefimowitsch Rasputin, vom Sohn eines stadtbekannten Säufers, zum Fuhrmann in den Steppen Sibiriens und kurzzeitigen Mönches bis zum Wunderheiler und engstem Vertrauten des russischen Zaren Nikolai II. Ebenso geschildert wird die politische Situation in Russland, in der der Zar von zwei verschiedenen Seiten, den rechtsgerichteten und machtgierigen Vertretern von Adel, Kirche und Regierung und den sozialistischen Revolutionären im Volk in die Zange genommen wird. Das in Verbindung mit der schwächlichen Verfassung des Zaren (sowohl körperlich als auch was Durchsetzungsvermögen betrifft) macht einem sehr schnell klar: Egal wie es gekommen wäre, der Mann hatte keine Chance.
Die Figur des Rasputin umgibt eine geradezu übersinnliche Aura. In diesem Buch wird mehrfach von Wunderheilungen in letzter Sekunde berichtet, die von den anerkanntesten Ärzten Russlands als unfassbar bestätigt wurden. Immer wieder kommt der Hinweis auf hypnotische Kräfte, mit denen sich eingebildete Krankheiten wohl heilen lassen, aber die mehrfach auftretenden Verletzungen des kleinen Zarewitsch (der Junge war Bluter) bei denen ihn selbst die Ärzte für verloren erklärten stimmen nachdenklich (so sie denn tatsächlich der Wahrheit entsprechen).
Rasputin war allerdings wahrhaftig kein Heiliger. Sowohl vor als auch während seiner Ehe hat er gesoffen wie ein Loch (und offenbar sehr viel vertragen), herumgehurt und in den einschlägigsten Häusern getanzt und gefeiert. Auf der anderen Seite war er für alle da die ihn um Hilfe baten, verlangte nie Bezahlung und gab von dem was er freiwillig erhielt, das Meiste an die Armen weiter. Ein sehr zwiespältiger Charakter.
Nachdem er von einer Gruppe von Verschwörern als Werkzeug am kaiserlichen Hof eingeschleust wurde, erweißt er sich allerdings als alles andere als willig sich von diesen lenken zu lassen, nun da er das uneingeschränkte Vertrauen des Zaren und der Zarin genießt. Rasputins Neider versuchen immer wieder in zu diskreditieren oder zu bestechen. Als alle Versuche scheitern, kommt es zu einem der berühmtesten Mordanschläge der Geschichte. Laut Aussage eines der Mörder, des Fürsten Felix Jussupoff, war Rasputin selbst nach einer 10-fach tödlichen Menge ans Zyankali und mehreren Schusswunden (eine direkt ins Herz) immer noch am Leben. Inwiefern das nun der Wahrheit entspricht kann ich nicht sagen (auf wikipedia steht zum Beispiel, dass im Obduktionsbericht von Rasputin keinerlei Zyankali im Körper gefunden wurde), aber es ist natürlich eine sehr rätselhafte Geschichte. Ebenso rätselhaft wie die Prophezeiung die er dem Zaren schon lange vorher machte: Wenn ich tot bin, wirst Du innerhalb eines Jahres Deinen Thron und Dein Leben verlieren. Wie so viele andere der Voraussagen des Rasputin, sollte sich auch diese als Richtig erweisen.
Fazit: Eine interessante Biographie die Rasputin als einen sowohl fehlerbehafteten als auch tugendsamen Menschen zeigt, zu dem das Volk als einen der ihren und von Gott gesandten Wundertäter aufblickte. Offenbar glaubte auch er selbst, von Gott auserwählt zu sein, immer wieder sagte er, er müsse Gottes Stimme in seinem Inneren folgen. Scheinbar wusste er schon lange vorher von dem Mordanschlag und machte es seinem Mörder sogar leicht (das Ende im Buch hat an manchen Stellen schon fast was von einem Jesus-und-Judas-Gleichnis). Negativ aufgefallen ist mir hin und wieder der Schreibstil, der zu Wiederholungen und immer gleichen Phrasen neigt (der Zar wird immer wieder als "freundlicher und ängstlicher Mann" bezeichnet, Rasputin als "Urbild eines russischen Bauern", "wild und brutal" beschrieben. Ob das Bild, das dieses Buch zeichnet auch zu 100% der Wirklichkeit entspricht, kann ich nicht beurteilen, dazu müsste ich auch andere Quellen vergleichend hinzuziehen. Es ist aber allemal eine unterhaltsame Biographie die einem eine Ahnung von einer der schillerndsten Persönlichkeiten der Jahrhundertwende gibt.