Bücher überraschen mich immer wieder. Jedesmal, wenn ich denke, ich habe alles schon mal gelesen, taucht eines auf, das mich umgehend eines Besseren belehrt. So erwirbt man Erfahrung. Ob ich allerdings diese Erfahrung hier gebraucht habe, kann ich nicht recht entscheiden.
Ingeborg Bayer, so verrät mir der Klappentext des etwas knallig gestalteten Schutzumschlags um das wirklich solide und schön gemachte Buch, wurde in Frankfurt/Main geboren, war wissenschaftliche Bibliothekarin, hat Medizin und Hindi studiert und lebt inzwischen in Freiburg als freie Schriftstellerin von sozialkritischen Jugendromanen und historischen Romanen. Das Internet ergänzt noch das Geburtsjahr: 1927, verweist neben den Romanen auf Theaterstücke und zählt eine Reihe wichtiger Jugendpreise im In - und Ausland auf. Ein Titel von ihr, Die vier Freiheiten der Hanna B. ist sogar Schullektüre. Prompt bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Eine kritische und renommierte Jugendbuchautorin, bekannt in In - und Ausland und das ist mir bislang entgangen! Also, schleunigst hinein in die Geschichte von Jacobäa.
Sie beginnt in Augsburg um 1560. Jacobäa, so erfahren wir auf den ersten Seiten, lebt mit ihren Großeltern und Brüdern in der Fuggerei, weil sie nach dem Tod der Eltern verarmt sind. Der Großvater ist Puppenmacher, Jacobäa Näherin, die Brüder verdingen sich als Taglöhner. In Augsburg wie im ganzen Reich beherrschen religiöse Auseinandersetzungen das Tagesgeschehen, Lutheraner streiten gegen Katholiken.
Jacobäa ist auch persönlich betroffen, sie ist überzeugte Katholikin, aber der ehemalige Nachbarssohn Valentin, mit dem sie eine tiefe Jugendliebe verbindet wie auch ihr Bruder neigen der Reformation zu. Wenn aber bekannt wird, daß der Bruder nicht recht katholisch ist, droht die Vertreibung aus der Fuggerei.
Ein anderes Problem Jacobäas ist es, daß sie unbedingt eine berühmte Puppenmacherin werden möchte. Das Zentrum dieses Gewerbes sieht sie in Paris. Dort also möchte sie hin, das ist ihr Traum und dorthin reist sie auch. Es gelingt ihr, sich als Puppenmacherin zu etablieren und reich zu werden, sich mit ihrem Jugendfreund zu treffen, um sich mit ihm zu entzweien, ein Leben als Agentin der Kirche gegen die Täufer zu führen oder so ähnlich und schließlich in Heidelberg zu landen, wo sie ihr Scherflein dazu beiträgt, das den Juden im 14. Jahrhundert zugefügte Unrecht aufzudecken.
Der Autorin allerdings gelingt es nicht, einem beim Lesen von etwas anderem zu überzeugen als dem Umstand, daß hier keiner auch nur die allergeringste Ahnung von irgendetwas hat.
Das Augenmerk ist ausschließlich auf Jacobäa gerichtet, aber nicht einmal sie wird wirklich rund. Alle anderen Charaktere bleiben bloße Namen, selbst Valentin. Der Ablauf dessen, was man als Handlung bezeichnen könnte, ist unstrukturiert und wirr. Über weite Strecken werden nur Ereignisse aneinandergereiht, ohne daß ein innerer Zusammenhang sichtbar wird. Die Absicht, die Hauptperson nach Paris zu bringen, ist von Anfang so deutlich, daß man sich rasch fragt, warum es so lange dauert, bis sie endlich dort ist. Zuweilen wirkt der Text wie eine Ideensammlung. Das kann noch passieren, jenes noch geschehen und genauso wird es heruntergeleiert.
Jacobäas Aufstieg zur berühmten Puppenmacherin ist mehr als märchenhaft. Man reist in eine fremde Stadt, lebt ein bißchen vom Ersparten, schaut bei den ortsansässigen Handwerkern vorbei, erklärt, daß man alles besser kann und bekommt umgehend die ersten Aufträge. Früher war eben alles leichter.
Aufgefangen werden können hätte diese äußerst schwache Story einer starken Frau, die so ‚eher früher’ auf Selbstverwirklichungstrip geht, durch eine echte Liebesgeschichte. Dann hätte man wenigstens etwas gehabt von diesem Konglomerat an vagen Ideen. Aber auch das fällt flach. Man versteht weder, was Valentin antreibt noch was Jacobäa eigentlich will. Sündigen oder nicht sündigen? Beim Lesen dieser Stelle ist einem sowieso schon alles gleich.
Vollkommen unverständlich und unsinnig ist der letzte Teil, die Beschreibung des politisch korrekten Verhaltens einer jungen Frau des 16. Jahrhunderts angesichts des Unrechts, das Juden ca. 200 Jahre vor ihrer Zeit erlitten haben. Es ist extrem abenteuerlich, aber endlich etwas fürs Herze. Jacobäa weiß halt, wie frau alles richtig macht.
Die Ungereimtheiten in der Handlung, bei der Gestaltung der Charaktere wie bei der Darstellung historischer Vorgänge treten umso deutlicher zutage, da die Autorin tatsächlich ziemlich gut schreiben kann. Diese Fähigkeit war es, die mich dazu gebracht hat, mich immer wieder einmal ein Stückchen in diesem Labyrinth vorwärtszubewegen.
Als Ergebnis dieser wahrhaft harten Lektüre zeichnete sich im Lauf der 345 Seiten ab, daß dieses Unglücksbuch de facto aus drei Romanen besteht. Einmal die Geschichte einer jungen Frau, deren Familien - und Liebesangelegenheiten in die Wirren der schwierigen Zeiten der Gegenreformation geraten, zum zweiten die Geschichte einer Puppenmacherin aus dem späten 18./frühen 19. Jahrhundert - die historischen Angaben zu diesem Handlungsstrang sind fast durchgängig völlig falsch für das 16. Jahrhundert, durchaus richtig aber für die Zeit ungefähr 200 Jahre später - und schließlich einem Roman der Spurensuche jener Juden, die im späten 14. Jahrhundert aus Heidelberg vertrieben wurden, infolge der Universitätsgründung 1386.
Die Vermischung der drei Geschichten ergibt eine Mahlzeit, die völlig unverdaulich ist. So kann man Jacobäas Traum leider nur als Folge akuten Magendrückens betrachten.