G8-Demo in Rostock

  • Ich stimme Behrnie im Grundsatz zu. Anarchie in der von ihm skizzierten Form wäre meines Erachtens möglich, hätte allerdings einen radikalen Umbruch des gesellschaftlichen Zusammenspiels zur Folge. Unter anderem eine maximale Eigenverantwortung. Alles, was momentan der Staat für einen regelt, müsste man selbst organisieren. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob es dann mehr Kapitaldelikte geben würde. In einer solchen Gesellschaft hätte jedes potenzielle Vergewaltigungsopfer eine Automatikpistole dabei, was vermutlich abschreckender wirken würde als die theoretische Möglichkeit, dass ein Polizist hinter der nächsten Ecke stehen könnte.


    Aber, und da sind wir wieder bei den G-8: Es funktioniert meines Erachtens tatsächlich nur und ausschließlich in Gesellschaften, die so klein sind, dass man sich persönlich kennt und ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl hat. Die Familie, der Stamm. In unserer modernen Welt vielleicht das Haus, der Straßenzug, maximal das Dorf.
    Eine so fragmentierte Gesellschaft wird keine globalen Probleme lösen, weil das ihre Koordinationsfähigkeit überforderte. Weder den Hunger in Afrika noch den Klimawandel noch weitere Themen, die die G-8 diskutieren.

  • Eine Gesellschaft ohne staatliches Gewaltmonopol kann nur in einer Gruppe funktionieren, die noch klein genug ist, damit die grundlegenden Regeln des Zusammenlebens mittels des sozialen Drucks der Gemeinschaft kontrolliert werden können.
    Sobald wir in einer Gesellschaft leben in der sich jeder in eine Anonymität begeben kann und damit der soziale Druck der Gesellschaft bei Regelverstoß aus der lebensnotwendigen Gemeinschaft ausgestoßen zu werden nicht mehr existiert, funktioniert ein solches System nicht mehr.

  • Zitat

    Original von Bernard
    Anarchie in der von ihm skizzierten Form wäre meines Erachtens möglich, hätte allerdings einen radikalen Umbruch des gesellschaftlichen Zusammenspiels zur Folge.


    Welche skizzierte Form?
    Und wo findet da kein Herrschaftsprinzip statt?
    Erklärt es mir.
    Und wenn ihr Zeit habt - die Fragen auf der Seite vorher waren nicht rhetorisch.

  • Zitat

    Original von Waldlaeufer
    Welche skizzierte Form?
    Und wo findet da kein Herrschaftsprinzip statt?


    Ich will Behrnie nicht vereinnahmen, aber, so wie ich es verstanden habe:
    Eine solche Gesellschaft funktioniert ohne Gesetze und ausschließlich über soziale Anerkennung oder Nicht-Anerkennung innerhalb von Kleingruppen. Regulativ sind ökonomische Sachzwänge, und zwar vermutlich in einer Tauschwirtschaft. Man muss nichts zur Gemeinschaft beitragen (kein Steuersystem, das in letzter Konsequenz von einer Exekutive durchgedrückt würde), bekommt dann aber von der Gemeinschaft auch nichts zurück.
    Da Gruppenzugehörigkeiten beliebig aufgekündigt werden können, ist eine Herrschaft von Menschen über Menschen praktisch nicht vorhanden, weil nicht etablierbar.


    Das ist Liberalismus in extremster Form.
    Ich vermute, das könnte funktionieren. Aber nur bei einem komplett alternativen Gesellschaftsentwurf.

  • Wechselnde Gruppenzugehörigkeiten aufgrund von Interessensverschiebungen heben keinesfalls die Form des Herrschaftsprinzips auf - da verweis ich erneut auf die Fragen eine Seite vorher. Im Gegenteil, die dynamische Gruppenstruktur macht das Wirkprinzip von Herrschaft erst deutlich. Liberalismus in extremster Form ist frei von einer bestimmten Form von reglementierendem Eingriff - aber nicht von Herrschaft. In dem Moment wo ich selbst über ein Regulativ wie Angebot und Nachfrage Maßstäbe ansetze, - und dann erst noch über den sozialen Status (??!) - habe ich bereits einen Mechanismus, der sehr wohl einzelnen Gruppen(mitgliedern) Herrschaftsrechte ermöglicht.
    Und auf die verzichten sie aus... reiner Menschenliebe?

  • oh Leute,


    wenn ich das lese, erinnert mich das an die 68-er. Nur ihr habt nicht den Mumm das zu leben, da ihr inzwischen von Sachzwängen abhängig seid.


    Ist das Antwort genug?


    das sagt jemand, Jahrgang 46, der damals auf den Barrikaden war


    hef


  • Nein, das ist keine Antwort, sondern Plattitüde.



  • Komisch, ich hab dich damals gar nicht gesehen. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe ein wenig das Problem, dass ich hier eine Gesellschaftsform erläutere, die ich zwar für möglich halte, aber nicht für wünschenswert. Bitte beachten: wenn ich schreibe: "es wäre soundso", meine ich damit definitiv nicht: "ich hielte es für erstrebenswert, wenn wir soundso leben würden".


    Zitat

    Original von Waldlaeufer
    ..., der sehr wohl einzelnen Gruppen(mitgliedern) Herrschaftsrechte ermöglicht.
    Und auf die verzichten sie aus... reiner Menschenliebe?


    Nein, aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Am Ende des Tages kommt Macht aus Gewehrläufen. Deswegen ist das staatliche Gewaltmonopol ja auch so wichtig. Ein Militär hat als Aufgabe, die Handlungsfähigkeit der Regierung jederzeit zu gewährleisten, eine Polizei, den Beschlüssen der Regierung Geltung zu verschaffen. Das können diese Institutionen, weil sie stärkere Gewalt ausüben können als ihre Opponenten. Anders ausgedrückt: Wenn der Schwarze Block regelmäßig die Straßenschlachten gegen die Polizei gewinnen könnte, hätten wir ein Problem, ebenso, wenn die Bundeswehr weniger Schlagkraft hätte als die Straßenpolizei von Teheran.
    Im Gegensatz zu früheren Zeiten wäre es in einer modernen Anarchie so, dass ein kleines Kind vermittels allgemein verfügbarer moderner Feuerwaffen die gleiche Macht ausüben könnte wie jeder andere auch. Man braucht nicht groß und stark sein und jahrelang Schwertkampf üben, um jemanden töten zu können.
    Entsprechend riskant lebt jemand als Diktator, zumal es ihm kaum gelingen wird, große Gefolgschaften zu sammeln, die ihn unterstützen (mangels der Existenz von Geld zum Beispiel).
    Dazu kommt die relative Problemlosigkeit des Gruppenwechsels, die ein bedeutender Faktor ist: "Mir gefällt eure Art des Zusammenlebens nicht - ich ziehe drei Straßen weiter." Abstimmung zwischen Gesellschaften/ Gruppen mit den Füßen. Ich habe mal ein Buch über die Geschichte Afrikas gelesen, wo diese aus geografischen Gegebenheiten resultierende Möglichkeit als einer der Gründe angeführt wurde dafür, dass südlich der Sahara keine größeren Staatswesen entstanden sind.


    Eine Analogie für diese Gesellschaftsform ist der Wilde Westen, allerdings mit Abstrichen (keine Währung, keine englische/ französische Kolonialmacht, ...). Eine raue Zeit, in die sich aber einige gern zurückträumen.


    Wenn man sich also den umfassenden Staat "wegdenkt", gäbe es eine unüberschaubare Vielzahl von Kleingruppen. Einige von diesen hätten vermutlich durchaus etablierte Herrschaftssysteme, insbesondere, weil es in ihrem Gebiet, wie von waldlaeufer richtig angemerkt, eine knappe Ressource gäbe, die alle bräuchten. Oder weil es irgendwo einen besonders charismatischen Menschen gäbe, den die anderen als Anführer akzeptierten.


    Dennoch vermute ich, dass das im Großen und Ganzen funktionieren würde. "Im Großen und Ganzen" meine ich dabei so, wie auch unsere parlamentarische Demokratie "im Großen und Ganzen" funktioniert. Auch hier gibt es Sachentscheidungen, die das Parlament recht eindeutig gegen den Willen der großen Bevölkerungsmehrheit trifft. Auch hier gibt es Bedürftige, die die Leistungen, die ihnen eigentlich zugedacht sind, nicht erhalten, und Schmarotzer, die sie stattdessen bekommen. Zudem ist spieltheoretisch erwiesen, dass Abstimmungsprozeduren eben nicht, wie man intuitiv annimmt, garantieren, dass im Ergebnis derjenige Beschluss gefasst wird, der den größten Bedürfnisbefriedigungsgrad für die Abstimmenden darstellt. Auch Pressefreiheit ist zwar schön, wird aber bei unfähigen Redakteuren zum Theoretikum. Wie oben ausgeführt: Der Mangel, dass ich selbst noch nicht einmal zu den fundamentalsten Festlegungen, wie etwa dem Grundgesetz, befragt wurde, sondern für meine Großeltern in Sippenhaft genommen wurde, ist kaum als demokratisch zu verkaufen. Polemisch gesagt ist das eine Herrschaft der (inzwischen) Toten über die (jetzt) Lebenden.
    Die Liste der Mängel ist also auch bei unserem gegenwärtigen System lang. Dennoch sage ich, es funktioniert. Und ebenso vermute ich, dass ein extrem-liberaler Anarchismus funktionieren würde. Unter anderem deswegen, weil er im Gegensatz zum Sozialismus keine Gutmenschen-Population voraussetzt.


    Er wäre allerdings keineswegs das Paradies. Aus meiner Sicht wäre er schlechter als das, was wir im Moment haben.

  • Zitat

    Original von Bernard
    Ein Militär hat als Aufgabe, die Handlungsfähigkeit der Regierung jederzeit zu gewährleisten, eine Polizei, den Beschlüssen der Regierung Geltung zu verschaffen. Das können diese Institutionen, weil sie stärkere Gewalt ausüben können als ihre Opponenten.



    Das sehe ich ein wenig anders. Das Militär hat die Aufgabe, den Staat nach außen hin zu schützen, ein Einsatz zur Stabilisierung der Lage im Inland ist ihm in Deutschland nicht gestattet, ausgenommen sind dabei Einsätze im Katastrophenfall.


    Die Polizei ist lediglich ein Teil der Verwaltung, also ein Teil der Exekutive. Natürlich ist die Polizei auch ein Teil der Vollzugsverwaltung, aber das sind Strafvollzug, Feuerwehr, Ordnungsämter, Steuerfahndung, Zoll etc. auch. Die Polizei ist nicht ausschließlich dazu da, Beschlüsse der Regierung umzusetzen, ihre Aufgabe ist vielmehr die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung. Ein Regierungsbeschluss ist Makulatur, wenn er nicht die rechtsförmlichen Anforderungen erfüllt. So hat beispielsweise eine Verwaltungsvorschrift keine Außenwirkung und kann daher nicht Gegenstand einer polizeilichen Handlung sein. Im Innenverhältnis allerdings ist die Polizei auch an solche Verwaltungsvorschriften gebunden.


    Staatliche Gewalt mit Willkür gleichzusetzen ist schlichtweg falsch. Auch staatliche Gewalt braucht immer Ermächtigungsnormen um handeln zu können. Sie finden sich normalerweise im allgemeinen und im besonderen Verwaltungsrecht. Gerade auch im Verwaltungsrecht wird staatliche Gewalt deutlich, durch das da herrschende Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürgern.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Voltaire :
    Als ich bei der Bundeswehr war, hat man mir dort im theoretischen Unterricht erklärt, dass der Auftrag der Bundeswehr sei, die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung jederzeit zu gewährleisten. Mit dieser Formel ist vermutlich das gleiche gemeint, das Du schreibst - jedes Volk hat eine Armee in seinem Land stehen, entweder die eigene oder eine fremde ...


    Die staatliche Gewaltausübung halte ich im grundsätzlichen Sinne schon für willkürlich, nämlich dann, wenn wir den Staat als Subjekt sehen. Natürlich gibt es Normen, nach denen die Gewaltausübung vollzogen wird, aber diese werden wiederum vom Staat gesetzt (und dann von der Exekutive, in letzter Konsequenz mit Gewalt, durchgesetzt).
    Fukuyama, ein Staatstheoretiker, hat in einem Radioninterview gesagt, das greifbare Kriterium dafür, was einen Staat ausmache, sei seine Möglichkeit, sein Regelwerk mit Zwang durchzusetzen.
    Das ist eine "de facto"-Argumentation - nach Fukuyama wären beispielsweise bestimmte Gebiete in Afghanistan nicht dem afghanischen Staat zuzuordnen, sondern dem "Staat" eines War Lords, weil dieser dort die Regeln macht und sie durchsetzt, egal, was in Kabul beschlossen wird, und zwar nicht im Einzelfall, sondern im Regelfall.

  • Natürlich ist staatliche Gewaltausübung in letzter Konsequenz durchaus auch willkürlich, beispielsweise nach einem Umsturz, weil dann geltendes Recht zwar weiterhin gilt, aber es nicht mehr durchsetzbar ist, weil das Handeln der staatlichen Organe in einer solchen Situation ohne gültige Rechtsgrundlage erfolgt. Das wäre dann in der Tat Willkür. Was interessiert in einem solchen Fall, dass die Artikel 1 und 20 GG nicht veränderbar sind? Das würde niemanden interessieren. De jure wären sie noch in Kraft, de facto aber lägen sie bereits auf dem Müll.


    Ein Gerichtsurteil ist beispielsweise auch immer nur soviel wert wie seine Durchsetzbarkeit. Das beste Urteil nutzt nichts, wenn es nicht vollstreckt werden kann.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Bernard
    Voltaire :
    […] - jedes Volk hat eine Armee in seinem Land stehen, entweder die eigene oder eine fremde […]


    Hallo, Bernard


    Bei einer solch kategorischen Aussage genügt meiner Meinung nach ein einziges Gegenbeispiel, um sie zu entkräften. In diesem Fall: Liechtenstein.


    Historische Fußnote:
    Das Land hat bereits im Jahr 1868 sein Militär abgeschafft. Die Begründung lautete, dass weder von Österreich noch der Schweiz ein Angriff zu fürchten sei und auch die «Liechtensteiner sich nicht in der Situation noch Absicht befinden, die Nachbarländer anzugreifen».


    Im Land kursiert eine Anekdote, dass eines Morgens eine Abteilung deutschen Militärs nach dem Anschluss Österreichs mit klingendem Spiel ins souveräne und neutrale Liechtenstein einmarschiert sei. Der damalige Fürst habe wutschnaubend mit der Reichskanzlei telefoniert, gegen Mittag sei der Spuk vorbei gewesen. Zumindest die Beschreibung "wutschnaubend" kann allerdings ins Reich der Legende verwiesen werden.
    Wahr hingegen ist, dass Liechtenstein im Jahr 1945 etwa 600 Überlebenden der 1. Russischen National-Armee, die auf deutscher Seite gekämpft hatten, Asyl gewährte und sie damit vor der Auslieferung an die Sowjetunion und der sicheren Hinrichtung als Kriegsverbrecher bewahrte, trotz starken Drucks seitens der sowjetischen Führung
    Was das bedeutet? Es geht auch ohne Armee, Rückgrat zu beweisen. Aber ja, Liechtenstein ist ein kleines Land. Dafür sehr reich und alle möglichen Kriegsparteien der Welt lagern dort ihr Taschengeld? Das mag sein. 1945 war dem allerdings noch längst nicht so. Damals war Liechtenstein sehr arm, der Finanzmarkt wurde künstlich geschaffen, damit es nicht immer wieder zu Hungersnöten kam. Das allerdings führte nun endgültig ins Off-Topic.


    Grüssli, blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    Bei einer solch kategorischen Aussage genügt meiner Meinung nach ein einziges Gegenbeispiel, um sie zu entkräften. In diesem Fall: Liechtenstein.


    Das Beispiel ist richtig und es gibt auch weitere, zum Beispiel einige Inselstaaten. Auch der Vatikan hat eine eher symbolische Armee.
    Wie Du aber schon schreibst, es sind alles recht kleine Länder, zudem noch so gelegen, dass sie militärisch kaum bedroht sind (wenn Iran den Vatikan würde erobern wollen, müsste es erstmal durch Italien durch, und das hat eine Armee). Und auch Liechtenstein wird von Armeen geschützt - der von Österreich, der der Schweiz und der der NATO. Die Armee ist sozusagen "outgesourcet", so wie Teile der Polizeiaufgaben in Deutschland an private Sicherheitsfirmen übertragen werden (Münchener U-Bahn zum Beispiel).
    Deswegen ist meines Erachtens die generelle Aussage mit der eigenen und fremden Armee richtig - das ist das "große Bild" - zu dem es dann Ausnahmen gibt.

  • Darf ich mal wieder auf den Anlaß der Diskussion zurückblicken?


    Das Problem. das wir hier alle gemeinsam haben und von unterschiedlichen Richtungen beleuchten ist doch dies:


    Eine Mehrheit der Bevölkerung folgt dem Lockruf der gewählten Abgeordneten in Richtung Sicherheit stat Freiheit. Die Legislative schafft also Gesetze, die die Exekutive- hier die Polizei auch zur Repression nutzen kann. Alles gerechtfertigt mit dem Schutz vor Terroristen. Die Terroristen brauchen uns also gar nict durch Anschläge zu terrorisieren, die Furcht, nichts anderes bedeutet Terror ja, vor Anschlägen reicht schon aus um eben Terror zu verbreiten. In Konsequenz bevolmächtigen die Staatsbürger die von ihnen beauftragten Staatsorgane Eingriffsrechte wahrzunehmen, die vor einigen Jahren undenkbar waren- siehe oben.


    Das Problem in Deutschland- hier übrigens völlig anders als in U.S.A. ist, das Gesetze hier so in etwa Ewigkeitsgaranie haben- ich erinnere nur an die Sektsteuer zur Finanzierung der "dicken Berta" im 1870/1871er Krieg. Das muß dringend geändert werden, z.B. durch "Verfallsdatum" an allen Gesetzen, die die Freiheit beeinträchtigen, so dass bei einer Verlängerung jeweils, auch nach Regierungswechseln erneut eine Begründung gesucht und eine Mehrheit gefunden werden muß.

  • Moin allerseits,


    zunächst möchte ich mich bei Bernard bedanken, der mich so würdig vertreten hat. Die Beiträge


    und später

    Zitat

    nach Fukuyama wären beispielsweise bestimmte Gebiete in Afghanistan nicht dem afghanischen Staat zuzuordnen, sondern dem "Staat" eines War Lords, weil dieser dort die Regeln macht und sie durchsetzt, egal, was in Kabul beschlossen wird, und zwar nicht im Einzelfall, sondern im Regelfall.


    hätte ich nicht besser formulieren können.


    Insbesondere, nachdem für mich selbst der Anstoß, über diese Thematik nachzudenken, aus einem Forum kam, in dem man erst einmal genötigt wird, sich mit bestimmten Begriffen vertraut zu machen, bevor man mitreden kann ohne gleich als Troll betrachtet zu werden. Begriffe wie "libertär", "Anarcho-Kapitalismus", "Sezessionsrecht" und "Nicht-Aggressions-Prinzip", mit denen sich diese selbsternannten "wahren Liberalen" gegen "linksliberale und neoliberale Gelb-Sozialisten" abzugrenzen versuchen. Es ist erfrischend zu lesen, wie Du die Grundkonzepte dieser Denkrichtung in allgemeinverständliche Worte gebracht hast.


    Ich bin ebenfalls der Meinung, daß eine "Wildwest-Anarchie" gegenüber einem funktionierenden Staatswesen gewisse Nachteile hat. Technologische Großprojekte wie z.B. Design und Produktion eines neuen Computerchips lassen sich nunmal nicht von einem 200-Leute-Kibbuz stemmen.


    Allerdings lohnt es sich durchaus, sich auf das Gedankenexperiment einzulassen. Wir leben heute in einer Welt, in der kein Staat ein Weltreich errichten und alle anderen unter seine Herrschaft zwingen kann - spätestens an Atommächten wie Russland und China würde sich auch G.W.Bush die Zähne ausbeißen. Ein Staat, der wie Nordkorea oder Pakistan ein kleines Arsenal an Atomwaffen besitzt, verhandelt mit den "Großen und Mächtigen" auf Augenhöhe. Was wäre, wenn das, was zwischen Staaten funktioniert, auch zwischen Individuen funktionieren würde? Niemand wagt es, jemand anderen zu unterjochen oder auch nur zu überfallen, weil es immer sein könnte, daß der beste Freund des Überfallenen gleich mit der AK47 um die Ecke kommt. Niemand will der erste sein, der zum Mittel der Gewalt greift, weil jeder die Eskalation fürchtet. Unter Nachbarn gäbe es einen Nicht-Angriffs-Pakt, weil ein permanenter Kleinkrieg nicht nur unmoralisch, sondern vor allem auch für beide Seiten kostenträchtig und unprofitabel wäre. Und wenn Fremde Stunk machen, trommelt man die Bürgerwehr zusammen.


    Was wäre in so einer Welt ohne Gewaltmonopol anders, was würde fehlen zu dem, was wir "Staat" nennen?
    - Es gäbe keine Steuern
    - keine Sozialabgaben
    - keine Schutzgelderpresser
    - keine Wehrpflicht
    - keinen Reichsarbeitsdienst
    - keine Sklaverei
    - kein Patentamt und kein Postministerium, daher
    - überhaupt keine Monopole, auch in der Wirtschaft nicht
    - keinen Krieg
    - kein "gesetzliches Zahlungsmittel", sondern evtl. mehrere konkurrierende Währungen.


    Anhand dieser Unterschiede kann man sich klarmachen, was einen "Staat" von einer "Gesellschaft" oder einem "Verein" unterscheidet - und erst wenn man sich das klargemacht hat, kann man bewerten, was es mit Forderungen nach einem "schlanken Staat" oder einem "starken Staat" auf sich hat.


    Wären wir alle der Staat, hieße ein schlanker Staat wohl, wir müssen alle abnehmen, und ein starker Staat, wir müssen alle trainieren - und genau darum geht es ja nicht.

  • Zitat

    Original von beowulf


    Das Problem in Deutschland- hier übrigens völlig anders als in U.S.A. ist, das Gesetze hier so in etwa Ewigkeitsgaranie haben- ich erinnere nur an die Sektsteuer zur Finanzierung der "dicken Berta" im 1870/1871er Krieg. Das muß dringend geändert werden, z.B. durch "Verfallsdatum" an allen Gesetzen, die die Freiheit beeinträchtigen, so dass bei einer Verlängerung jeweils, auch nach Regierungswechseln erneut eine Begründung gesucht und eine Mehrheit gefunden werden muß.


    :write


  • Also bitte, Behrnie, da sind Dir wohl ein bisschen die Pferde der Hoffnung durchgegangen.
    Keine Schutzgelderpresser?
    Wie kommst Du denn auf die Idee? Würden die Menschen automatisch und allesamt edel, bloß weil es keinen Staat gäbe, der ihnen eins auf die Finger haute?
    Sklaverei hätte vielleicht einen anderen Namen, aber das Prinzip, dass Dich der Stärkere zu seinem Willen zwingt, da ihn niemand daran hindert, das bliebe ja nun wohl.
    Und wie erklärst Du den anmutigen Sprung auf die Theorie, dass es keine Monopole geben würde?
    Wie sich das mit dem Krieg als solchem verhält, siehst Du auf der Welt sehr unschön: Dort, wo das staatliche Gewaltmonopol zusammengebrochen ist (oder sich wie im Sudan recht eindeutig aus der Kontrolle verabschiedet hat), schweigen doch nicht automatisch die Waffen?


    Dann heißt die Veranstaltung vielleicht nicht mehr Krieg, sondern Bürgerkrieg, bewaffnete Auseinandersetzung, lokales Scharmützel oder vereinzelte Auseinandersetzungen mit Todesfolge, aber das Spiel bleibt das, was es ist – tödlich. Besonders für die Schwächeren.


    Also, bitteschön, Sozialutopie in allen Ehren und Anarchie sei machbar, Herr und Frau Nachbar. Aber blauäugiger Blödsinn bleibt Blödsinn.
    Mit oder ohne Gewaltmonopol.


    Grüssli, blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Hach, ich muss jetzt eine Lanze für meine wilden Jugendjahre brechen:


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Keine Schutzgelderpresser?
    Wie kommst Du denn auf die Idee? Würden die Menschen automatisch und allesamt edel, bloß weil es keinen Staat gäbe, der ihnen eins auf die Finger haute?


    Nein, aber wo kein Geld, da kein Schutzgeld. Im wörtlichen wie im erweiterten Sinne: "Geld" ist eine allgemein akzeptierte Verrechnungseinheit zum Austausch knapper Güter. Gibt es diese Verrechnungseinheit nicht, gibt es keine "transportablen Werte" - um was willst Du Dein Gegenüber dann erpressen?


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Sklaverei hätte vielleicht einen anderen Namen, aber das Prinzip, dass Dich der Stärkere zu seinem Willen zwingt, da ihn niemand daran hindert, das bliebe ja nun wohl.


    Richtig, aber der Stärkere würde ein erheblich höheres Risiko fahren als heutzutage.
    Anekdote: In welchem Jahr der Weltgeschichte gab es die meisten Sklaven auf der Erde?
    Antwort: 2007. Die Sklaverei nimmt kontinuierlich zu, nicht ab. Das sind nicht nur Sklaven in afrikanischen Diamantenminen, nicht nur Haushatshilfen in Südamerika, die mit Eisenketten in der Küche festgebunden werden (kein Scherz!), sondern auch Osteuropäerinnen in deutschen Bordellen.
    Also: Klar gäbe es in der Anarchie so etwas wie unterdrückte Menschen - aber nicht institutionalisiert.


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Und wie erklärst Du den anmutigen Sprung auf die Theorie, dass es keine Monopole geben würde?


    Du hast insofern Recht, als es immer natürliche Monopole geben wird. Die machen aber nur einen Bruchteil der heute existenten Monopole aus, wohingegen sich die Mehrzahl auf dem Patentrecht abstützen. Das dann nicht mehr existent wäre.
    Nebenbemerkung: Ich bin ein Freund des Patentrechtes - wie oben erwähnt, ich finde Anarchie nicht wünschenswert, aber ich glaube, sie könnte funktionieren.


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Wie sich das mit dem Krieg als solchem verhält, siehst Du auf der Welt sehr unschön: Dort, wo das staatliche Gewaltmonopol zusammengebrochen ist (oder sich wie im Sudan recht eindeutig aus der Kontrolle verabschiedet hat), schweigen doch nicht automatisch die Waffen?


    Richtig, hier musst Du aber berücksichtigen, dass insbesondere bei den afrkanischen Konflikten in aller Regel Institutionen unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind, die es in einer anarchischen Gesellschaft nicht geben würde.


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Dann heißt die Veranstaltung vielleicht nicht mehr Krieg, sondern Bürgerkrieg, bewaffnete Auseinandersetzung, lokales Scharmützel oder vereinzelte Auseinandersetzungen mit Todesfolge, aber das Spiel bleibt das, was es ist – tödlich. Besonders für die Schwächeren.


    Auch das ist richtig, aber ich glaube, es hat auch niemand behauptet, in einer Anarchie gäbe es keine gewaltsam herbeigeführten Todesfälle. Im Moment haben wir keine Anarchien nennenswerter Größe auf dem Erdball, aber eine Menge Staaten, die sich auch nicht eben zurückhalten, wenn es um das Töten von Menschen geht. Ob ein "anarchisches Chaos" mehr oder weniger Tote "produzieren" würde als wohlorganisierte Feldzüge heutiger Staaten zuzüglich des Terrors, den viele Unrechtsstaaten im Inneren veranstalten (Todesschwadrone etc), ist eine Frage des persönlichen Menschenbildes, vermute ich.

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    Keine Schutzgelderpresser?
    Wie kommst Du denn auf die Idee? Würden die Menschen automatisch und allesamt edel, bloß weil es keinen Staat gäbe, der ihnen eins auf die Finger haute?


    Im Gegenteil: der Mensch an sich ist ein Feigling. Deswegen will er sich immer in alle Richtungen absichern. Kein Schutzgelderpresser geht als Einzeltäter in einen Laden um für sich persönlich "Steuern einzutreiben". Die Gefahr, vom Ladenbesitzer einfach mit der Schrotflinte über den Haufen geknallt zu werden ist einfach zu groß. Ein Schutzgelderpresser braucht die Drohkulisse eine staatsähnlichen Organisation - sei es die Mafia oder die Steuerfahndung. In einer etablierten Anarchie gäbe es keine Organisation, die eine Gewaltmonopol-ähnliche Drohkulisse bereitstellt. Jeder dahingehende Versuch würde von freiheitsliebenden Partisanen mit Guerilliataktiken zunichte gemacht.

    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Sklaverei hätte vielleicht einen anderen Namen, aber das Prinzip, dass Dich der Stärkere zu seinem Willen zwingt, da ihn niemand daran hindert, das bliebe ja nun wohl.


    Dein Konzept vom "Stärkeren" stammt noch aus der Ära des Schwertkampfes, als der Besitz einer scharfen Klinge und einer stabilen Rüstung sowie tägliches Kampftraining dazu führten, Konzepte wie "Rittertum" und "Fehderecht" zu etablieren. Durch Schießpulverwaffen wurde dies "Recht des Stärkeren" ungefähr zur Zeit der frz. Revolution durch die "Feuerkraft der Überzahl" abgelöst - wodurch Demokratien und Republiken überhaupt erst wieder möglich wurden. Die Demokratien der Antike gingen schließlich gerade zu jener Zeit unter, als schmiedeeiserne Helme und Körperpanzer erstmalig einen gewissen Schutz gegen anarchistische und basisdemokratische Steinewerfer boten.


    Also, wie Bernard schon schrieb, wenn jedes Kind oder jeder Halbstarke eine Schußwaffe abfeuern kann, ist es für "den Stärkeren" absolut lebensgefährlich, seine "Stärke" zu mißbrauchen.

    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Und wie erklärst Du den anmutigen Sprung auf die Theorie, dass es keine Monopole geben würde?


    Das Monopol der Bahn entstammt der Verstaatlichung vieler kleiner Bahnbetriebe. Die regionalen Monopole der Energieversorger desgleichen. Praktisch alle Infrastruktur-Monopole sind das Ergebnis irgendeiner früheren Verstaatlichung.


    Das "Monopol" von Microsoft hingegen ist schon heute keines: die stärkste Konkurrenz für lizensierte Windows-Kopien sind gebrannte Windows-Kopien. Ohne einen Staat, der den Schwarzkopierern die Polizei auf den Hals hetzt, wäre Bill Gates nur halb so reich (und trotzdem noch der reichste Mensch der Welt)

    Zitat

    Original von blaustrumpf
    Wie sich das mit dem Krieg als solchem verhält, siehst Du auf der Welt sehr unschön: Dort, wo das staatliche Gewaltmonopol zusammengebrochen ist (oder sich wie im Sudan recht eindeutig aus der Kontrolle verabschiedet hat), schweigen doch nicht automatisch die Waffen?


    Etablierte Anarchien findet man nicht dort, wo das Gewaltmonopol des Staates gewaltsam durch kleinere Gewalt-Oligopole verdrängt wurde. Etablierte Anarchien findet man überall dort, wo noch kein Staat ein ernsthaftes Interesse daran hatte, seine Gesetze durchzusetzen: bei Naturvölkern mitten im Regenwald, bei Nomadenstämmen in der Wüste, bei unbeherrschbaren Bergvölkern.