Der lange Weg ist bei den Cree-Indiandern Kanadas der Weg, den ein Sterbender zurücklegen muss um ins Jenseits zu gelangen.
Auch in Joseph Boydens Roman müssen die Protagonisten einen langen Weg zurücklegen. Einen Weg, der sie aus der Wildnis der kanadischen Wälder in die Hölle der Schützengräben des ersten Weltkriegs führen wird, in einen Krieg, den sie für Fremde kämpfen in deren anderer Welt.
Im Kanada des beginnenden 20. Jahrhunderts herrschen für Indianer harte Zeiten. Sie werden immer mehr in Reservate gedrängt, ausgebeutet, verachtet.
Ihre Kinder werden ihnen weg genommen, um ihnen eine gute christliche Erziehung angedeihen zu lassen, natürlich auch im Zweifelsfalle gegen deren Willen.
In diesen Zeiten werden Xavier und Elijah, zwei junge Cree-Indianer groß. Beide werden zunächst in einem der Internate groß. Xavier lebt dort bis seine Tante, eine der letzten Windigotöterinnen ihres Stammes (also so eine Art Schamanin), ihn aus der Institution befreien kann; Elijah, ein Waisenkind, bis er die Schule beendet hat und zu Xavier und seiner Tante in die Wildnis zieht. Dort lehrt der ruhige Xavier den draufgängerischen Elijah das Jagen und Überleben in der Natur.
Doch Elijah, der lange in der Zivilisation gelebt hat, verlangt es bald nach Ruhm, Ehre und Abenteuern.
Wie viele andere ihrer indianischen Identität beraubten Männer, besinnt er sich auf seine Kriegertradition und hofft die Erfüllung seiner Träume durch den Eintritt in die kanadische Armee zu finden. Xavier, den mit Elijah inzwischen ein enges brüderliches Verhältnis verbindet, geht mit ihm, wenn auch weniger euphorisch. Niska, Xaviers Tante, überkommen schreckliche Visionen und doch weiß sie, dass sie die beiden ziehen lassen muss.
Die harte Realität holt die beiden nach ihrer Ankunft an der hart umkämpften Front an der Somme schnell ein. Immer wieder vergegenwärtigt Boyden durch Rückblenden, in die Vergangenheit der beiden jungen Männer, den krassen Kontrast der beiden Welten und intensiviert den Schrecken der Front dadurch. Er bringt eine neue Perspektive in den Krieg, in dem er durch die Augen Xaviers schildert.
Mit dem Grauen des Krieges gehen beiden Männer anders um. Der introvertierte Xavier, zieht sich noch mehr in sich zurück, durch seine geringen Sprachkenntnisse noch mehr isoliert, versucht er einfach zu überleben; Elijah, der perfekt Englisch spricht und von Natur aus ein ehrgeiziger, charismatischer Mensch ist, steigert sich in Suche nach Anerkennung, wird zum Menschenjäger, feiert als Scharfschütze große Erfolge, die eigentlich auf das Konto des besseren Schützen Xaviers gehen. Immer drastischer nimmt die Entwicklung der beiden Männer ihren Lauf und wächst sich, wie man schon erahnen kann, zu einer echten Tragödie aus.
Boydens Intension, diesen Roman zu schreiben, war die, gegen das Vergessen der heldenhaften Taten der Indianer im ersten Weltkrieg anzukämpfen. Die Indianer kämpften für ein Land, das sie schlecht behandelte und schließlich hat man in Kanada dies schlicht gänzlich unter den Teppich gekehrt.
Mit dem kleinen Unterschied das ich keine militärische Aktion als heldenhaft bezeichnen würde, finde ich dies doch ein ehrenhaftes Motiv, das der Autor gut umgesetzt hat. Die Intensität der Erzählung lässt auch über kleinere Mängel und Längen in der Geschichte gerne hinwegsehen. Ein Buch, das eine neu Sichtweise auf den ersten Weltkrieg bringt und mit Sicherheit eines, das man nicht vergessen wird.
Fazit:
Wer sich für die Thematik des ersten Weltkrieges interessiert und starke Nerven hat, dem kann ich zum Lesen dieses Buch gerne raten.
Über den Autor:
Joseph Boyden, 1967 in Kanada geboren, hat indianische Vorfahren.
Zu seinem Roman wurde er durch die historische Figur des indianischen Kundschafters Francis Pegahmagabow angeregt.
"Der lange Weg", nominiert für den angesehenen Governor General's Award for Fiction 2005,
stand in seiner Heimat wochenlang auf den Bestsellerlisten. Die Übersetzungsrechte wurden in über zehn Länder verkauft.
Joseph Boyden lebt in New Orleans.