Thomas Fuchs, Jahrgang 1964, ist Radio - Journalist und Autor. Seit 1994 schreibt er Hörspiele, Bücher und Romane für Kinder und Jugendliche. ‚Offener Himmel’, 2003 erstmals erschienen, war mein erster Roman von ihm. Es hat sich als höchst interessantes Fundstück herausgestellt.
Mark, der Held der Geschichte, ist 15. Das Leben stinkt ihm gewaltig, die Schule nervt, die Eltern nerven, er darf nicht einmal mit Papa und Mama zusammen eine Motorradtour in den USA mitmachen. Aber eigentlich ist das gar nicht so schlimm, denn es gibt Onkel Volkmar. Onkel Volkmar, der jüngere Bruder von Marks Papa, lebt in Berlin, ist Fotojournalist und obercool. Er hat an jedem Finger fünf tolle Models, lebt in einem Loft, kennt jede einschlägige Kneipe zwischen New York und Singapur und fährt die tollsten Schlitten. So heißt es jedenfalls.
Was kümmern einen Fünfzehnjährigen da die Schule oder die Eltern!
Als Mark aber in Berlin ankommt, steht kein Onkel da. Als er endlich auftaucht, wirkt er durcheinander, regelrecht verstört. Und er fährt einen Toyota!
Die folgenden zwei, drei Tage sind merkwürdig. Der Onkel verbringt sie meist im Loft vor dem Fernseher, es gibt kein richtiges Essen, keine richtigen Gespräche, statt dessen hektisches Herumgerenne in der Stadt. Katja, Onkel Volkmars Lebensgefährtin, ist auch nicht mehr da, noch Frederike, die Tochter. Mark beschließt, daß das zu Coolness dazugehört und als ihm sein Onkel eine tolle Geschichte von einer Werbeidee erzählt, die er verkaufen wird, ist er sich wieder sicher: Onkel Volkmar ist der Beste!
Doch kurz darauf verschwindet der Onkel, die Werbeidee platzt. Dafür tauchen die Handlanger eines nicht ganz hasenreinen Kreditinstituts auf und verwüsten die Wohnung einschließlich des superteuren Technik-Equipment, Hi-Fi, Fernsehen, Fotoapparate. Gerettet wird Mark von der gleichaltrigen Frederike, die nicht nur weiß, wo der Onkel sich versteckt, sondern den inzwischen recht verdutzten Stiefcousin auch darüber aufklärt, daß der Lieblingsonkel sich - wieder einmal- in die Bredouille gebracht hat.
Auf dem Land außerhalb Berlins finden sie den Onkel, friedlich im Kiffer-Nirwana, bei seiner Lieblingsbeschäftigung: an einem alten Auto schraubend. Mark ist angesäuert, nicht nur, weil ihn sein Onkel hat sitzen lassen, sondern weil er seit Jahren an einem tollen Auto herumbastelt, ein Hobby, das er eigentlich immer mit Mark geteilt hat. Daß Onkel Volkmar so gemein sein kann.
Frederike, stets energisch und schon mit sicheren Plänen für ihre Zukunft ausgerüstet, geigt ihrem Stiefvater ordentlich die Meinung. Darin hat sie Übung. Nach einigen Stunden, die mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Selbstmitleidsorgien angefüllt sind und nach einer langen dunklen Nacht, findet Mark die Lösung: sie werden das Auto gemeinsam zusammenbauen. Es handelt sich nämlich um nichts Geringeres als ein supertolles Citroën DS-Cabrio, das Sammlern beim bloßen Anblick die Tränen der Rührung in die Augen treibt und die Euroscheine aus dem Geldbeutel. Der Erlös, so rechnet Mark fix mithilfe von Autozeitschriften aus, reicht aus, um die Kredithaie zu befriedigen.
Onkel Volkmar ist nicht ganz so bereit, den Traum seines Lebens aufzugeben, gibt aber dem Druck der Verhältnisse (Frederike?) nach. Schließlich hat er die Zubehörteile allesamt schon zusammengekauft. Allerdings befinden sie sich nicht in Berlin, sondern sind bei verschiedenen Freunden untergebracht, die Volkmar, unser liebenswerter Tolpatsch von Onkelchen, im Lauf der Jahre irgendwie ein wenig verärgert hat. Was also liegt näher, als umgehend eine Art Büßergang zu starten?
So fahren sie los, nach Kassel und Celle und zurück nach Berlin und irgendwo aufs Land. Die Freunde sind alle noch da, eine Spur angepißt vielleicht, wenn Volkmar unvermutet auftaucht, aber nach ein paar Flaschen Bier und wohlklingenden Worten bereit, den Irrenden an ihr Herz zu drücken und vergangenes Wohlgefühl wieder aufleben zu lassen. Wozu sind Freunde schließlich da?
Die Kredithai-Schläger haben das Prinzip nicht ganz erkannt, weswegen sie Onkel Volli (O-Ton Frederike) zwischendurch ein wenig vermöbeln, aber nun ja, Strafe muß sein.
Inzwischen verguckt sich Mark in Frederike und Frederike in Mark, Volli entdeckt seine Vater - und Onkelgefühle wieder und Mark findet seinen Traumberuf, Luftfracht-Ingenieur. Man kann nur hoffen, daß seine Versetzung nicht ausgerechnet durch die Mathe-Note gefährdet war.
Zum Schluß steht das schwarze Cabrio, die Göttin, in all ihrem Glanz da. Da kann auch Onkel Vollis Katja nicht mehr nein sagen. Gemeinsam fährt man in Richtung Standesamt.
Dieses Buch ist, wenn man den Ärger über die hanebüchene Handlung mal überwunden hat, ein äußerst interessanter Text. Es geht um Träume und Träumer, um die offenen Fragen der eigenen Zukunftsgestaltung. „Weißt du, wie das ist, wenn man vor einem Scherbenhaufen steht?“ fragt Volli, mindestens Mitte Dreißig, seinen 15jährigen Neffen.
Klar, Mark weiß das, schließlich wird er vielleicht ein zweites Mal sitzenbleiben und dann ist sein Papa böse. O, Schreck, o, Graus.
Es geht in diesem Buch um das Bild, das man sich von anderen und vom Leben macht. Onkel Volli, der uns ja längst richtig ans Herze gewachsen ist, vergnügt sich z.B. damit, anderen Menschen, die er unterwegs trifft, die wildesten Geschichten über sich aufzutischen. Er tut das keineswegs, um sie hereinzulegen oder gar, um sich über sie lustig zu machen. Im Gegenteil, es ist eine ganz legitime Art, mal in eine andere Rolle zu schlüpfen. Klar, daß Mark das nachmacht. Klar, daß es schiefgeht. Vielleicht war dieses Handlungselement nicht ganz so verlagskonform.
Aber Erwachsene sind gar nicht so schlimm. Sie schütten zwar endlos Alkohol in sich hinein - die Szene, in der zwei erwachsene Männer, Volli plus Freund Christian, die beiden 15jährigen, Mark und Rike, in Berlin in einer illegalen (??) Kneipe mit Billig-Cuba-Libre abfüllen und anschließend noch autofahren, liebe ich geradezu - paffen wie die Schlote, - Frederike darf im Auto immer Ziggis für Volli drehen und Mark darf dann auch - , mitunter wird auch mal ein Pilz gepafft, den man sich aus dem Wald holt (???), also, wie gesagt, Erwachsene sind auch bloß Menschen.
Hier sind sie vor allem Männer. Die Frauen dürfen sorgen und kochen und vernünftig sein, auch mal Schlägern Papiere vor der Nase wegschnappen, Männer verarzten und wieder auf die Beine bringen. Sind die Männer auf den Beinen, verkommen die Frauen umgehend zum Traum - Sex-Objekt, hier die Models und passend dazu, die Prostituierten auf der Straße. Die eigenen werden auf ihre biologischen Funktionen dahingehend reduziert, daß Volli, beispielhafter Ersatzvater, Mark erklärt, daß Frederike an manchen Tagen im Monat halt mal ausrastet. Ist bei allen Frauen so, da muß man durch als Mann.
Und hat der Mann nicht recht? Kaum steht sein Traumauto da, taucht das Frauchen wieder auf. Im Taxi. Mann hat ihr zwar seit Jahren das Leben ruiniert, aber was ist das gegen ein Cabrio?
Ansonsten ist ein Mann ein Mann, wenn er sich in Schwierigkeiten bringt und gleich aus eigener Kraft wieder befreit. Es gibt keine staatlichen Ordnungskräfte gegen Kredithaie, es gibt keine Schuldnerberatung, es gibt nichts als die eigene Kraft, den eigenen Willen und das Wissen, daß man aus jedem Scherbenhaufen einfach die zusammenpassenden Scherben wieder herauspicken kann und neu anfangen. Der Satz kommt gleich zweimal vor in dem Buch.
Gleich, wie undurchdacht die eigenen Träume sind, man muß sie verwirklichen. Sieht man am Ende, daß das doch nicht geht, sucht man sich etwas Neues.
Wichtig ist natürlich, daß man Freunde hat, vor allem solche mit einem grundsoliden Hintergrund, Ärzte, Architekten, die im Notfall einspringen. Da offenbar alle die gleichen Werbefilme im Kopf haben, zum Beispiel die von den glücklichen Freunden, die glückliche Chips knuspern, wird das kein Problem sein.
Werbung spielt ohnehin eine beträchtliche Rolle in diesem Buch, einer Autofirma mit Stern wird bedeutende Aussagekraft zugewiesen.
Arbeitsalltag, das tägliche Leben kommt in diesem Buch nicht vor. Es kommt überhaupt nichts vor, was dem Leben von irgend jemand auch nur im entferntesten ähnelt. Zu der Story über den hochbezahlten Journalisten, der rausflog und „vier Wochen nach seinem letzten Interview im Park Laub harkte“ schweigt man am besten. Man könnte höchstens anmerken, daß er ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen wird als der Hartz-Vierler, dessen Antrag offenbar in Lichtgeschwindigkeit über die Schreibtische des zuständigen Jobcenters flutschte.
Warum der Roman in Berlin spielt, ist nicht ganz klar. Berlin kommt nicht wirklich vor. Wie alle Personen in diesem Buch ist es auf die Versatzstücke, hier die touristischen Highlights, reduziert. Großstadt muß allerdings sein, denn ein Fazit des Buchs ist auch, daß es sich auf dem Land glücklicher lebt. Dazu fällt einem nicht mal mehr das Guinness-Buch ein.
Ein Buch wie ein Road Movie, beswingt und bitter süß, wirbt man auf dem Umschlag.
'Bitter' stimmt, so bitter wie der inzwischen offenbar allseitige Neoliberalismus. Gallebitter.