Der erste Sommer - Maximilian Dorner

  • Erschienen: 05/2007
    Verlag: dtv
    Seiten: 276



    Über den Autor:
    Maximilian Dorner, 1973 in München geboren, studierte Dramaturgie an der Bayerischen Theaterakademie. Mit 17 hat er sein erstes eigenes Stück iszeniert, ein Jahr später den ersten Film gedreht. Seitdem schreibt er. Unter seinem Künstlernamen "maximin" betreibt er als Unternehmenskünstler den maksverlag. "Der erste Sommer" ist sein Romandebut.


    Homepage: www.maxdorner.de


    Inhalt
    In den Ruinen des Münchner Nationaltheaters stürzt eine Sängerin bei der heimlichen Aufführung von >Tosca< in den Tod. Am nächsten Tag finden zwei Kriegswaisen die Leiche. Zur gleichen Zeit glaubt eine Frau aus dem oberbayrischen Penzberg in dem hübschen G.I. Martin einen Werwolf-Kämpfer wiederzuerkennen. War er bei der Penzberger Mordnacht dabei gewesen? Warum übt er eine so sonderbare Faszination auf sie aus? Anne beginnt Nachforschungen anzustellen...



    Meine Meinung
    Der erste Sommer nach dem Krieg. Es herrscht wieder Frieden, die Menschen sind bereit sich der Herausforderung des Wiederaufbaus zu stellen. Amerikanische Soldaten und Schwarzarbeiter beherrschen das Münchner Stadtbild ebenso wie Häusertrümmer, herumliegende Leichen, Waisen und vom Krieg verkrüppelte Menschen. Dieses Bild zeichnet Maximilian Dorner auf eine ganz unnachahmliche bisweilen auch bezaubernde und anrührende Weise, so dass sich das Gefühl einstellt mitten im Nachkriegsgeschehen zu stecken. Diese Atmosphäre ist ausschlaggebend für Gefallen oder Nichtgefallen der Geschichte. Münchner werden ohnehin auf ihre Kosten kommen. Jeder andere, der sich damit beschäftigen möchte und sich die Mühe machen möchte im WWW ein bisschen nach den Bildern der Vergangenheit zu stöbern - so wie ich -, werden ebenfalls allein aufgrund der detaillierten Beschreibungen voll auf ihre Kosten kommen. In jeder Zeile spürt man Dorners Liebe zu München und wird Nutznießer seiner äußerst gründlichen Recherchen dieser eher unbekannten Zeit nach dem Krieg.


    Daneben erzählt Maximilian Dorner natürlich auch eine Geschichte. Eine Geschichte, die hoch interessant und fesselnd ist, die jedoch nicht selten ein wenig Geduld und Vertrauen in den Autor braucht, um den Glauben an ein "rundes" Ende nicht zu verlieren.


    Erzählt werden drei Handlungsstränge: Der der Tosca, die in den Tod stürzt, der der zwei verwaisten Kinder Katharina und Ewald und der Rahmenstrang um Anne, die sich in den geheimnisvollen Lügner Martin verliebt. All diese Stränge scheinen bis zum Schluß rein gar nichts gemein zu haben. Und trotzdem verspürt man die Gewissheit, dass sich alles ergeben wird. Die alles entscheidende Frage im Laufe des Buches ist und bleibt immer: Was hat es mit Martin auf sich? Alles dreht sich um Martin und seine Vergangenheit, es scheint unmöglich ihn in eine Schublade zu stecken. Gut oder Böse? Keine Ahnung. Man möchte in mögen, er scheint sympathisch und so selbstverständlich kühl oder distanziert. Ein bisschen bewundert man ihn auch dafür. Und trotzdem wird er von allen, die er trifft, mit dem Tod in Verbindung gebracht. Das wiederum verunsichert. Es verunsichert uns Leser aber auch Anne, die sich in ihn verliebt. Erst nach Beendigung der Geschichte ist mir deutlich bewusst geworden, dass Herr Dorner genau dieses Unsicherheitsgefühl auch wecken wollte. Ein Gefühl, mit dem die Menschen einer großen Wahrscheinlichkeit nach zu dieser Zeit ständig leben und fertig werden mussten.


    Die Geschichte um Katharina und Ewald scheint lange Zeit nicht so recht ins Geschehen zu passen. Seltsam fremd blieben die Kinder mir. Seltsam auch, wie Katharina mit ihrem Bruder und ihrer Situation umgeht. Sie ist eine berechnende Zwölfjährige, die keinerlei Gefühlsregungen aufkommen lässt. Warum dies so ist, wird natürlich aufgelöst. Aber bis dahin muss man sich mit dieser seltsamen jungen Dame abgeben und so manches Mal verspürte ich großes Mitleid mit ihrem fünfjährigen Bruder, der so tapfer zu sein versucht und riesengroße Bären aufgebunden bekommt ...


    Sprachlich war ich an manchen Stellen des Romans richtig fasziniert, gebannt und habe gestaunt. So z.B. als Paula, die Mutter des Verlobten von Anne, daran denkt was Krieg bedeutet:


    Zitat

    Sechs Jahre hatte Paula gebraucht, um zu verstehen, dass sie allemsamt bloß Burschen in viel zu großen Unterhosen waren. Ob Freund oder Feind. Und dass daheim deren Mütter und Frauen sich nichts sehnlicher wünschten, als ihnen auch in Zukunft diese Unterhosen waschen zu dürfen. Seite 12


    Vor allem die Monologe des Arztes im Handlungsstrang um >Tosca<, haben mich aufgrund meiner geringen Opernkenntnisse verwirrt und etwas ratlos zurück gelassen:


    Zitat

    "Leben und Tod. Die höchste Kunst verbindet beide im Schöpfungsakt. Dieses Weib, es sang, nur für mich. Es war Passion auf den ersten Ton. Sie hauchte ihr Leben aus für mich. Tosca. Die Vollendung der Oper. Puccini! Wagner und Verdi, vom einen die Kraft, vom anderen das Melos, das Italienische, die Zypressen, die endlosen Zitronenhaine....
    ....In diesem einen Moment sah sie in mir das vollendet Böse, die Fratze des Lebens, die die Kunst herabzerrt in den Morast der Zeugung, freigelegt von der heilenden Kraft der Musik und der Liebesglut, die ich in ihr entfachte. Ich verzeihe ihr. Sie musste. Es war das Fatum." Seite 175


    Was ich nicht vergessen möchte zu erwähnen ist, dass Maximilian Dorner auch immer mit einem "zwinkerndem" Auge erzählt. Wir werden nicht erdrückt von der Last des Geschehenen. Eine gewisse Distanz und ein wenig Humor zahlen sich aus, beruhigen und halten vor allem auch am Ball. Sehr beeindruckend, wie Herr Dorner das hinbekommen hat!


    Kritikpunkte gibt es auch: Es sind ein paar Fragen offen geblieben, die mich brennend interessieren. Das Ende ist dramatisch und berührend, rückt aber sicher nicht alles ins rechte Licht. Viele Informationen fehlen mir noch, die es benötigen würde, Handlungsmotive und Denkstrukturen der Figuren besser zu verstehen oder auch zu akzeptieren. Und auch bei diesem Roman gibt es die ein oder andere Länge, die mit ein wenig Ausdauer bewältigt werden muss - wobei dies immer auch abhängig davon ist, wie sehr man sich mit der Materie, wie z.B. der Oper, identifizieren kann oder möchte. Ich möchte jedoch für mich betonen, dass ich solche "schwierigen" Abschnitte als Herausforderung begreife und mich von ihnen nicht abgeschreckt fühle. Es macht mir Spaß alles über die Oper >Tosca< herauszusuchen, damit etwas Zeit in die Lektüre zu stecken und hinterher wesentlich schlauer als vorher zu sein. Aber das bleibt natürlich Geschmackssache.


    Fazit: Eine literarisch erfrischend außergewöhnliche und faszinierende Geschichte über eine Zeit, der nur selten diese Aufmerksamkeit zuteil kommt. Mich hat sie begeistert und ich werde die Augen nach weiteren Romanen von Maximilian Dorner offen halten.

  • Sommer 1945.


    Der Krieg ist eigentlich vorbei, doch leider ist er das noch nicht in den Köpfen und Herzen aller Menschen. Zuviel hat man erlebt, zuviel hat man verloren. Nur langsam finden die Menschen wieder in ein friedliches Leben zurück. Der Wiederaufbau in München beginnt nur zögerlich, die Stadt, die immer noch in Trümmern liegt, ist bevölkert von Invaliden, Witwen und Waisen und der Schwarzhandel blüht allerorten – schließlich will jeder durchkommen und sich etwas Neues aufbauen. Die überall anzutreffenden G.I.’s machen es den Münchnern mit dem Neuanfang auch nicht immer leichter.


    Der Autor läßt hier in seinen Beschreibungen über die Stadt und ihre Bewohner ein sehr detailliertes Bild des Nachkriegsmünchen entstehen. Eine sehr interessante Zeit, über die ich bislang noch nicht viel gelesen habe. Sicher auch eine schwierige Zeit. Der Krieg liegt erst kurz hinter den Menschen, sie sind aber noch nicht wirklich im Frieden angelangt.


    Wir begleiten dabei in mehreren, anfangs unabhängigen Handlungssträngen Martin, den undurchsichtigen G.I. (oder etwa doch nicht?) und Anne, die meint, in ihm einen Nazi-Schergen wiedererkannt zu haben. Wir teilen die Erlebnisse der Kriegswaisen Katharina und Ewald und wir erleben den durchaus echten Tod der Tosca im Nationaltheater mit.


    Unwillkürlich fragt man sich bei der Lektüre: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wie um Himmels willen will der Autor diese so unterschiedlichen Erzählstränge zu einem runden Gesamtbild verknüpfen?


    SueTown hat hier mit ihrem Statement Eine Geschichte, die hoch interessant und fesselnd ist, die jedoch nicht selten ein wenig Geduld und Vertrauen in den Autor braucht, um den Glauben an ein "rundes" Ende nicht zu verlieren. absolut recht.


    Letztendlich dreht sich in diesem Buch alles um Martin, immer wieder kommt man auf ihn zurück und man fragt sich, was ihn zur zentralen Figur im Geschehen macht. Martin, der durchaus sympathisch daherkommt und sich doch aalglatt durchs Leben schlängelt. Ein Mann ohne Vergangenheit, wie es erst scheint und dann erfährt man doch nach und nach immer wieder ein Stückchen Vergangenes über ihn. Doch was davon stimmt? Jeder scheint einen anderen „Martin“ zu kennen, so unterschiedlich sind die Eindrücke von ihm. Er bleibt über lange Zeit ein Rätsel, mal sehr charmant und dann wieder abstoßend in seiner Art.


    Den Erzählstrang um Katharina und Ewald fand ich erst sehr befremdlich. Die Kinder sind seltsam, doch sicher haben sie während des Krieges genug Dinge erlebt, die sie zu denen gemacht haben, die sie nun sind. Letztendlich versuchen sie auch nur, zu überleben.


    Am rätselhaftesten - auch nach der Auflösung - fand ich den Teil der Geschichte, der sich um die Tosca rankte, was man bei mir sicher ebenfalls auf ein gewisses Opern/Operetten-Banausentum zurückführen kann. ;-)


    Auch wenn ich vieles an diesem Buch seltsam fand: Die Sprache war es nicht. Die Sprache fand ich sehr bildhaft und auch sehr schön. Das Buch läßt sich trotz einiger Ungereimtheiten, die SueTown ebenfalls monierte sehr schön und angenehm weglesen.


    Meine Kritikpunkte an dem Buch decken sich im Wesentlich mit denen SueTowns: Einige Punkte hätte man noch ein wenig mehr ausarbeiten können, so daß der Leser letztendlich ein paar Fragen mehr beantwortet bekommt. So ist man in ein paar Dingen doch auf seine eigenen Mutmaßungen angewiesen.


    Dennoch: alles in allem ein interessantes Buch!

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Den Erzählstrang um Katharina und Ewald fand ich erst sehr befremdlich. Die Kinder sind seltsam, doch sicher haben sie während des Krieges genug Dinge erlebt, die sie zu denen gemacht haben, die sie nun sind. Letztendlich versuchen sie auch nur, zu überleben.


    Mit diesem Erzählstrang hatte ich ebenfalls meine Probleme, vor allem bei der Einführung. Im Laufe der Geschichte gewöhnt man sich zwar an dieses seltsame Geschwisterpaar, aber dennoch hätte Herr Dorner hier noch ein wenig ausholen können und gewisse befremdliche Verhaltensweisen näher erläutern können. Ich denke, er hatte ein klares Bild vor Augen beim Schreiben, das er aber im Falle dieser beiden Figuren nicht ganz klar rübergebracht hat.

  • Der erste Sommer – Maximilian Dorner


    Die Frage war, schafft es ein so junger Autor, die Atmosphäre dieser Zeit in Deutschland realistisch und glaubhaft einzufangen? Ich glaube, dass er es teilweise schafft, da die Sprache Assoziationen zu Filmen wie „Die Mörder sind unter uns“ und die wenigen, vergleichbaren Büchern weckt, die über diese Zeit von Zeitzeugen stammen. Es wird durch die glaubhaften Beschreibungen, den ganzen Roman hindurch deutlich, dass der Autor eine aufwendige Recherche betrieben hat.
    Die ungemütliche Atmosphäre erinnert mich an einen Krimi von Carlo Lucarelli „Der trübe Sommer“, der auch im Jahr 1945 angesiedelt ist und der ebenfalls einen unklaren Protagonisten beinhaltet.


    Lange war es das Rätsel um Martin, das mich an dem Roman fast wie an einen Krimi gefesselt hat.
    Mit der resoluten Anne gibt es Figur, die den mysteriösen Martin in Frage stellt.
    Sie hält ihn für einen Werwolf der Penzburger Mordnacht und den Mörder ihres Verlobten. Aus einer Mischung aus Hass und Sympathie zu Martin, ergibt sich ein interessanter Konflikt.
    Die Dialoge, in denen Anne mitwirkt, haben mich aufgrund ihres Temperaments besonders beeindruckt. Immerhin geht es immer um Schuld und Mitschuld.
    Auch die Nebenfigur Andras, ein ungarischer Gefangener, der den Todesmarsch aus Dachau überlebte, ist sehr gut gelungen.


    Der Autor setzt sein Prinzip mysteriös und rätselhaft zu schreiben auch in anderen Handlungssträngen konsequent um, so sind die Szenen mit den verlassenen Kindern Katharina und Ewald sowie Ferdinand und seine Bande nicht einfach zu durchschauen.
    Gerade hier ist die auffällige Sprachkunst von Maximilian Dorner besonders effektiv.


    Dann gibt es noch den dritten Handlungstrang um die morphiumsüchtige, angeblichen Opernsängerin Tosca und ihre Beziehung zu einem NS-Arzt. Dieser Teil ist sprachlich zunächst verhaltener als die anderen.


    Natürlich hat das Geheimnisvolle in den Handlungsabläufen, das sich nicht erschließen will auch zur Folge, dass man als Leser streckenweise ungeduldig wird und Durchhaltevermögen abverlangt wird.
    Die Auflösung am Ende kommt dann etwas zu spät und nicht ohne eine gewisse Theatralik und will sich mir nicht vollkommen logisch erschließen.


    Immer wieder sehe ich als Leser den Schauplatz vor Augen wie eine Kulisse in einem Theater. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Der erste Sommer dort aufgeführt werden könnte.


    Für einen Debütroman beeindruckend, viele bildhafte Szenen werden lange im Gedächtnis bleiben und vielleicht ist der Autor eine Neuentdeckung.
    Das wird möglicherweise ein nächster Roman zeigen. Noch reicht es zur Höchstnote nicht ganz.