OT: Mord og galskap, Oslo 2000
Diesen Roman zu verstehen, ist offenbar nicht leicht. Ich habe ihn nicht verstanden, die Handlung nicht, die Personen nicht, die Bedeutung nicht. Nicht wirklich jedenfalls.
Daß ich Schwierigkeiten hatte, in einen Lesefluß zu kommen und dreimal ansetzen mußte sowie längere Pausen einlegen, spricht genau genommen für das Buch, denn ‚es hat was’, wie man so sagt. Nur was das ist, was es hat, verstehe ich nicht.
Ich stehe mit dem Gefühl einer beträchtlichen Hilflosigkeit angesichts des Romans offenbar nicht allein. Auf der Suche nach Erklärungen habe ich im Internet herumgeforscht. Das Ergebnis der Recherchen ist drollig.
Es gibt nicht viele Rezensionen dazu. Von den wenigen, die etwas dazu schreiben, hat offenbar jede und jeder ein anderes Buch gelesen. Nicht einmal gelingt es, eine Inhaltsangabe ohne dicke Fehler zu schreiben, Handlungsablauf und Personenkonstellation sind für die Leserinnen und Leser ab einem gewissen Punkt undurchschaubar. Übereinstimmung scheint zu herrschen in der Kategorisierung des Buchs als ‚Krimi’. Hier widerspreche ich gleich, es ist kein Krimi, auch wenn es eine Krimihandlung gibt und diese zentrale Funktion hat. Ist es ein Mystery-Thriller, ein phantastischer Krimi, ein modernen Gesellschaftsroman mit phantastischen Elementen, ein religiöser Roman über Schuld und Vergebung? All diese Elemente finden sich, in verschiedenen Anteilen. Daß sie letztlich nicht zusammenspielen, ist für mich ein Grund für das Scheitern des ganzen Unterfangens.
Die Verwirrung reicht übrigens bis zu amazon. Dort ist nicht mal der Vorname des Autors korrekt angekommen.
Zum Inhalt:
Wir befinden uns in der Jetztzeit, in einer Kleinstadt an der Westküste Norwegens. Die Atmosphäre ist ein wenig eng und kleinbürgerlich, jeder kennt jeden von Kind auf, man ist freundlich, nachbarschaftlich - hilfsbereit, tratscht gern, lebt einfach gemütlich vor sich hin, irgendwo zwischen solide verdienend und gehoben. Es gibt die Villa des alten reichen Fabrikbesitzers über der Stadt, es gibt ein Hochschulzentrum und es gibt ein Armenviertel mit den üblichen Säufern, Huren, Kleinkriminellen.
Erzählt wird die Geschichte von Francis Falckenberg, es ist zugleich seine Lebensgeschichte. Falckenberg ist 40 Jahre alt, besitzt ein Antiquariat, hat von Haus aus noch einiges an Vermögen und führt das Genießerleben eines Junggesellen, Markenkleidung, Markengetränke, Markenmöbel, Markenopern. Natürlich ist er Hobbykoch. Er hat ein seltsames Leben hinter sich, wurde an einem 29. Februar geboren, verlor früh seine Eltern. Überhaupt hat er ein eigenes Verhältnis zum Tod, mehrfach war er in Todesgefahr, wurde aber stets in letzter Minute gerettet. Geliebt hat er auch ein paarmal, seine Beziehungen zu Frauen bleiben jedoch merkwürdig distanziert.
Mit Janne, der Geschäftsführerin des Antiquariats hatte er ein kurzes Verhältnis, mit der Diakonin Margareta, die er seit der gemeinsamen Schulzeit kennt, verbindet ihn am ehesten eine stabile Beziehung, irgendwo zwischen Liebe, Respekt und Freundschaft. Dazu kommen Verhältnisse aus der Vergangenheit, die so nach und nach enthüllt wird.
Eines Tages im Oktober brennt es im Armenviertel der Stadt, es gibt wahrscheinlich vier Tote, aber nicht alle Leichen werden gefunden. Als sich der Verdacht erhärtet, daß es sich um Brandstiftung gehandelt hat, beginnt Unsicherheit sich in der bis dahin so sicheren Gemeinde auszubreiten. Jemand von ihnen könnte der Täter sein. Nicht lange danach sieht Falckenberg auf dem Friedhof zum erstenmal das kleine Mädchen im roten Mantel, das ihn zu kennen scheint. Nur wenige Nächte später spricht es ihn mitten in der Nacht auf der Straße an und behauptet, den Ort zu kennen, an dem der Leichnam eines der Opfer, eine minderjährige Prostituierte, versteckt wurde. Falckenberg läßt sich überreden, mitzugehen. Das Mädchen führt ihn zu einer Baustelle und verschwindet. Falckenberg geht zur Polizei und tatsächlich wird die vemißte Tote auf der Baustelle gefunden.
Das Mädchen wird noch einmal auftauchen. War es eine Geistererscheinung? Wer ist es überhaupt? Über 20 Jahre zuvor verschwand eine Zehnjährige im Moor außerhalb der Stadt. Und was für ein Mensch ist eigentlich dieser Falckenberg, ein raffinierter Mörder, ein Ansprechpartner magischer Mächte oder einfach ein Verrückter? Schließlich lautet der Originaltitel: Mord oder Wahnsinn und Anspielungen auf Hamlet sind in ausreichendem Maß vorhanden.
Beantwortet wird die Frage nicht, das Buch besteht aus zig Puzzleteilen, die man selber zusammensetzen kann. Meine Antwort auf die Frage danach, was die Hauptperson ist, fällt prosaisch aus: langweilig. Ein Schwätzer und zwar einer von beträchtlicher Ausdauer.
Ich kann mich nicht erinnern, wann mir ein Ich-Erzähler das letzte Mal so auf die Nerven fiel. Er ist umständlich, wortreich, seine Ausdrucksweise voller Klischees. Er gibt seiner Geschichte gleich drei Anfänge, die ersten drei Kapitel des Buchs.
Offenbar ist einiges davon vom Autor gewollt. Seine Hauptperson wirkt aufgeblasen und ich-bezogen, Kontakt zu anderen herzustellen, fällt ihm im Grund schwer.
Der ganze Text lehnt sich in Wortwahl wie übermittelter Botschaft stark an das moralische System der christlichen Heilslehre an. Falckenberg ist ein Mann, dem auf eigentümlich Weise die Seele fehlt. Doch der Autor übertreibt, ab einem gewissen Punkt fehlt nicht nur Falckenbergs Seele, sondern der ganze Protagonist.
Seine Seele ist de facto Margareta, die Diakonin, die mit beiden Füßen fest auf dem Boden des Christentums steht und sich in allen Lebensfragen direkten Rat bei Jesus holt, der auch mit ihr spricht. Margareta ist tatsächlich die einzig lebendige Gestalt in diesem Buch, eine hinreißende Schöpfung. Sie war es auch, die mich am ehesten am Lesen gehalten hat. Sie hat trotz ihrer Verhaltensweisen, die mir schrullig vorkamen, soviel Lebenskraft, daß es für die über 300 Seiten ausreichte.
Der Rest ist dafür um so toter. Wieder ist es gewollt, daß die Menschen um Falckenberg einem beim Lesen in wachsendem Maß fremd und fern vorkommen sollen, so sehr, daß man sich immer öfter fragt, ob die Leute, denen er begegnet, eigentlich leben oder Gespenster sind. Aber es klappt nicht wirklich, sie verschwimmen, ohne daß etwas zurückbleibt. Auch von der Gesellschaftskritik, zu der deutlich Spuren gelegt sind, bleibt nichts.
Mehr und mehr greift der Autor im Verlauf der Geschichte zu Zitaten aus der Weltliteratur, tiefsinnigen Betrachtungen über den Menschen an sich, philosophisch - religiösen Versatzstücken zu Schuld, Sühne, Vergebung. Die Überschriften der 18 Kapitel kommen einem im Lauf der Zeit nicht mehr bedeutsam, sondern bloß noch aufgesetzt vor. Die detaillierten Beschreibungen von Innenausstattungen, Kleidung und Nahrungsmitteln habe ich ab etwa der Hälfte nur noch überflogen.
Das ist wirklich schade, weil es immer wieder Beobachtungen gibt über Menschen, die treffend sind oder erhellend oder einfach komisch, wie z.B. die Bemerkung, daß 16 ein so undankbares Alter ist, weil da sogar die Stimme Pickel hat.
Verschenkt sind letztlich auch die schönen Beschreibungen des Herbstes, von Wald, Meer, dem Himmel über der Kleinstadt. Atmosphärisch ist vieles ausgezeichnet gelungen. Die ‚Erscheinungen’ allerdings nicht, sie sind etwa so gruselig wie Popcorn vom Vortag. Ob das trotz oder wegen Jannes Neigung zur Esoterik so ist, kann ich nicht entscheiden.
War Falckenberg der Täter? Wie hängt nun alles genau zusammen? Ich mußte leider feststellen, daß mir das völlig gleichgültig ist.