74 Jahre nach dem 10. Mai 1933 (Bücherverbrennung)

  • Zitat

    Beowulf
    Ich bleibe dabei, das das öffentliche Verbrennen von Büchern mit Sprüchen: "Ich übergebe den Flammen die Werke von.." heute einfach nicht mehr bei den Bürgern auf Resonanz stossen würden und Politiker sind Medienkünstler, ohne Effekt passiert da nichts und Flammenmythologie ist derzeit nicht "in" und das sich das ändert sehe ich nicht.


    beowulf : Okay, hier einmal ein trauriges Beispiel aus Deutschland.
    Dazu ein Zitat aus:
    http://www.hagalil.com


    Die neue Bücherverbrennung:
    Das Tagebuch der Anne Frank


    Von Heide Kramer, Hannover, Juli 2006


    Am 2. Juli 2006 berichtete die "Magdeburger Volksstimme" in einem Artikel, dass der Verein "Heimatbund Ostelbien" in Pretzien (Landkreis Schönebeck in Sachsen-Anhalt) am 24. Juni ein Sommersonnwendfest veranstaltet hat. Während dieser öffentlichen Tanzveranstaltung im Gemeindezentrum des Ortes verbrannten offensichtlich rechtsgerichtete junge Männer während einer Feuerzeremonie vor ca. 80 Besuchern eine USA-Fahne und ein Exemplar des Tagebuches von Anne Frank. Nach Zeugenaussagen wurde das Tagebuch zuvor als "Fußball" missbraucht. Das Ordnungsamt Schönebeck brach daraufhin die Feier ab. [...]


    Und deshalb:

    Zitat

    Voltaire
    Wir sind wieder soweit, bereit zur Bücherverbrennung!


    SiCollier :
    "Die Geschichte taugt für hehre Veranstaltungen, Asche-aufs-Haupt-streuen, Gedenktage."
    Den Kopf in den Sand stecken dürfen wir aber auch nicht. Das Publikum der gestrigen Veranstaltung in einer IGS bestand gemischt aus Haupt-, Realschülern und Gymnasiasten mit einem hohen Ausländeranteil.
    Ich bin sicher, dass einiges hängengeblieben ist! Nämlich, dass das, was passiert ist, nie wieder geschehen darf. Und da sind die Jgendlichen in dem Alter zwischen 14 und 16 Jahren doch äußerst geeignete Ansprech- und Diskussionspartner, meinst du nicht?


    Beste Grüße


    Corinna

  • und wer hat Beifall geklatscht ausser ein paar Spinnern, von denen ich noch nicht einmal glaube, dass sie wußten was sie da taten- die Bevölkerung? - Nein, bestimmt nicht. Dei hats nich bemerkt oder weggeschaut.


    Wer hat die Nachricht mitbekommen in der Reizinformationsüberflutung? Die Bevölkerung- man hätte es ja lesen können, wenn man es gesehen hätte- aber man hat es überlesen, es ging unter.


    Das meine ich.

  • @ Cookie
    An einen Bericht über so ein Vorkommnis kann ich mich ganz dunkel erinnern.

    Zitat

    Cookie
    Den Kopf in den Sand stecken dürfen wir aber auch nicht.


    Ja, schon, richtig. Aber was tun? Ich übertreibe jetzt mal: dieses ständige „Herumhacken“ auf dem 3. Reich und dem Holocaust, und das um so mehr je länger der Krieg zu Ende ist, bewirkt meiner Meinung nach das Gegenteil von dem, was eigentlich erreicht werden soll. Die Menschen werden nicht sensibilisiert, sondern stumpfen ab. Auch hier greifen Beowulfs Hinweise auf die „Reizüberflutung.“ Ich sehe es ja bei mir selbst: wenn was zu der Thematik kommt, schalte ich erst mal ab. Weil es in der Regel eben auf das „Asche-aufs-Haupt-streuen“ hinausläuft. Das hat jetzt nichts mit Leugnen historischer Tatsachen zu tun, sondern irgendwo mit reinem Selbstschutz: das ganze war 13 Jahre vor meiner Geburt zu Ende. Warum soll ich mir ständig anhören (überspitzt und übertrieben gesagt), wie schlecht ich bin, was für Verantwortung ich habe und daß ich deshalb gefälligst in Sack und Asche herumzulaufen habe? Worauf ich hinaus will ist, daß ich die ganze Art der Aufarbeitung / Darstellung heutzutage für, sagen wir, ungeschickt halte. Bei vielen Menschen wird das Gegenteil von dem erreicht, was erreicht werden soll - und was zu erreichen wünschenswert wäre.


    Wenn ich nochmals Beowulf zitieren darf:

    Zitat


    Wer hat die Nachricht mitbekommen in der Reizinformationsüberflutung? Die Bevölkerung- man hätte es ja lesen können, wenn man es gesehen hätte- aber man hat es überlesen, es ging unter.


    Und so fürchte ich, daß vor lauter pflichtschuldiger Aufarbeitung auch künftig viel zu viel untergehen wird.



    Zitat

    Cookie
    Und da sind die Jgendlichen in dem Alter zwischen 14 und 16 Jahren doch äußerst geeignete Ansprech- und Diskussionspartner, meinst du nicht?


    Ja, und ich wünschte mir wirklich, die nächste Generation würde es endlich besser machen als die Generation meiner Eltern und die, der ich angehöre. Damit die Welt endlich besser und friedlicher wird. Aber ich habe wenig Hoffnung.




    Vor vielen Jahren (damals war ich so um die 30-33, genauer kriege ichs nicht mehr hin), hatte ich beruflich in Dachau zu tun und habe dann „pflichtschuldigst“ das KZ besichtigt. Zum Glück hatte ich nur noch rund 45 Minuten Zeit, bis geschlossen wurde. Diese 45 Minuten reichten jedoch für einen ausnehmend gründlichen Schock, vorsichtig ausgedrückt. Ich habe dann ein paar Jahre gebraucht, bis es mir gelungen war, das Gesehene zu verdrängen denn verarbeiten konnte ich das nicht. Viele Menschen besuchen diese und andere Gedenkstätten, auch eine Menge Politiker. Und was nützt es? Was nützen die dauernden Hinweise, Gedenktage, Gedenkstättenbesuche? Ich will mich jetzt nicht zu viel wiederholen (auch im Hinblick auf die Uhrzeit, bin hundemüde), aber Voltaire hat die heutige Situation, wie schon früher erwähnt, recht treffend beschrieben. Was wurde aus der Geschichte gelernt? Praktisch nichts. Wir sind wieder soweit. Im wörtlichen (siehe Deinen zitierten Bericht) wie im übertragenen Sinn. Big Brother is Watching Us. Jeden Tag ein bißchen mehr. Und deshalb hatte ich dieses Fazit gezogen:
    „Aber aus der Geschichte hat man offensichtlich nichts gelernt. Und das ist es, was mir Angst macht.“


    Falls die Diskussion weitergeht, bin morgen ganztägig auf Familienausflug und wohl erst am Sonntag wieder online.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Sirius Black
    Wir werden wohl einen Rückfall in das sogennante Dunkle Nittelalter erleben, in dem Schriften, die der Kirche nicht gefielen, einfach verleugnet wurden. Schade ;-(


    Und wer hat für die Verbreitung, Vermittlung und Diskussion dieser Schriften gesorgt?
    Richtig, Kirchenmänner. Na huch.
    Das Mittelalter war bedeutend heller als es in viele heutigen Köpfen ist. Aber lassen wir das. Geschichte ist halt nicht jedermans Interesse, nöch?

  • Der Querschuß aus dem geistigen Exil wi habe ich auf ihn gewartet.


    Na ja, im Mittelalter waren halt die Mächtigen noch gründlicher, vor Erfindung der Buchdrucks war es eben einfacher die Autoren zu Verbrennen als die Bücher- wobei die Typen, die da vor 74 Jahren Bücher verbrannt haben mit den Büchern ja auch nur geübt haben, die Autoren lösten sich dann später auch in Rauch auf- soweit sie nicht rechtzeitig verduftet waren.


    Und was die Geschichte angeht- das finstere Mittelalter (eher als das dunkle) dürfte eher die Periode 400something-800something sein, nach Rom, vor der endgültigen Etablierung der Karolinger, also auch eine Zeit in der die Kirche sich nicht mit Büchern, sondern mit der eigenen Auseinandersortierung und Festigung zu beschäftigen hatte.

  • Wenn du auf die Ketzerverbrennungen anspielst, so wurden die erst im 13. Jh. durch ein Edikt juristisch als Strafmaß eingeführt. Also an der Grenze zur Neuzeit. Die bekannte flammende Inquisition, die dann auch stärker die Höchststrafen ansetzte, war dann in der Tat eher neuzeitlich -und weltlicher Herrschaftsnatur. Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn´.
    Die Todesstrafe selbt gab es in der Tat schon früher, weswegen aber nich alle Nase lang einer starb. Sie war im Strafmaß eine der Möglichkeiten neben Buße, Dienst an der Gemeinde, Bußgeld o.ä.
    Lass es mich so formulieren - die ursprüngliche Inquisition begründete das Rechtsystem in unseren Breitengraden, orientiert an vielen Stellen an der Antike. Es wurde eine Verhandlung geführt, bei der beide Seiten ihr Anliegen zu vorzutragen zu beweisen versuchten und letztlich wurde dann darüber ein Urteil mit entsprechendem Strafmaß gefällt.



    Die angesprochene "finstere Zeit" ... da wurde sich dank der Ordens- und Klostergründungen schon mit dem Sammeln, Übersetzen und Kommentieren von Handschriften aus dem arabischen Raum und der Antike befasst.
    Damit entstanden auch die Grundlagen der weiteren Theologie, eben durch Augustinus, und wisenschaftlicher Auseinandersetzungen.


    Wirtschaftlich war es an einigen Stellen finster. Und verglichen mit modernsten -oder auch römischen- Badtechniken auch recht schmutzig. Aber Davon war ja nicht die Rede.
    Keine Sorge also, ich schieße nicht quer, sondern ziele recht genau auf Ungenauigkeiten.

  • Ich bin der Meinung der Begriff finsteres Mittelalter bezieht sich nicht auf die Tatsache, dass es dort finster war, sondern dass es für´die heutige Forschung dort finster ist. Es ist eine Zeit aus der sich so gut wie keine Urkunden erhalten haben und Quellen sind halt immer nur so gut wie der kritische Quellenvergleich- oder könntest du dir einen Historiker vorstellen, der eine Geschichte Deutschlands im 21. Jahrhundert aus seiner Sicht im 28. Jahrhundert schreibt und als einzige Quelle hat er die deutsche Nationalzeitung?

  • Das "finstere Mittelalter" (oder eher dunkle) als Begriff ist eine polemische Zuschreibung direkt aus der frühen Neuzeit, die sich von dieser Epoche abgrenzen und "lichter" wie auch "heller" scheinen wollten. Das hat sich kein moderner Hstoriker ausgedacht.
    Verglichen mit der Quantität der damals kursierenden Schriften ist natürlich wenig erhalten. Das ist das Leid des Historikers - denn jede Vergangenheitsbeschäftigung speist sich aus Quellenund Resten, die kritisch zu betrachten sind. So besehen ist auch die Antike finster. Oder die Zeit des Wilhelminismus.
    Und dennoch zeigt sich an dem, was als Handschrift und Urkunde erhalten ist, dass heute mehr Meinungen als Wissensstände betreffs des sogenannten finsteren Mittelalters bestehen.

  • ..und um den Bogen zum Thema zurückzuschwingen- gerade weil sich Geschichte nur aus vielen verschiedenen Quellen gut erschliessen lässt, werden Bücher verbrannt um ihre Wahrheit dazu zu verurteilen vergessen zu werden, daher ist auch schade um Bücher, die wegen ihres Stils oder ihres Themas heute keiner mehr lesen würde.


    Darum ist es aber auch sinnlos heute Bücher zu verbrennen (in Deutschland), weil ihre Information und Ideen damit in unserem Technologiezeitalter nicht verschwunden wäre. Sinnvoller ist es eben den Informationszugang zu kontrollieren oder zu beschränken oder jeden mit Information so zuzuscheissen, dass die wichtigen Teile in der Kloake untergehen und der eigene Gehirnspamfilter überfüttert ist.

  • Zitat

    Original von beowulf
    ... oder jeden mit Information so zuzuscheissen, dass die wichtigen Teile in der Kloake untergehen und der eigene Gehirnspamfilter überfüttert ist.


    Und genau darin sehe ich heute wirklich das Problem. Denn kein Mensch weiß mehr, wie er mit Informationen umgehen soll. Sowohl in ordnender als auch unterscheidender Sicht. Recherchiert wird nicht mehr, weil doch alles "offen und öffentlich" erscheint.