Dieter Hildebrandt: Nie wieder achtzig!

  • Dieter Hildebrandt - Nie wieder 80!


    Dieter Hildebrandt, Jahrgang 1927, wird dieses Jahr 80 - eine gute Gelegenheit für den Kabarettisten sich satirisch mit dem Thema "Älterwerden und Altsein in Deutschland" auseinanderzusetzen. Und auch mit der Fußball-WM und dem Fernsehen. Und mit Angela Merkel. Mit Wackersdorf und einer schlesischen Reisebekanntschaft. Mit der CSU, Stoiber, Strauß und Beckstein sowieso.
    Hildebrandt hüpft und springt in kurzen Kapiteln durch seine Gedanken und ich als Leser begleite ihn dabei gerne und amüsiere mich: Da heißt ein Kapitel "Meinungsaustausch" und driftet vom Thema "Talkshows" ganz schnell zu Hochleistungssport und Doping. Oder er fantasiert in "Crash-Test im Come Together" darüber, wie er und seine Frau sich in einer "Senioren"-Version von "Big Brother" machen würden, einschließlich Hildebrandts geplanter letzter Worte "Dumm gelaufen".
    Gut gefallen hat mir, dass nicht nur aktuelle Themen angesprochen werden, sondern auch Adenauer, die Spiegel-Affäre und anderes aus der bundesdeutschen Geschichte. Genüsslich zerfleddert der Autor Politikerphrasen und anderen neudeutschen Sprachmüll vom Best-Ager zum Warmduscher.

    Zitat

    "Im Alter lässt sich nur ernten, was im Laufe des Lebens gewachsen ist." Jawohl, Warzen und Misstrauen.


    Bei Hildebrandt muss auch eine Menge Humor und Lebensklugheit dabei gewesen sein.


    Auch wenn für mich Kabarett in Buchform nur ein Teil des Spaßes ist und an Hildebrandt auf der Bühne nicht herankommen kann, so hat mir dieses Buch doch einige vergnügliche Stunden bereitet und - wie es sich für gutes Kabarett gehört - immer wieder zum Nachdenken über unsere Gesellschaft angeregt. Erwähnenswert auch die doppelseitigen Karikaturen von Dieter Hanitzsch, die den Band abrunden.
    Für Freunde des politischen Kabaretts, für alle die mit offenen Augen durch das Leben gehen: unbedingt empfehlenswert.
    Auf Hildebrandts homepage finden sich die Termine seiner Lesungen - ein dichtes Programm für einen junggebliebenen 80-jährigen, der damit die selbstironischen Reflektionen über sein Alter in seinem Buch fast schon ad absurdum führt.


    Katya

  • Hört sich gut an... ich hab mir gleich mal einen Temrin für die Lesung notiert :write, ein doppeltes Vergnügen, erst den brillianten Dieter Hildebrandt live und als Zückerchen ein signiertes Buch *ggg*

  • Werde mal zugreifen. :grin


    Zitiere Hildebrandt mal im O-Ton:
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    Der Mond ist aufgegangen


    Kohl hatte die amüsierende Manie, den vor ihm liegenden Text mit eigenen Ideen anzureichern. Sehr zum Entsetzen des jeweiligen Autors.
    Da er auf Stil und Aussage eines Textes gewöhnlich so gut wie keine Rücksicht nahm, kam ich auf die Idee, ihm einen klassischen, von ihm verehrten Text auf das Rednerpult zu legen und mir vorzustellen, wie er mit diesem wohl umgehen würde.


    Helmut Kohl spricht Matthias Claudius:


    Der Mond,
    meine Damen und Herren, und das möchte ich hier in aller Offenheit sagen,
    ist aufgegangen!
    Und niemand von Ihnen, liebe Freunde, meine Damen und Herren, wird mich daran hindern, hier in aller Entschlossenheit festzustellen:
    Die goldnen Sternlein prangen
    und wenn Sie mich fragen, meine Freunde, wo, dann sage ich es Ihnen:
    am Himmel!
    Und zwar, und das sei hier in aller Eindeutigkeit gesagt, so, wie meine Freunde und ich uns immer zu allen Problemen geäußert haben:
    hell und klar.
    Und ich scheue mich auch nicht, hier an dieser Stelle ganz konkret zu behaupten:
    Der Wald steht schwarz und ...
    lassen sie mich das hinzufügen
    und schweiget.
    Und hier sind wir doch alle aufgerufen - gemeinsam -, die uns alle tiefbewegende Frage an uns gemeinsam zu richten: Wie geht es denn weiter? Und ich habe den Mut und die tiefe Bereitschaft und die Entschlossenheit, hier in allem Freimut und aller Entschiedenheit zu bekennen, dass ich es weiss!
    Nämlich:
    Und aus den Wiesen steiget
    das, was meine Reden immer ausgezeichnet hat:
    der weiße Nebel wunderbar.



    PS:
    Ein Kritiker der SZ schrieb in seiner Kritik, es würde sich bei besagter Parodie um eine matte Polemik gegen Matthias Claudius handeln.
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    Nichts geht über Realsatire, den einen Moment einer tiefen inneren Schadenfreude, den man leider nicht mit jedem teilen kann (Humpenfluch-Kommentar) :chen

  • Ich habe es gestern angefangen und heute schon zu Ende gelesen. Dabei wollte ich es mir ein wenig aufheben, will heißen immer mal nur ein Kapitelchen lesen. Hat nicht funktioniert.


    Ein vergnügliches Buch, stellenweise natürlich auch ein wenig nachdenklich. Wie er eben so ist und wie ich ihn mag.
    Auch für mich ist Kabarett in Buchform nur eine Ergänzung. Live sehen und erleben ist auf alle Fälle besser. Trotzdem hat das Buch sehr viel Spaß gemacht.


    Zu einem Besuch einer seiner Lesungen wird es hoffentlich noch kommen. Wenngleich ich gesehen habe, dass es für mich in erreichbarer Nähe erst wieder im September sein kann. Die letzten beiden möglichen Termine habe ich gerade verpaßt.


    Viele Grüße
    Shirat

    Viele Grüße
    Shirat


    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere. (Groucho Marx)

  • Titel: Nie wieder achtzig
    Autor: Dieter Hildebrandt
    Verlag: Heyne Taschenbuch
    Erschienen: Dezember 2008 als TB
    Seitenzahl: 240
    ISBN-10: 3453811801
    ISBN-13: 978-3453811805
    Preis: 8.95 EUR


    Das Blatt, welches man vor den Mund nehmen kann, hat es für Dieter Hildebrandt nie gegeben. Gnadenlos zeigte er auf, führte vor und bohrte schmerzhaft in vielen Wunden. Dieter Hildebrandt war mehr als ein begnadeter Kabarettist. Er war auch ein Mahner und ein wunderbarer Satiriker.


    In diesem Buch zeigt sich Dieter Hildebrandt in Bestform. Er beschreibt, er kommentiert – oftmals mit bitterböser Ironie und gnadenlosem Zynismus. Niemand ist vor ihm sicher. Angriffslustig macht er auf Misstände in Politik und Gesellschaft aufmerksam.


    Er vermischt Persönliches mit Nichtpersönlichem, er erinnert sich und lässt dabei aber nie das Heute aus seinem Blick. Mancher Beitrag ist aber auch getragen von einer ganz leichten Resignation, geschrieben in dem Bewusstsein das die Dummheit und Bequemlichkeit der Menschen unfassbar groß ist. Trotzdem hat er sich immer einen Rest Optimismus bewahrt, hat immer daran geglaubt, dass sich vieles doch noch zum Guten wendet, das die Politik etwas für die Menschen macht.


    Dieter Hildebrandt schafft es, das seinen Lesern das Lachen auf dem Gesicht gefriert. Was anfangs lustig schien, wird oftmals im Fortgang zur Tragödie. Dieter Hildebrandt scheut sich nicht davor Namen zu nennen und die Verlogenheit von Personen transparent zu machen. Er geisselt die Selbstgerechtigkeit vieler Prominenter und die Abwendung der Politik von den Menschen.


    Dieter Hildebrandt wurde am 23. Mai 1927 geboren und starb am 20.November 2013. Er hinterlässt eine Lücke die wohl nicht geschlossen werden kann.


    Fazit: Ein wunderbares Buch, ein Buch das vor nichts halt macht. 9 Eulenpunkte für eine echte satirische Sternstunde.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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