Absprung über Feindesland. Agentinnen im Zweiten Weltkrieg - Monika Siedentopf

  • Kriege sind ein Sinnbild für Chaos. Sie sind Chaos. Darüber vergißt man, daß Kriegführung bestimmten Regeln unterliegt, politischen, militärstrategischen, juristischen, die von den kriegführenden Parteien beachtet werden. So war auch die Gründung einer Organisation zur ‚subversiven Kriegführung’ gegen Nazi - Deutschland, der Special Operations Executive im November 1940 eine zwar geheime, aber zugleich höchst offizielle und durch Regierung wie Militär abgesegnete Maßnahme. Das mußte sein, sollten die Angehörigen dieser Einheit doch auf eine Weise gegen die deutschen Besatzer in den europäischen Ländern vorgehen, die man als Maßnahmen von Partisanen, Guerilla, Saboteuren oder, wenn man es ganz unschön ausdrücken will, von Terroristen bezeichnen muß. Es handelt sich um die sog. Nadelstiche in jeder Form, die den übermächtig erscheinenden Gegner irritieren, verlangsamen und letztlich verwundbar für den großen militärischen Schlag machen sollen.
    Es war der Beginn des ‚ungentlemanly warfare’, ein Begriff, der seltsam verstaubt anmutet im 20. Jahrhundert, als ob es nie zuvor Materialschlachten gegeben hätte, Panzerreihen und Bombardements von Zivilbevölkerung, sondern stets nur edle Männer mit gepuderten Locken, die mit dem blitzenden Degen in der Hand und dem Wort ‚Ehre’ im Mund gegeneinander antreten.
    Daß das ‚gentlemanly’ aufgegeben wurde, machte aber zugleich etwas möglich, das vorher nicht denkbar war: die Aufnahme von Frauen in eine kämpfende Einheit. Von den wahrscheinlich knapp über 400 aktiven Angehörigen der SOE waren 39 weiblich. Allerdings dauerte es noch einmal zwei Jahre, bis der englische Premierminister und de facto Oberbefehlshaber der Truppen, Winston Churchill, seine Erlaubnis dazu gab. Ein Gentleman gibt seine Vorurteile eben nicht so leicht auf.


    Im Mai 1942 aber war es soweit: Frauen durften rekrutiert werden. Eine weitere Schwierigkeit wurde dann auch noch beseitigt. Um den Frauen nach den Paragraphen des Völkerrechts möglichst großen Schutz zu gewähren, brauchten sie Offiziersrang. Das erlaubten die Einheiten des britischen Heeres aber nicht. So mußte eine weibliche Krankenpflegeeinheit herhalten, die seit 1907 bestehende First Aid Nursing Yeomanry. Die zukünftigen Agentinnen waren also Offiziere einer Sanitätsabteilung (F.A.N.Y.). Ich kann immer noch nicht entscheiden, ob das damals ein Kompliment, eine pragmatische Lösung oder eine Herabsetzung bedeutete.
    Um es gleich vorwegzunehmen: es schützte keine von ihnen. Welche der Frauen auch immer von den Nazis entdeckt wurde, überlebte nur per Zufall. Dreizehn von ihnen wurden gefaßt, gefoltert und schließlich ermordet, in den KZs Dachau, Ravensbrück, Natzweiler, Bergen-Belsen.


    Monika Siedentopf, 1944 geboren, in Hamburg lebend, ist Historikerin, Lektorin, Übersetzerin und Mitarbeiterin des WDR. Den deutschen Blick auf diese Agentinnen im Krieg zu lenken, ist tatsächlich ihr Verdienst, denn als die entsprechenden Akten vom englischen Nationalarchiv vor wenigen Jahren erst zur Einsicht freigegeben wurden, nutze sie die Chance sofort. Neben den Personalakten verdankt sie ihre Informationen vor allem einer Frau, Vera Atkins, die die Agentinnen betreute - sie war z.B. zuständig für die Benachrichtigung der Familien, falls die Agentin ihren Einsatz nicht überstand - und nach dem Krieg nicht nur Nachforschungen nach den Verschwundenen anstellte, sondern sich auch später stets bemühte, die Erinnerung an diese Frauen wachzuhalten.


    Alle 39 Frauen der ‚Sektion F’ werden in diesem Buch vorgestellt. Ihr Alter reicht von Anfang zwanzig bis Ende vierzig, sie waren Angestellte, Sekretärinnen, Verkäuferinnen, eine war Besitzerin eines kleinen Hotels, sie waren verheiratet und unverheiratet, einige von ihnen hatten Kinder. Nicht eine ließ sich abhalten, obwohl bekannt war, daß sie ihre Aufgabe höchstens zwei, drei Monate würden ausführen können, ehe sie entdeckt werden würden.
    Voraussetzung war neben körperlicher Gesundheit vor allem fließende Beherrschung der französischen Sprache. Alles andere konnte gelernt werden, funken, Kurierinnendienste, Organisation, Verhalten bei Verhören, Umgang mit Waffen, Nahkampf, Fallschirmspringen. Denn die Frauen wurden per Fallschirm im besetzten Frankreich abgesetzt. Die Ausbildung galt als hart, sie dauerte drei Monate.


    Die biographischen Informationen werden umrahmt von höchst informativen Kapiteln über die Ziele des ‚Agentenkriegs’ sowie die jeweilige militärische und politische Lage. Fehlentscheidungen und Fälle von Verrat werden ebenso detailliert dargestellt. Den Abschluß bildet die Darstellung des Nachlebens. Die Spurensuche von Vera Atkins, ein Bericht über Prozesse gegen die Mörder, postume Ehren. Eine Zusammenstellung der Namen und Daten der Frauen, einschließlich Decknamen und Aufgaben, die von ihnen aufgebauten bzw. genutzten Agentenringen in Frankreich, ein Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur und ein Personenregister runden das Buch ab.
    Im Mittelteil findet man noch erhaltene Fotografien von siebzehn der Frauen und weitere Abbildungen von gefälschten Dokumenten etwa, Gedenktafeln oder des Flugzeugtyps, mit dem sie über den Kanal gebracht wurden.


    Es ist keine wissenschaftliche Darstellung, sondern ein gut lesbares Sachbuch. Ein Verdienst ist sicher darin zusehen, daß es die AgentInnentätigkeit in Kriegen an diesen Beispielen für einmal aller Romantik entkleidet, die man so durch Romane und Film gewöhnt ist und den kruden, oft genug tödliche endenden Alltag eines Einsatzes in den Vordergrund rückt. Ganz wichtig ist es, diese Frauen überhaupt vor dem Vergessenwerden bewahrt zu haben.
    Was mich ein wenig gestört hat, ist, daß die Darstellung nicht selten eher journalistischen Mustern an dramatischer Berichterstattung folgt, um dem Ganzen eine gewisse emotionale Farbigkeit zu geben. Es lockert zugegebenermaßen die beträchtliche Informationsfülle auf, der man ausgesetzt ist.


    Solide recherchiertes Sachbuch mit der sehr spannenden Beschreibung einer erschreckenden Realität in Kriegen, die doch gern verdrängt und geschönt, am allerliebsten aber vergessen wird.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus