Die Antiquarin - Sheridan Hay

  • Originaltitel: The Secret Of Lost Things
    Original erschienen: 2007
    Deutsche Ausgabe: 03/2007
    Seiten: 425
    Verlag: Kindler
    Übersetzt von: Judith Schwaab


    Inhalt
    Als Rosemary Savage mit achtzehn Jahren aus der australischen Provinz nach New York kommt, hat sie auf der Welt nicht mehr als einen kleinen Koffer und ihre Liebe zu Büchern. Auf ihren Streifzügen durch die Stadt entdeckt sie das riesige Antiquariat "Arcade". Sie ist völlig bezaubert von diesem Ort, und als sie dem Inhaber eröffnet, dass sie hier unbedingt arbeiten muss, wird sie zu ihrem Erstaunen sofort eingestellt. Der Zufall führt Rosemary und ihren eigenwilligen Kollegen Oscar auf die Spur eines verlorengeglaubten Manuskripts von Herman Melville. Ein außergewöhnlicher Fund, den auch der rätselhafte Manager des "Arcade" mit allen Mitteln für sich gewinnen will...



    Meine Meinung
    Den bislang gelesenen Begeisterungsstürmen über diese Neuerscheinung kann ich mich nicht uneingeschränkt anschließen. Der Funke ist nicht richtig bei mir angekommen und wird deswegen auch keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Zu viel möchte die Autorin in einen 400-Seiten Roman verpacken:
    - das einsame Erwachsen werden einer 18-jährigen nach dem frühen der Tod Mutter
    - die Geschichte von und um Herman Melville
    - die Auseinandersetzung mit gescheiterten Personen und Menschen die aufgrund Behinderungen unbemerkt an den Rand der Gesellschaft verbannt werden (in diesem Fall Walter Geist, ein Albino)
    und
    - die Story um ein verschwundenes Manuskript Herman Melvilles.


    Die Hauptfigur Rosemary Savage, die von der einzig guten Freundin der verstorbenen Mutter nach New York geschickt wird, um die Freiheit zu erfahren, ist äußerst sympathisch und liebevoll charakterisiert. Das Antiquariat, in dem Rosemary anheuert, ist einzigartig und lädt zum Verweilen ein. Es erinnerte mich selbst an eine gute Freundin, die ein Antiquariat führt und ich fühlte mich sogleich heimisch. Die Menschen, denen Rosemary im Laden begegnet, sind alle recht skurril und merkwürdig. Zu Beginn hat man das Gefühl sich in einer großen, dunklen Höhle mit lauter merkwürdigen Bibliophilen zu befinden, was gewiss seinen Reiz hat.
    So war es auch ein leichtes, die ersten 150 Seiten vorbeifliegen zu lassen, gefesselt und gespannt abwartend, was sich da noch ergeben wird.


    Zur Mitte hin jedoch, flacht die Handlung ab, die Autorin verliert sich in Nichtig- und Kleinigkeiten und schweift für meinen Geschmack zu sehr in bebilderte Vergleiche ab um eine gewollt anspruchsvolle Atmosphäre zu schaffen. Zugleich steckt man selbst, wie auch die Hauptfigur, etwas planlos in der Geschichte fest, denn die Autorin lässt einfach des Lesers Hand los ohne mitzuteilen, wo die Reise hingehen soll. So hat man sich auf Rosemarys Schwärmerei zu Oscar eingelesen - jemand anders vielleicht auf die Problematik der an Albinismus erkrankten Menschen - und ein paar Seiten weiter dreht sich doch wieder alles um Herman Melville. Mit diesem Gefühl der "Handlungsstrangspringerei" kommt man sich selbst ein wenig verlassen vor und die Motivation weiterzulesen stellte sich teilweise vollständig ein. Einzig der rote Faden um Melville konnte mich dauerhaft überzeugen.


    Dieser Handlungsstrang um Herman Melville ist wiederum sehr erleuchtend und originell. An manchen Stellen wäre ich gerne vor Neugier in die nächste Bibliothek gerannt, um mir eine Biographie um diesen seltsamen Autor zu besorgen und diese auf der Stelle zu lesen. Man erfährt viel über Melvilles Hintergrund und Schriftstellertätigkeit. Eine mir bislang völlig uninteressant erscheinende Sache, bei der die Autorin mich eines besseren belehrte. Moby Dick werde ich mir jedenfalls definitiv nochmal in der erwachsenen Ausgabe antun :-].


    Alles in allem konnte mich der Roman aufgrund der diversen und chaotisch geführten Handlungsstränge nicht überzeugen. Auch die schöne und sicher nicht anspruchslose Sprache kann daran nichts ändern. Vielmehr unterstützt sie in mancher Hinsicht das Verwirrspiel und trägt damit sogar zur Langeweile bei. Auch die Vermischung mit z.T. reißerischen Elementen hätte sich die Autorin sparen können. Eigentlich wäre mir lieber gewesen, sie hätte sich für einen Weg entschieden, wäre diesen konsequent mit ihren Lesern gegangen, als verschiedene Richtungen einzuschlagen und am Ende gerade noch so die richtige Kurve zu kriegen.


    Fazit: Ein netter, sprachlich ausgefeilter aber nicht ganz einfach zu lesender Roman um skurrile bibliophile Figuren, das Erwachsen werden und Herman Melville. Die Abschnitte um das Antiquariat, deren Figuren und Herman Melville möchte ich nicht mehr missen, alles andere war zu oberflächlich um sich dauerhaft einzuprägen.

  • Also ich kann mich der verhaltenen Meinung von SueTown anschließen, allerdings aus anderen Gründen, hier


    Meine Meinung:


    Rosemary Savage ist achtzehn Jahre alt, soeben zur Waisen geworden, und versucht ihr Glück statt in dem ländlichen Tasmanien in der großen weiten Welt, mitten in New York. Im Antiquariat “Arcade” findet sie bald eine Anstellung, die sie als Buchliebhaberin glücklich machen müsste, doch zu seltsam sind die Menschen, die hier arbeiten. Sie alle erscheinen wie Außenseiter oder Gestrandete, die im Arcade eine Zuflucht gefunden haben. Trotz der skurrilen Gestalten findet sich der bücherliebende Leser sehr schnell in die Geschichte und auch in das Arcade ein, was nicht zuletzt an der authentischen Atmosphäre liegt, die Sheridan Hay hier erzeugt. Eine Mischung aus Dickens und Twin Peaks im heutigen New York, so faszinierend ist die Welt der jungen Rosemary, die eine wirklich sympathische Hauptfigur darstellt. Spannungselemente kommen hinzu, als es plötzlich um ein verschollenes Manuskript von Herman Melville geht, dem einige Angestellte unabhängig voneinander auf der Spur sind. Rosemary gerät zwischen die Fronten und muss sich zwischen ihren Gefühlen, zwischen Zuneigung und Mitgefühl entscheiden. Genau dieser Konflikt und die daran beteiligten Personen konnten mich leider nicht überzeugen, so komplex und vielschichtig Rosemary gezeichnet wird, so eindimensional sind die männlichen Nebenfiguren, zu denen ich nicht nur keinen Zugang gefunden habe, sondern die in mir ein regelrecht abstoßendes Gefühl ausgelöst haben. So wirkten denn auch einige Handlungen auf mich sehr unglaubwürdig, was mein Lesevergnügen doch stark gemildert hat. Für bibliophile Leser solide Unterhaltung, wenn auch leider nicht der ganz große Wurf!



    @ SueTown: Findest du auch, dass


  • Huhu milla!
    Ich bin völlig deiner Meinung :lache. Frau Hay hat manchmal einfach zu dick und zu viel aufgetragen und wurde damit, wie du auch beschreibst, völlig unglaubwürdig.



    Zitat

    Original von milla
    Rosemary gerät zwischen die Fronten und muss sich zwischen ihren Gefühlen, zwischen Zuneigung und Mitgefühl entscheiden.


    Schön, dass du diesen Aspekt auf den Punkt bringst. Ich war mir tatsächlich nicht ganz sicher, ob Sheridan Hay wirklich nur diese Gefühlslagen rüberbringen wollte oder ob es ihr eher um denn allgemeinen Zustand von Geist ging oder doch wieder um Oscar... Mir schwirrte zeitweilig der Kopf vor lauter zwiespältigen Gefühlen :grin

  • Also gut, ich habe nun meine zweite Meinung.


    Das Buch interessiert mich nach wie vor, aber vielleicht leihe ich es mir mal aus. Aufgrund der Kritik ist es mir das Wagnis, das Geld für ein gebundenes Buch auszugeben, doch zu groß. ;-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • @ Batcat


    Mir geht es genauso. Mich interessiert das Buch immer noch, auch wenn es hier nicht besonders gut abschneidet. Ich warte bis meine bevorzugte Stammbücherei es gkauft hat und leihe es mir dann aus. :wave

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Also gut, ich habe nun meine zweite Meinung.
    Das Buch interessiert mich nach wie vor, aber vielleicht leihe ich es mir mal aus. Aufgrund der Kritik ist es mir das Wagnis, das Geld für ein gebundenes Buch auszugeben, doch zu groß. ;-)


    Gestern in der Buchhandlung:
    Eigentlich wollte ich das neue Buch von Christoph Hein kaufen.
    Aber dann fiel mir "Die Antiqaurin" auf - es wurde von einer Buchhändlerin gelobt, und ich war nah dran, es zu kaufen, da ich Bücher liebe, in denen es um Bücher geht - nachdem ich die beiden Stellungnahmen hier zu dem Roman gelesen habe, bin ich froh, dass ich es nicht gekauft habe. Vielleicht dann später mal als TB.
    Nach einem Gespräch mit einem Buchhändler bin ich letztlich mit einem völlig anderen Buch wieder gegangen.
    Steve Martin, "Sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen". Das ist das Schöne an einer Buchhandlung, in der es noch BuchhändlerInnen gibt, die beraten können. Ein Buch gekauft zu haben, das man selbst nie ausgesucht hätte und sich dann überraschen zu lassen.

  • Zitat

    Original von Cookie
    Nach einem Gespräch mit einem Buchhändler bin ich letztlich mit einem völlig anderen Buch wieder gegangen.
    Steve Martin, "Sehr erfreut, meine Bekanntschaft zu machen". Das ist das Schöne an einer Buchhandlung, in der es noch BuchhändlerInnen gibt, die beraten können. Ein Buch gekauft zu haben, das man selbst nie ausgesucht hätte und sich dann überraschen zu lassen.


    Die persönliche Beratung, die dir so eine Buchhandlung liefern kann, ist wirklich unbezahlbar. (Du erinnerst mich daran, dass heute ein neuer großer Thalia in Karlsruhe eröffnen soll... *händereib*).

  • Mich hat es enttäuscht :-(, es fing so vielversprechend an, dass ich unversehens
    vor dem Podest stand und und mich mit Rosemary um den Job im Arcade bewarb. :-]


    Ab dem Zeitpunkt ging es bergab.
    Am Ende hat mich das Buch nur genervt und ich wollte es einfach fertig haben.
    Selbst die Geschichte mit Melville fand ich an den Haaren herbeigezogen und
    künstlich.
    Schade, denn der Anfang war wirklich schön.


    enttäuschte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Zitat

    Original von Elbereth
    Schade, denn der Anfang war wirklich schön.


    Der hat auch mich am meisten überzeugt, obwohl mir die Melville Abschnitte ebenfalls sehr gut gefallen haben. Der Anfang ist besonders für Bibliophile sehr schön. :-)

  • Zitat

    Original von SueTown


    Der hat auch mich am meisten überzeugt, obwohl mir die Melville Abschnitte ebenfalls sehr gut gefallen haben. Der Anfang ist besonders für Bibliophile sehr schön. :-)


    Hallo SueTown und Elbereth,
    dann lese ich doch einfach nur mal den Anfang - irgendwann.


    Beste Grüße
    Corinna

  • Die Antiquarin hat mich nicht grade vom Hocker gerissen...
    Tolle Idee, dachte ich, ein Buch für alle, die Bücher und Buchhandlungen lieben...
    Allerdings packt die Autorin m.M.n. zu viel in die Geschichte. Ein unveröffentlichtes Melville-Manuskript, ein Mädchen, das ihren Platz in der Welt zu finden versucht, allerlei skurrile Gestalten und kauzige Charaktere...
    Die thematische Aufarbeitung des 2. WK habe ich da dann doch etwas vermisst...


    Aus der Geschichte hätte man was machen können, in dieser Form aber hat sie mich ob der Verschwendung einer tollen Idee nur geärgert.


  • :wow Grade erst gelesen... :bonk
    Kann ich nur zustimmen!

  • Trotz all den negativen Kritiken habe ich die "die Antiquarin" heute aus meinem SuB befreit. Ich fand es von Rosemary sehr mutig, alleine in eine Millionenstadt zu gehen und sich dort um einen Job zu bewerben. Der Anfang ist meiner Meinung recht gut gelungen und ich bin schon sehr gespannt, wie es weiter gehen wird. :grin

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Ich habe nun 3/4 des Buches gelesen und ich muss sagen, mir gefällt das Buch sehr, sehr gut. Ich habe das Buch "nur" ausgeliehen, weils mir in die Augen gestochen ist, als ich in der Bibliothek war, werde mir das Buch aber sicher noch kaufen. Das will ich unbedingt zum "mal-wieder-nachschauen-und-nachlesen" haben.
    All diese Details und Ausschweifungen machen erst die Atmosphäre.
    Und ich finde, dass die vielen Themen, die Sheridan Hay in dieses Buch packt zwar schon viele sind, aber würde eines nicht vorhanden sein, wäre das Buch nur halb so gut.


    Ich habe, wie es aussieht ein wenig eine andere Meinung als ihr über das Buch.
    Das Buch hat mich übrigens auch neugierig über Herman Melville gemacht. Habe noch nichts über ihn oder von ihm gelesen. Das werde ich nun sicher nachholen.

  • Hallo


    habe das Buch "Die Antiquarin" geschenkt bekommen und es gerade ausgelesen.
    Es gefiel mir doch sehr gut und die Autorin schafft es schon, die vielen verschiedenen
    Themen auf die Reihe zu kriegen. Es wird zum Schluß wieder sehr spannend.
    Für alle Melville Leser ein absolutes Muß.
    Ich mag z.B.: Moby Dick gar nicht...
    Das Buch hat einige Längen, aber es war nicht langweilig.
    Am liebsten würde ich nach New York reisen, nur um dort in eine grosse
    Buchhandlung zu gehen. :-)


    Grüsse
    EVa

    Tilmann Lahme Die Manns Geschichte einer Familie
    Byron Tanja Das Gehirn meiner Großmutter








    Bei tauschticket: wallilanda
    Bei tauschgnom: evalitera

  • Ich kann mich siamang nur anschliessen.
    Sicher ist es kein Buch, das vor Action nur so strotzt. Sicher ist nicht Alles nachvollziehbar.
    Aber mir hat die Atmosphäre in dem Buch unheimlich gut gefallen: geheimnisvoll und sinnlich (was in dem Fall nicht unbedingt sexuell meint).


    Das Buch hat auch mein Interesse für Borges und Melville geweckt, zudem würde ich zu gerne einmal in einer Buchhandlung wie "Arcade" einen Nachmittag verbringen.


    Ich fand, dass gerade der Erzählstrang um Rosemary unglaublich gelungen ist: mit 18 aus Tasmanien auszuwandern, mit fast niemanden mehr auf der Welt, in New York dann herumirren, sich zu verlieren und dann letztendlich zu sich zu finden...


    Ich empfand den Roman als sehr rund. Es ist nicht das Werk des Jahrhunderts, aber ich habe mich auf sehr interessante, feine Art unterhalten gefühlt, und das kann man wirklich nicht von jedem Buch behaupten.


    Mein Lieblingssatz: "Every book is a gift."


    Ich habe übrigens die englische Ausgabe gelesen.

  • Ich kann mich cookiemonster nur anschließen. Auch ich habe das Buch gerade auf Englisch gelesen und war sehr zufrieden.
    Jedes Buch ist ein Geschenk.
    Es war kein Actionthriller, aber als solches habe ich es nicht erworben.
    Die Personen waren sehr gut beschrieben. Man konnte sie sich bildlich vorstellen. Auch die Einblendungen war gut gewählt.


    LG lesebiene

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein