Inhalt
Das Letzte, was die DDR-flüchtige Nelly Senff sich von ihrem Staat gefallen lassen muss, ist eine inwändige Leibesvisitation. Der letzte Eingriff vor der Ausreise ins Feindland, die letzte private Manipulation, die letzte Demütigung. "Nicht gehen ließen sie mich. Als Trojanisches Pferd wollten sich mich schicken."
Das Erste, was Nelly Senff im Westen erwartet: Demütigungen. Stundenlange Verhöre durch verschiedene Geheimdienste, Mehrbettzimmer und Doppelstockbetten, zwielichtige Wohltäter, Spitzel-Verdacht, Essensmarken und Nieselregen. Allgegenwärtig der Gospel-Sound aus den Radios der amerikanischen Besatzer. Und viele offene Fragen: "Was glaubt ihr, was euch im Kapitalismus erwartet?2
Lagerfeuer handelt von Transiterfahrungen, im geografischen, ideologischen und existenziellen Sinn. Schauplatz ist das ehemalige Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde. Hier machen vier sensible Hauptpersonen eine gemeinsame Erfahrung: an einem Ort zu sein, an dem keiner von ihnen sein will. Zukunft: ungewiss. Neben Nelly Senff mit ihren beiden Kindern sind da Krystyna aus Polen, der arbeitslose Schauspieler Hans Pischke und John Bird, ein schwarzer US-Amerikaner im Dienst der CIA, der Nelly bei ihrer Ankunft verhört. Locker verknüpft die Autorin die individuellen Geschichten und lässt ihre Figuren aus persönlicher Sicht erzählen, über große Strecken gleichsam wie in Echtzeit. Die Augenblicke aus dem Lageralltag, die schwer "wie ein Kind" wiegenden Erinnerungen an das Leben vor dem Lager, erhalten durch die Dehnung der sinnlichen Wahrnehmung eine ungewöhnlich intensive Präsenz.
Autorin
Julia Franck wurde 1970 in Ost-Berlin geboren und übersiedelte 1978 mit ihrer Familie nach West-Berlin. Ihre weitere Kindheit verbrachte die Autorin in Schleswig-Holstein. Sie studierte neuere deutsche Literatur und Altamerikanistik an der Freien Universität Berlin und hielt sich längere Zeit in den Vereinigten Staaten und in Mittelamerika auf. Danach übte sie verschiedene Tätigkeiten aus; u.a. war sie Hörfunkredakteurin beim Sender Freies Berlin und freie Mitarbeiterin verschiedener Zeitungen und Zeitschriften. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in Berlin.
1998 erhielt Julia Franck das Alfred-Döblin-Stipendium, 1999 ein Stipendium der Stiftung Niedersachsen, 2000 den 3Sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, 2004 den Marie-Luise-Kaschnitz-Preis, 2005 den Roswitha-Preis und ein Villa Massimo-Stipendium. Seit 2001 ist sie Mitglied des deutschen P.E.N.-Zentrums.
Meine Meinung
Der Alltag im Notaufnahmelager ist alles andere als das gelobte Paradis des Westens. Mit nuechterner klarer Sprache laesst Julia Franck den Leser spueren wie droege und trostlos diese Umgebung ist. Deutlich wird auch, wie dadurch auch die zwischenmenschlichen Beziehungen der Lagerbewohner untereinander und mit der Aussenwelt drunter leiden.
So langweilig das Leben der Hauptcharaktere des Buches ist, das aus ihrer eigenen Perspektive erzaehlt wird, beim Lesen wurde mir nie langweilig. Der Autorin ist es tatsaechlich gelungen die verschiedenen Erzaehlstraenge zu verknuepfen ohne den Lesefluss zu beeintraechtigen oder den Leser zu verwirren.
Dennoch war ich letztlich ein wenig vom Buch enttaeuscht, hatte ich doch mehr erwartet. Ich interessiere mich sehr fuer die neuere deutsche Geschichte und wollte etwas mehr erfahren. Viel kam dabei fuer mich leider nicht raus. Ja, es wurde natuerlich wieder einmal klar wie der Stasi ueber alle Grenzen hinweg Menschen zerstoert. Auch die anderen Geheimdienste sind in diesem Falle kaum besser. Und klar wurde auch wieder deutlich, dass Asylanten nicht immer mit offenen Armen aufgenommen wurden.
Aber darueber hinaus hat das Buch eigentlich nur eine unendliche Hoffnungslosigkeit bei mir hinterlassen. Und da wage ich doch mal zu hoffen, dass das nicht wirklich gerechtfertigt ist.
Fazit: Ein interessantes Thema, gut lesbar erzaehlt, aber vielleicht doch alles in allem etwas zu duester