Begehren - Krug, Andrea / Schadenberg, Dagmar (Hg.Innen)

  • Es hat das Format eines Taschenbuchs, ist aber gebunden. Die schwarze Außenansicht ziert die verlockende Linie einer weiblichen Brust im Profil, der Vorsatz leuchtet einem beim Aufschlagen gleich sündig rot entgegen. Begehren ist der dazu passende Titel dieser kleinen Anthologie erotischer Phantasien, der dritten, die bei dem nun seit 14 Jahren existierenden kleinen Verlag von Andrea Krug und Dagmar Schadenberg erschienen ist.
    Für mich war es die erste.


    21 Autorinnen beschreiben in 20 Erzählungen, Kurzgeschichten und Kurzprosa lesbisch-weibliches Begehren. Die Skala - die Einteilung ist die meine und richtet sich nach den Haupttendenzen - reicht von urkomisch (Anne Bax mit Möhren durcheinander oder Silke Buttgereit Josephine) über locker (Elke Heinicke Der perfekte Umzug, Manuela Kuck Tarzan und Jane in Brandenburg), ernsthaft - zärtlich (Stephanie Sellier, Perfekte Momente), traurig - sehnsüchtig (Gitta Büchner Pizza siciliana, Ulrike Schuff Seelöwinnen, Cynthia Kear Ich warte), erwartungsvoll - sehnsüchtig (Renate Zeiss Aphrodite, Schöne, Schönste; Inge Lütt Begehren, Litt Leweir Farben), nachdenklich - philosophisch (Katrin Janitz Die Traumfrau; Katrin Kremmler Triptychon), träumerisch (Regina Nössler/Corinna Waffender LustSpiel in drei Akten, Sabine de Martin Eurocitynight, Jule Blum Ribanna), bis eindeutig (Lea Brandes Der Duft von Orangen und Renate Stendhals hinreißend Rokoko-kostümierter Ehrengast). Nicht wenige Geschichten gelten der Erotik im Alter, die oben genannte Josephine, Chuluk Brudis frech-schrilles Desire 60+, das herzzerreißend schöne Noémies Hände von Brigitte Ourlin.


    Überwältigt wird man beim Lesen von der durchgängig hohen literarischen Qualität der Texte. Äußerst sorgfältig ist der Gebrauch der Sprache, es gibt kleine Experimente mit Text, Wortspiele und Wortspielereien. Ein aufmerksamer Umgang mit Charakteren ist selbstverständlich. Wunderbare Frauengestalten werden hier geschaffen, oft nur skizzenhaft, aber durchaus lebendig, jung, alt, schön, verführerisch, frech, hübsch, nicht hübsch, auf jeden Fall und in jeder Lage unwiderstehlich.
    Ein zweites und drittes Lesen der einzelnen Geschichten empfiehlt sich, denn sie erweisen sich als erstaunlich vielschichtig.


    Die Anthologie ist in sich eine erotische Komposition. Ein poetisch - märchenhafter Anfangssatz wie ‚Hinter der Stadt fällt der Himmel auf die Erde’ (Ulrike Schuff Seelöwinnen) bestimmt nicht allein den Ton dieser einen Geschichte, sondern findet ein Echo in anderen, auf den ersten Blick weniger oder gar nicht lyrisch angelegten, so, wie ein komischer oder burschikoser Grundton einer ganz anders komponierten Geschichte sich wiederum in die übrigen Texte webt. Auch die Motive, Farben, Gerüche, Träume tauchen immer wieder auf, spiegeln sich, verweisen zurück.


    Zugleich ist jede Geschichte eigenständig, hat ihren ganz eigenen Ton, ihre Art der Darstellung, ihre Form des Begehrens. Wo auch immer man ansetzt, ist das Lesen lustvoll auf jeder Ebene. Dazu paßt es auch, daß Buchtitel und der Titel der letzten Geschichte, ein karg formulierter Text, der unvermutet überwältigende Intensität entwickelt, gleich lauten. Hier schließt sich die Klammer.
    Diese letzte Geschichte, das soll hier nicht verschwiegen werden, gerade hier, muß ich sagen, stammt von Inge Lütt, die in diesem Forum unter dem Nick blaustrumpf schreibt.


    Was mich besonders beeindruckte und was mir über dem Genuß der sprachlichen Qualität, der wunderbaren Charaktere und natürlich des erotischen Prickelns als Eindruck bleiben wird, ist, daß es in diesem Buch immer um Liebe geht. Die, die man genießt, flüchtig oder auf Dauer, die man gewinnt, verliert, sucht, von der man träumt, nach der man sich sehnt. Bei aller Körperlichkeit, die man in den Geschichten sicher nicht vermißt, geht es letztlich doch um mehr. Um Liebe eben. Ich hätte nie gedacht, daß ein so kleines Buch soviel Liebe enthalten kann.


    Das ist ganz sicher ein Büchlein, das es verdient, über die Nische ‚lesbisch’ hinaus bekannt zu werden. Sechs Seiten Anhang informieren über die Autorinnen und Übersetzerinnen, damit man sich gleich über das Buch hinaus ein Bild machen kann.
    Einziger Kritikpunkt und der ist wirklich ernst: die viel zu kleine Schrift. Das kann dem Aufkommen von erotischen Gefühlen beim Lesen durchaus hinderlich sein. Vom Vorlesen ganz zu schweigen.


    Dennoch: uneingeschränkte Leseempfehlung. Zückt die Brillen!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus