Die Regentin von Julia Kröhn

  • Einen historischen Roman, der nicht im beliebten Spät- oder Hochmittelalter spielt, mit dem
    Aufdruck "Historischer Bestseller" zu versehen, wäre ein Wagnis, wäre jemand
    anders als Julia Kröhn die Autorin. So ist es jedoch ein Vesprechen.
    Im Nachwort beschreibt die österreichische Autorin, wie sie auf die Idee kam,
    einen Roman über die angelsächsische Fürstentochter zu schreiben, die
    schließlich zur Regentin des fränkischen Königshofes wurde.
    "Aschenputtels wahre Geschichte", erzählt Kröhn, lautete die Überschrift eines
    Zeitungsartikels, der sie neugierig gemacht hat auf die Frau, die wir unter
    dem Namen Bathildis kennenlernen und die eine historische Entsprechung hat.


    Der Roman beginnt im Jahre 632 n. Christus mit Bathildis Geburt, die
    argwöhnisch und missgünstig von ihrer Großmutter Acha begleitet wird. "Och,
    soll das Balg doch in diesem roten Leib ersticken", wünscht die Großmutter,
    und es scheint, als schwebe dieser unfromme Wunsch zeitlebens über Bathildis.
    Fünfzehn Jahre später treffen wir sie in einem Kloster wieder. Bathildis lebt
    dort, ist die Erste, welche die fremden Schiffe sieht, die von Feinden, die
    das Land überfallen wollen, gesteuert werden. Sie rettet die
    Klosterschwestern vor den nordischen Angreifern.
    Wenig später kommt ihr Vater Thorgil, um sie aus dem Kloster zu holen und sie
    an den Mann zu verheiraten, der ihr schon bei der Geburt versprochen war:
    Aidan, Sohn des Ricbert, der zu den einflussreichen Familien Northumbriens
    gehört.
    Ricbert und Aidan begleiten Thorgil und Bathilidis, doch sie werden
    überfallen, Ricbert und Thorgil getötet, Aidan und Bathildis in die Sklaverei
    verschleppt.
    Auf dem frankenländischen Sklavenmarkt in Quentovic wird Bathildis von ihrem
    Bräutigam Aidan getrennt. Ein Schwur jedoch soll sie aneinander binden: "Wenn
    wir denn überleben, so werden wir stets danach trachten heimzukehren. Wir
    werden nicht aufgeben, uns wiederzufinden. Wer immer es zuerst schafft, wer
    immer das besser Los findet - er darf nicht ruhen, ehe er nicht den anderen
    gefunden hat."
    Bathildis wird von einem Mönch gekauft, der sie an einen reisenden Händler
    weiter verschachert. Als dieser Händler, Sicho mit Namen, getötet wird, ist
    Bathildis ganz allein im Schnee und in der Fremde. Am liebsten wäre sie tot,
    doch das Versprechen, das sie Aidan gab, hält sie am Leben.
    Sie wird von Erchinoald, dem Major Domus von Neustrien-Burgund, gefunden und,
    nachdem sie sich dem Manne verweigert hat, als Sklavin an den Hof König
    Chlodwigs II. gebracht.
    Die angelsächsische Fürstentochter Bathildis verrichtet dort die niedrigsten
    Arbeiten, schläft in der Asche vor dem Herd. Durch einen Zufall wird der
    Merowingerkönig Chlodwig auf Bathildis aufmerksam und macht sie zu seiner
    Frau.
    Ebroin, des Königs bester Freund, versucht, Bathildis auf seine Seite zu
    ziehen und gemeinsam mit ihr an der Seite des schwachen Königs das Königreich
    Neustrien-Burgund zu regieren. Bathildis aber will von Ebroin nichts wissen.
    Sie, die sich noch immer nach ihrem Bräutigam Aidan sehnt und großes Heimweh
    verspürt, verfällt in Lethargie und Schweigen. Auch die Geburt der beiden
    Söhne Chlothar und Childerich kann ihr Gemüt nicht aufheitern. Doch nach
    einiger Zeit findet sie in Sympathie zu ihrem Gatten zurück. Eine
    verhältnismäßig glückliche Zeit, in die auch die Geburt des dritten Sohnes
    Theuderich fällt, beginnt und wird schon bald vom Tod Chlodwigs beendet. Nun
    ist Bathildis Regentin und Ebroin der Major Domus des Landes.
    Eine Zeit der größten Zerrissenheit in Bathildis Leben beginnt. Zum einen ist
    sie als Regentin bestrebt, das Leben der Sklaven, das sie aus eigener
    Erfahrung kennt, zu verbessern. Zum anderen zwingen sie das eigene
    Machtstreben und Ebroins Politik immer wieder dazu, grausam zu sein.
    Als sie den Tod zweier Bischöfe nicht verhindern kann, flieht sie schließlich
    in ein Kloster. Von Aidans Schicksal erfährt sie erst auf dem Totenbett.


    Julia Kröhn ist mit der Bathildis-Geschichte ein Roman gelungen, der aus dem
    Gänseblümchengarten der Historischen Romane wie eine Rose heraus sticht. Die
    sprachgewaltige Österreicherin versteht es nicht nur vorzüglich, Charaktere
    zu schaffen, die vom ersten bis zum letzten Auftritt überzeugen, sondern
    vermeidet meisterhaft jegliche Klischees, die dem Genre allzuoft anzulasten
    sind. Die auch als Journalistin arbeitende Kröhn versteht sich so gut auf
    Dramaturgie, dass Spannung von der ersten bis zur letzten Seite garantiert
    ist. Das wirklich Bemerkenswerte an der jungen Autorin ist aber ihre
    Fähigkeit, Protagonisten zu schaffen, die ganz und gar unverwechselbar sind.
    Ihre Helden sind niemals nur gut oder nur böse, sondern mit psychologischem
    Gespür gezeichnet und mit allen Attributen des Lebens ausgestattet. Sehr gut,
    wenn auch an manchen Stellen nicht immer meisterhaft, gelingt es Kröhn, die
    Zerrissenheit der Bathildis über nahezu 600 Seiten so zu beschreiben, dass Bathildis fühlbar ist. Der Leser heißt das Handeln nicht immer gut, aber es bleibt - vor dem Hintergrund eines von so viel Leid und zugleich auch Glück geprägtem Schicksal - immer nachvollziehbar. Einen Roman, den ich mit großer Freude gelesen habe und der noch lange in mir
    nachgeklungen hat.

  • Was für eine furiose Rezi, Ines!
    Da fühlt man sich ja sofort wachgerüttelt, um in den nächsten Buchladen zu rennen und das Buch zu erwerben. :-]
    Da mich "Die Chronistin" schon sehr beeindruckt habt, wirds nicht lange dauern, bis ich dem Kaufwunsch nachgeben werde.

  • Grisel


    einmal passiert noch genug. :grin


    Und zum zweiten ist eben die detaillierte Beschreibung dessen, was passiert und wie's passiert, immer noch so aufregend geschildert, daß sich die Lektüre lohnt.


    Schau Dir einfach mal die Leseprobe an. Unter 'Romane' zu finden, leider verlinkt es bei mir nicht direkt.


    Ich fand's klasse.


    :wave


    Magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Habe noch den Fitzek dazwischengeklemmt, aber was soll man nach so einer Rezi von Ines über das Buch noch viel anderes sagen ausser: Lesen, sehr empfehlenswert.


    Und ja- magali hat recht, es passiert noch genug, vor allem wie es passiert und wie es geschildert wird ist lesenswert.


    Noch zur Ausstattung: Das Buch enthält eine Karte, aus der die alten Bezeichnungen und Landschaften ersichtlich sind, eine Zeittafel sowie ein Verzeichnis der handelnden Personen und ein historisches Nachwort der Autorin- Merkmale, die für mich ein Bestandteil des Unterschieds zwischen einem guten und hervorragenden historischen Roman ausmachen- auch wenn manchmal der Autor/ die Autorin nichts dafür kann, wenn der Verlag an ihren Wünschen spart.

  • So, ich habe es nun gelesen.


    Julia Kröhn hat einen sehr eigenen Schreibstil. Ich hätte das Buch ohne Autorenangabe lesen können und gleich gewußt, welcher Autor es ist. Ihren Stil habe ich sofort aus "Die Chronistin" wiedererkannt.


    Auch hier ist der Hauptcharakter keine schöne geschmeidige Heldin. Nie wird auch nur annähernd ihre Figur anhand äußerlichen Merkmalen beschrieben, ausgenommen, das sie großgewachsen ist. Das ist erfrischend anders. Es wehen keine langen Locken im Wind und nie senkt sie die Wimpern über himmelblauen Augen und rosigen Wangen. Einfach deswegen schon mochte ich ihre Bücher.


    Bathildis ist kein einfacher Charakter. Sie ist zerissen, widersprüchlich, eigensinnig. Sie blickt immerfort zurück, denkt, woanders wäre es besser, mit jemand anders wäre es besser, und macht deswegen manchen Fehler. Für mich war sie kein liebenswerter Charakter, aber dennoch interessant. Ich hätte sie manchmal schütteln können, wenn sie sich wieder selbst im Wege war und einen Anspruch an sich setzte, nur um dann genau entgegengesetzt zu handeln.


    Aber genau deswegen ist es ein eindrucksvolles Buch. Hier wird keine "Mädchen-setzt-sich-durch-und-findet-am-Ende-die-Liebe-ihres-Lebens" Geschichte erzählt. Hier geht es um eine Figur, die sehr reale Zweifel durchlebt, hadert, Fehlentscheidungen trifft. Die sich nicht immer ihren Gefühlen öffnet, sie sogar verdreht. Bathilids sieht ihre dunkle, schlechte Seite, aber versucht, sie zu unterdrücken. Es ist beeindruckend, wie gut die Autorin diesen steten Kampf mit sich selber darstellt. Auch wenn Bathildis manchmal nervt, es ist trotzdem fesselnd.


    Ich würde es uneingeschränkt jedem empfehlen, der eine Erfrischung in Sachen historischem Roman möchte.



    Einen einzigen Kritikpunkt habe ich: Julia Kröhn scheint das Wort "deuchte" zu lieben. Schon in der "Chronistin" tauchte es mindestens einmal auf jeder Seite auf. Hier ist es leider auch arg oft vertreten. Es wird einfach zu oft benutzt. Ebenso wie das Wort "schrill", das sie in jederweder Variation verwendet. Für das nächste Buch würde ich mit eine etwas abwechslungsreichere Wortwahl wünschen.

  • Inzwischen habe ich das Buch von ganz vorne bis ganz hinten gelesen und muß meine erste Begeisterung (oben geäußert :grin) etwas revidieren.


    Thema und Einstieg sind toll. Fesselnd. Überzeugend und gut erzählt. Ein beeindruckender Auftakt.
    Es geht dann eher unterhaltend weiter, aber das im positiven Sinn. Es ist spannend und man bleibt neugierig. Auch das Thema Liebe wird nicht schmozettenmäßig, sonder durchaus komplex behandelt.


    Ab der zweiten Hälfte des Romans aber begannen sowohl die Handlung als auch die Personen ein wenig zu verblassen. Ich konnte nicht recht feststellen, woran es liegt. An der Fülle von Ereignissen? An den vielen Personen? Oder aber, im Gegenteil, daß reichhaltiges Erzählmaterial unter einem einzigen Gegensatz, nämlich dem zwischen Bathildis und Ebroin, reduziert wird?
    Der Konflikt war mir dann zu stromlinineförmig. Die letzten ca. hundert Seiten fielen im Vergleich zum Einstieg ab.


    Insgesamt aber ein guter Unterhaltungsroman mit einem ungewöhnlichen Thema aus einer wenig bekannten Epoche.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • "Die Regentin" hätte ich fast ungelesen verschenkt, weil ich "solche Romane" (DIE Goldschmiedin, DIE Pelzhändlerin usw) eigentlich nicht lese. Aber ich hab das Buch von einer MA-Historikerin, die total begeistert ist.
    Anfangs war ich skeptisch, dann hingerissen, aber irgendwann ist mir Bathildis Charakterstudie etwas zu konfus geworden, ihre Zerrissenheit erscheint mir übertrieben. Das fand ich schade, denn Julia Kröhn beschreibt die verletzte Psyche sehr schön und gut nachvollziehbar. Aber wenn es zu viel wird, fühlt es sich unglaubwürdig an. Das ging mir dann bei der Chronistin genauso. Irgendwann wurden die Charaktere grotesk, ohne das der Roman eine Groteske wäre, sondern er nimmt sich ernst. Und das funktioniert für mich einfach nicht.
    Aber sprachlich gehören beide zu den wenigen wirklich feinen Büchern unter den historischen Romane!!! Deshalb gibt es trotzdem eine 2+ von mir! :)

  • Zitat

    Original von hanako
    Aber sprachlich gehören beide zu den wenigen wirklich feinen Büchern unter den historischen Romane!!!


    Dem moechte ich mich unbedingt anschliessen.


    Schade, dass Dich die Zeichnung der Bathildis nicht voellig ueberzeugen konnte. Ich war (und bin) davon sehr beeindruckt und fand sie keineswegs grotesk, sondern besonders glaubhaft - gerade weil zwar eine Entwicklung, aber keine 180-Grad-Wendung stattfindet, weil die harsche Praegung, die Bathildis erfahren hat, nicht ausheilt, sondern ihr Denken, Fuehlen und Handeln bis zum Schluss bestimmt.
    Zudem hat mich in diesem Roman die Figur des Chlodwig so nachhaltig beruehrt, dass ich nach Monaten immer noch glaube, ihn zu kennen.
    Fuer mich ist Julia Kroehn eine Meisterin der Charakterstudie.
    An ihren Buechern beeindruckt mich, dass sie handwerklich - besonders was die Dramaturgie betrifft - absolut souveraen und professionell gemacht sind, ohne im Geringsten in Gefahr zu geraten, an Individualitaet, Tiefe und Gehalt zu verlieren. Julia Kroehn ist eine Autorin, die etwas zu erzaehlen hat - und die erzaehlen kann. (Eine eher seltene Mischung, finde ich.)


    Gute Nachricht fuer Begeisterte wie mich: Das neue Buch ist da! "Die Tochter des Ketzers" ist wiederum ein Titel, der dem Buch ueberhaupt nicht gerecht wird. Das ist aber bisher (bin auf Seite 223) auch meine einzige Kritik.
    Wenn es so bleibt, ist es wiederum NOCH besser als der Vorgaenger, sprachlich noch geschliffener, dramaturgisch noch eleganter - und dabei aufwuehlend, zum Denken, Fragen, Staunen und Nachblaettern anregend, mehrboedig, einfuehlsam und klug.


    Alles Liebe von Charlie


    P.S.: dass Julia Kroehns Buecher alle hervorragend recherchiert sind, erwaehne ich gar nicht mehr.

  • Zitat

    Original von Charlie
    Schade, dass Dich die Zeichnung der Bathildis nicht voellig ueberzeugen konnte. Ich war (und bin) davon sehr beeindruckt und fand sie keineswegs grotesk, sondern besonders glaubhaft - gerade weil zwar eine Entwicklung, aber keine 180-Grad-Wendung stattfindet, weil die harsche Praegung, die Bathildis erfahren hat, nicht ausheilt, sondern ihr Denken, Fuehlen und Handeln bis zum Schluss bestimmt.


    Eine komplette Wende hätte ich auch unglaubwürdig gefunden. Das stört mich bei den allermeisten Historienschinken besonders wenn es mal wieder um tragische Frauenschicksale geht. :rolleyes
    Aber für mich war Bathildis nicht überzeugend, weil die Zeichnung der Figur für mich auf Dauer grotesk wirkt. Sie kommt einfach in keiner Situation irgendwie zu ruhe und das finde ich psychologisch nicht überzeugend sondern eben grotesk.
    Aber ich möchte mich nicht zu sehr darüber auslassen, weil das Buch bis auf diesen Punkt wirklich sehr gut ist, vor allem was die Recherche angeht. Das ist nämlich auch so ein problem an den ganzen Schinken. :rolleyes

  • ich habs jetzt auch gelesen und finde mich rezimäßig irgendwo zwischen charlie und magali wieder. nach der eröffnungsrezi rezi hatte ich mir doch mehr versprochen und das letzte viertel des buches war irgendwie flach.
    auch blieb mir die heldin mit ihrem festhalten an aidan, so, wie er im buch dargestellt wurde, leider etwas fremd und die ablehnung ebroins um jeden preis unverständlich. trotzdem mag ich den kröhn-stil und werde bald auch noch das 4. buch lesen. bisher ist die chronistin mein favorit.
    hier gebe ich 7 von 10 punkten

    "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben." (A. Lincoln)

  • Man merkt die gute Recherche, denn das Buch initiiert gutes Kopfkino vom Leben damals. Die Charaktere sind nachvollziehbar gestaltet und werden sehr anschaulich beschrieben. Mir hat diese sich wohltuend von den vielen anderen "-in-Romanen" abhebende Geschichte sehr gut gefallen und ich vergebe 8 von 10 Punkten

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)