Zähne zeigen - Zadie Smith

  • Originaltitel: White Teeth
    Übersetzt von Ulrike Wasel, Klaus Timmermann


    Droemer Knaur, Juni 2002, 642 Seiten


    Handlung laut Amazon:
    In einem gottverlassenen Nest irgendwo in Bulgarien verpennen die beiden britischen Soldaten Archie Jones und Samad Iqbal das Ende des 2. Weltkrieges, in dem sie eigentlich zu Helden werden wollten. Dreißig Jahre später treffen sie sich in London wieder. Aus Samad ist ein gedemütigter Kellner in einem Curryhouse geworden, und Archie, ein schlichter, aber anständiger Mensch, verdient sein Geld mit Papierfalten. Doch nicht der Krieg, die Existenzgründung oder die harte Aufgabe, mit einer wesentlich jüngeren Frau verheiratet zu sein, sind die wirklich schweren Prüfungen, die ihnen das Leben stellt. In den wilden Auseinandersetzungen mit ihren heranwachsenden Kindern spiegeln sich die Themen ihres Lebens: Herkunft, Religion, Hautfarbe, Geschichte.


    Zur Autorin:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Zadie_Smith


    Meine Meinung:
    Mir hat Zähne zeigen (White teeth) sehr gut gefallen.
    Die Intelligenz, der Witz und der einwandfreie Stil der Autorin hat sich gut in das komplex angelegte Buch übertragen.


    Bei weiße Zähne hat mich beeindruckt, dass die verschiedenen Handlungen gleichwertig beschrieben sind und allmählich gut zusammengeführt werden. Die verschiedenen Handlungszeiten, die 40ziger, die 70ziger bis in die Gegenwart sind gut getroffen. Auch die Dialoge sind originell, glaubwürdig und unterhaltsam.Eine echte Stärke der Autorin.
    Die gelungenen Portaits zeigen die Protagonisten gut, sie haben ihre Stärken und vor allem ihre Schwächen. Das macht sie mir sympathisch, da ihre Schwächen und Fehler gut begründet liegen.


    Auch die Entwicklungen die die Protagonisten durchmachen, sind sehr logisch, z.B. wuchs Clara als Tochter einer Zeugin Jehovas auf. Das hat sie natürlich beeinflusst, obwohl sie sich als Heranwachsende davon befreien konnte.
    Archie, der oft genug orientierungs- und wertelos herumeiert, findet in Samad im zweiten Weltkrieg eine Freund, der ihm Halt gibt. Die Freundschaft hält bis in die Gegenwart und die beiden Familien werden detailliert betrachtet. Dazu gehört auch der verschiedene Werdegang von Samads Söhnen, einer zum Ungläubigen und einer zum Fanatiker.
    Zusammen geben Archie, der der unteren, weißen Mittelschicht angehört und die schwarze Clara ein gutes Paar ab, auch wenn gesellschaftliche Vorurteile gegen sie auftreten. Unterschiede in den Mentalitäten von Clara und Archie und der indischstammigen Familie werden aufgezeigt, aber auch viele Gemeinsamkeiten. Eine positive, durchaus realistische Bestandsaufnahme.


    Die Lebendigkeit der Sprache entspricht der eines gelungenen Romandebüts, das schon erstaunlich abgeklärt ist.


    Ich habe Zähne zeigen also durchweg als gut befunden. Als Kritikpunkt könnte man sagen, dass der Roman leicht überfrachtet ist, hin und wieder gibt es ein wenig Leerlauf und vielleicht könnte man 100 Seiten kürzen. Aber da viele Leser Ausführlichkeit mögen, ist das auch Geschmacksache.


    Ich vergebe 8 sehr starke von 10 möglichen Punkten.

  • Hallo Herr Palomar,
    nun an dieser Stelle ein herzliches Danke für deine aussagekräftige Rezi und den Link.
    Was die von dir erwähnte gelungene Darstellung der Stärken und Schwächen der Charaktere betrifft, ist für mich ausschlaggebend das Buch nun endgültig zu bestellen. Ich hoffe also auf ein mindestens genau so positives Leseerlebnis wie du :wave.


    Gruß
    Cider

  • "Zähne zeigen" in wenigen Worten zu beschreiben, ist keine leichte Aufgabe. Der Roman behandelt eine Vielzahl von Themen, einige ausführlich, andere am Rande, aber alle so geschickt miteinander verflochten, dass dabei kaum Brüche entstehen. Im Kern setzt sich Zadie Smith mit dem Phänomen der Immigration und grundsätzlichen wie speziellen durch das Ein-, bzw Auswandern für die Immigranten selbst wie auch ihre neuen Mitbürger entstehenden Problemen auseinander. Dazu bedient sich die Autorin eines breiten Spektrums eines in ihrer Gewöhnlichkeit fast schon wieder ungewöhnlichen Personals, kein einziger ein Held, allesamt strauchelnd, suchend, immer wieder zu Boden gehend, nicht selten mit Unverständnis, aber immer mit Sympathie von Leser begleitet.


    Obwohl es sich bei Immigration um ein universelles Thema handelt, ist "Zähne zeigen" eine sehr britische Geschichte, nur bedingt auf z.B. türkische Einwanderer in Deutschland zu übertragen, weil die Protagonisten aus Ländern (hier Bangladesh und Jamaika) stammen, die sich unter Mühen und Qualen in z.T. jahrhundertelangem Kampf vom britischen Kolonialjoch befreit haben, um sich am Ende als Individuum im Land der ehemaligen Unterdrücker eine neue Existenz aufzubauen. Wer versucht, sich in die Psyche der Betroffenen hineinzuversetzen, wird nicht nur verstehen, warum das Verhältnis zu England (persönlich wie gesellschaftlich) unter indischen Intellektuellen eine der am heftigsten diskutierten Fragen im 20. Jahrhundert darstellte, sondern auch, was dieses unterschwellige Eingeständnis eigener Unterlegenheit für jeden einzelnen Einwanderer bedeutet. Hier stellt sich die prinzipielle Frage, wie viel Tradition, wie viel eigene Kultur in der "Fremde" bewahrt werden muss, kann, darf, um einerseits in der neuen Umgebung leben zu können, andererseits aber die eigene Identität nicht zu verlieren. Sehr schön bringt dies ein dem sechsten Kapitel vorangestelltes Zitat eines konservativen britischen Politikers auf den Punkt: "Der Cricket-Test - für welche Seite jubeln sie? Blicken wir weiter dahin zurück, woher wir kamen oder wo wir sind?"


    Um dem Buch gerecht zu werden, müsste ich wesentlich weiter ausholen, das sehr breite Themenspektrum ausleuchten, was an dieser Stelle aber den Rahmen sprengen würde, weshalb ich mich mit der schon oben angedeuteten Aussage begnüge, dass in diesem Buch weitaus mehr steckt, als in wenigen Worten zu beschreiben ist.


    Ach ja, noch eine letzte Anmerkung: Meiner Meinung nach merkt man deutlich, dass es sich um Zadie Smiths Erstlingswerk handelt, im Guten wie im Schlechten. Positiv hervorzuheben sind die unbedarfte Frische und die Originalität, mit der sich die Autorin einer großen literarischen Aufgabe stellt, während ich stilistisch noch Verbesserungsbedarf sehe. Die permanente Bevormundung durch exzessives Setzen kursiver Wörter und Satzteile hat mich unfassbar genervt, wurde aber im Verlauf ebenso eingeschränkt wie die Verwendung von zum Teil grottenschlechten Metaphern. Es scheint mir, als hätte sich Frau Smith erst "warmschreiben" müssen, um das Niveau der späteren Seiten zu erreichen. Auch gebe ich Herrn Palomar Recht, dass der Roman gut 100 Seiten kürzer hätte sein dürfen, wenn auch nicht unbedingt müssen.


    Fazit: Wer bereit ist, ein ungewöhnlich komponiertes Buch zu einem der wichtigeren Themen unserer Zeit zu lesen, wird mit "Zähne zeigen" nicht schlecht bedient werden. Von mir 8 Punkte.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann