Warum glaubt Ihr NICHT an "Gott"?

  • Zitat

    Sie ist inhaltlich falsch. Und die Wissenschaft geht keineswegs von Wahrheiten aus


    Es wurde auch nirgends gesagt, dass die Wissenschaft von Wahrheit ausgeht, sondern dass sie ein getreues Abbild von Wirklichkeit schaffen will, indem sie den empirischen Gehalt (»empirical content«, Popper) ihrer Theorien durch Erkenntnisse vermehrt. Daran ist nichts auszusetzen. Kritisch wird es erst, wenn der Begriff der »Wahrheit« von außen ins Spiel kommt.


    Zitat

    vielmehr stellt sie Hypothesen auf, die gegebenenfalls falsifiziert werden, also als falsch "bewiesen" werden, um so nach und nach all das zu eliminieren, was nicht richtig sein kann - vorläufig. Das nennt man "kritische Methode".


    Da haben wir das erste Dogma der wissenschaftlichen Arbeitsweise. Die »kritische Methode«, der Falsifikationismus. Dummerweise funktioniert Forschung so nicht, oder sollte ich lieber sagen: glücklicherweise? (Das mussten auch die Anhänger Poppers eingestehen, und den »naiven Falsifikationismus« durch eine modifizierte Variante ersetzen, s. a. Imre Lakatos)


    Es entspricht den naiven, weil vereinfachenden Vorstellung von wissenschaftlicher Praxis, daß Theorien, die mit der Empirie (»Tatsachen«) nicht mehr übereinstimmten, widerlegt seien.


    (1) könnte es sich dabei um Anomalien handeln (s. Kuhn) und (2) ist eine Theorie, die in deinen Augen nicht "richtig sein" könnte, kein statisches Gebilde, und (3) wäre, wenn du schon einen empirischen, d.h. kritisch-rationalen Standpunkt vertrittst, durch die »Konsistenzbedingung« (Feyerabend, Against Method, 1983, S. 39: "...daß neue Hypothesen mit solchen Theorien [Anmerkung von mir: mit bestehenden Theorien] logisch verträglich sein müssen.") der tatsächliche (!) empirische Gehalt von Theorien beschnitten (Feyerabend, 33f., 50)


    Zitat

    Aber bei Wissenschaft geht es nicht um Wahrheiten, sondern um Erkenntnisse. Das, was (vorläufig) als richtig angenommen werden kann, wird benutzt, um jenes zu erklären, das bis dato nicht erklärbar ist (das Unbekannte wird mit dem Bekannten erklärt). Demgegenüber erklärt Religion das Unbekannte mit dem Unbekannten (oder Unerklärbaren).


    In wissenschaftliche Theorien fließen zwangsläufig theoretische, nicht überprüfbare, unbekannte Annahmen ein.


    Zitat

    Wissenschaft ist auch nicht dogmatisch


    Klassischer Kategorienfehler, wie wir im folgenden sehen werden.


    Zitat

    , das ist einfach eine Fehlbehauptung, ein rhetorischer Kniff.


    Ein rhetorischer Kniff ist es, Dinge nicht wahrheitsgemäß wiederzugeben.


    Institutionelle, besser institutionalisierte wissenschaftliche Arbeit ist dogmatisch, weil sie bestimmte Verfahrensregeln wissenschaftlicher Arbeit vorschreibt, über deren Sinn oder Unsinn nicht diskutiert wird. Weil sie ferner ein System generiert, in dem der Wissenschaftler - von seinem sozialen Hintergrund isoliert - einer nach diesen Verfahrens- und Vernunftregeln bestimmten Arbeit nachgeht.


    "[...]der wird einsehen, daß es nur einen Grundsatz gibt, der sich unter allen Umständen und in allen Stadien der menschlichen Entwicklung vertreten läßt. Es ist der Grundsatz: Anything goes." (Feyerabend, 32)


    Und das heißt nicht etwa, dass an wissenschaftliche Arbeit keine Bedingungen gestellt werden müssten. Es geht auch nicht darum, neue, allgemeingültige Regeln zu finden.


    "[...]meine Absicht ist vielmehr, den Leser davon zu überzeugenm daß alle Methodologien, auch die einleuchtendsten, ihre Grenzen haben." (Feyerabend, 37)


    Ob es ihm gelingt? Meiner Meinung nach: JA. Davon sollte sich dennoch jeder selbst überzeugen.


    Zitat

    Zudem steht die Wissenschaft dem Glauben nicht gegenüber. Das sind keine Modelle, die im Wettstreit miteinander stehen.


    Wer behauptet das? (Relativierend: Der Glaube könnte beispielsweise Motiv wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeit sein, und als Teil der Persönlichkeit auch Teil der Erkenntnisgewinnung werden).

  • Grizzly


    wieso will Wissenschaft ein getreues Abbild der Wirklichkeit schaffen? Was für eine Wissenschaft soll das sein?
    Was ist 'Wirklichkeit'? Wann? Wo? Von wem erfahren?
    Das alles muß erst definiert werden.


    Eine Wirklichkeit gibt es nicht.


    zu Popper: wieso Falsifikation? Ich dachte, er geht von der Verifikation der Erkenntnisse aus?


    Theorie und Praxis beim wissenschaftlichen Arbeiten stehen in einem steten gegenseitigen Austausch. Das eine ist ohne das andere nicht wirklich machbar. Bestimmte Verfahrensregeln werden immer diskutiert, Methoden ändern sich, Arbeitsweisen ändern sich, Blickwinkel ändern sich.
    Versuchsanordnungen können eine Eingendynamik entwickeln, wodurch man eventuell die Fragen ändern muß. Fragen können falsch gestellt sein etc. pp.


    WissenschaftlerInnen sind NICHT von ihrem sozialen Umfeld isoliert.
    Jedenfalls nicht mehr oder weniger als andere Menschen in ihren Berufen auch. Verwaltungsleute sehen die Welt vom Verwaltungsstandpunkt aus, der leitende Manager vom Schreibtisch in der Vorstandsetage, der Krankenpfleger vom Krankenbett und die Erzieherin aus der Kindergruppe. Eine Polistin redet anders über die manche dinge als die Bäckerin.


    Wissenschaft ist immer Produkt der sozio-ökonomischen Gegebenheiten, ich schrieb das oben schon.


    Für Glauben gilt das auch, nur erhebt der einen zeit - und gesellschaftsübergreifenden Anspruch.



    Glaube und Wissenschaft werden durchaus als Gegenpole aufgefaßt. Wie sonst erklärst Du Dir solche 'Renner' wie 'Die Bibel hat doch recht', in denen vermeintlich wissenschaftlich Ereignisse 'bewiesen' werden, die eine so schwierige Quelle wie es das At und das NT darstellen, beschreibt?
    Wie sonst die heftigen Bemühungen, Glauben durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu verifizieren?



    Glaube kann Motiv wissenschaftlicher Tätigkeit sein: sagt das etwas über die Wissenschaft aus? In meinen Augen nur über den Glauben.
    Nimm einfach an, einer fängt jetzt an zu erforschen, ob Elvis lebt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hallo, Grizzly.


    Zitat

    Es entspricht den naiven, weil vereinfachenden Vorstellung von wissenschaftlicher Praxis, daß Theorien, die mit der Empirie (»Tatsachen«) nicht mehr übereinstimmten, widerlegt seien.


    Ich hätte in meiner grenzenlosen Naivität - ich bin kein Wissenschaftstheoretiker und deshalb also "naiv" - auch irgendwelche wissenschaftstheoretischen Zitate ergoogeln können. Aber darum geht es nicht, weshalb eine vereinfachende Betrachtung durchaus ausreichte, meiner Meinung nach. Es geht hier auch nicht um Kritischen Rationalismus, Fallibilismus und diesen Kram. Sondern um den Wahrheitsbegriff, und zwar um einen expliziten. Natürlich kann man in diesem Zusammenhang über Popper reden, muß man aber nicht. Ist auch nur einer von vielen.


    Zitat

    In wissenschaftliche Theorien fließen zwangsläufig theoretische, nicht überprüfbare, unbekannte Annahmen ein.


    Gerade die kausalen Aussagen theoretischer Modelle erheben i.d.R. den Anspruch, mindestens nachprüfbar zu sein (z.B. experimentell). Aber auch hier wird der Wahrheitsbegriff meines Wissens nicht benutzt. BTW, was meinst Du mit "von außen"?


    Zitat

    Wer behauptet das?


    Die Argumentationsketten hier wie in vergleichbaren Threads versuchen immer wieder, Glauben und "wissenschaftliche Weltsicht" zu vergleichen und auf eine Ebene zu bringen. Dabei ist Glauben nur in zweiter Linie ein Welterklärungsversuch. Und eben einer, der explizit auf Beweisbarkeit verzichtet, weil der Wahrheitsanspruch immanent ist (weil offenbart).

  • magali :


    Ich gehe später auf deine Einwände ein, mein Zeitbudget ist leider aufgebraucht. ;-(


    Ich will hier nicht den Glauben verteidigen oder auf eine Stufe mit der Wissenschaft heben, das nur als Info. Ich will die Wissenschaft vom Sockel nehmen, der hier gebaut wurde (d.h. ich habe ein Problem mit den Vernunft- und Ordnungsmodellen, die auf die wissenschaftliche Arbeit projiziert werden). Wissenschaft ist ein chaotischer Prozess. Im Korsett eines wahnhaften, kritischen Rationalismus geschieht ihr eine unangemessene Vereinfachung (Formalisierung), die den Menschen dahinter ausblendet (!!) und abstrakte Tatsachen schafft, die doch nicht theorieunabhängig sind, oder?

  • Hi, Tom


    offenbar muß man zur Zeit über Popper reden ;-)


    Auch Diskussionen über Wissenschaft sind zeitgebunden, es hängt immer davon ab, wer oder was grad 'in' ist. Warum es jetzt gerade Popper ist, kann ich im Moment nicht sagen, bin de facto zu weitab von solchen Diskussionen (Ich lese nicht die ZEIT), es fällt mir nur seit einigen Wochen auf.
    Dito Feyerabend und Kuhn als Popper-Mitarbeiter.


    Ein anderer Strang wäre Hans Albert, der über Adorno wieder in die öffentliche Diskussion kam. Adorno hatte ja kürzlich einen Jahrestag.
    Moden eben.
    :rolleyes


    Aber, wie Du zurecht sagst, es geht eigentlich um etwas anderes.


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Grizzly


    Chaos ist ein logisches System. Es hat nur eine andere Logik.


    Rüttle mal kräftig am Vernunft-Sockel der Wissenschaft, tut ihr nur gut.
    In der wissenschaftlichen Alltagspraxis, muß ich allerdings sagen, vermisse ich die Vernunft eher. Auf allen Seiten.


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Warum sollen wir uns dann nicht mal ausmähren wollen, wenn wir das blöd finden? Auf eine ganz eigene atheistisch/agnostische Art?


    Muss das zwangsläufig mit Unsinn einhergehen?
    Darf man keine Gegenfragen stellen?
    Jak. 2,1-13? :lache


    Na gut. Dann nicht.


    Aber was "die (!) wissenschaftliche Alltagspraxis" angeht, kann ich leider nicht mitreden. Irgendwie krieg ich da derzeit kein monistisches Konzept rein, so sehr ich mich auch bemühe.


    Vielleicht ist dies also wirklich der falsche Platz zum geistig belebten Tango.
    Jedenfalls wurde bisher keine Musik gespielt.
    Aber verabschieden muss ich mich nicht, oder?



    OT
    Grizzly
    Endlich mal jemand, der einen bei der Erwähnung von Feyerabend nicht gleich als faulen Sack ansieht. :grin

  • Wenn ich nicht mehr weiter weiß, wenn keiner da ist, dem ich die Fragen stellen kann, wenn etwas in meiner Umgebung absolut sinnlos erscheint, kann ich schon den Glauben an Gott verlieren.

  • Aber vielleicht gerade weil es so unbegreiflich ist und sinnlos erscheint, kommt einigen der Gedanke an Gott. Alles passt so perfekt zusammen, funktioniert so gut, da muss es doch etwas oder jemanden geben, der das alles geschaffen hat!
    In dem "Gegenthread" zu hier hat Mary genau das Gleiche geschrieben bloß mit dem Ende, dass ihr da schon manchmal der Gedanke kommt an Gott zu glauben.

  • Ich kann nicht wirklich sagen dass ich nicht an Gott glaube. Was ich definitiv weiß is, dass irgendetwas auf mich Acht gibt, seis jetzt Gott, Aliens oda mein Schutzengel. Kann das Gefühl nicht beschreiben, nur in manchen Situationen weiß ich, dass ich nicht allein bin (bin ich eh nie *gg*).


    An Gott zu glauben oda nicht, bleibt einem selbst überlassen. Für mich is Gott eine "höhere Macht" die sich im Wesen mir entzieht und an eine "höhere Macht" kann man immer glauben. Da besteht auch kein Unterschied in der Auslegung, für einen bedeutet sie Gott für den anderen Allah für den nächsten Wissenschaft.
    Was ich schlimmer finde ist an gar nichts zu glauben. Ein jeder sollte irgendetwas haben nach dem er sich richten kann.

  • Mich hat ein Buch von Eugen Drewermann, dessen Titel ich leider vergessen habe, vor einigen Jahren sozusagen schlagartig erleuchtet. Vorher hab ich an die Existenz Gottes wenigstens noch in irgendeiner, wenn auch mir selber nicht begreiflichen Form geglaubt, aber mit dem Buch war dann alles vorbei. Er hat dort so einleuchtend erklärt, dass Gott nur in den Köpfen der Menschen existiert. Unsere Rasse hätte niemals bis zum heutigen Tag überlebt, wenn sie sich nicht an eine übergeordnete Existenz klammern könnte, an eine Über-Vaterfigur, die dem Leben und vor allem dem Leiden einen Sinn gibt. Gerade in der Urzeit unseres Menschseins war das lebensnotwendig.
    Mir war das jedenfalls sofort völlig klar. Seither bin ich überzeugte Atheistin und werde es mit jedem Tag etwas mehr. Für mich zählt nur der respektvolle und möglichst liebevolle Umgang mit meinen Mitgeschöpfen, das LEBEN und LEBENLASSEN.
    An die Vertröstung auf eine bessere Welt im Jenseits oder gar eine dort versprochene Belohnung oder Bestrafung (wofür auch, nachdem unsere Existenz im Universum sicher völlig belanglos ist) kann ich jedenfalls nicht glauben.
    Und die Beschäftigung mit der Evolution hat dann eventuell noch bestehenden Glaubensresten völlig den Garaus gemacht.
    Vielleicht kennt jemand das oben erwähnte Buch von Drewermann. Würde ich doch gerne nochmals lesen. War damals nur von mir heute nicht mehr erinnerlicher Quelle geborgt.


    Herzlich


    Sylli