Wer ist "Gott"?
Es gibt kein einheitliches Gottesbild. Wenn man hundert sich selbst als religiös oder gläubig bezeichnende Menschen fragt, quer durch alle "Buchreligionen" - gerne aber auch darüber hinaus -, wird man hundertfünfzig Antworten auf diese Frage erhalten, darunter auch das simple Sandmännchenbild vom "lieben (männlichen) Gott mit dem weißen Bart, der auf einer Wolke sitzt", das selbst von vielen Erwachsenen verinnerlicht ist, aber auch jenes von der immanenten Kraft, die nicht personifiziert ist, sondern alles durchströmt, ohne greifbar zu sein. Welches von diesen Bildern ist "richtig"? Und warum? Wie ist es möglich, an etwas zu glauben, über dessen Wesensart es so viele unterschiedliche Auffassungen gibt?
Sie sind sich aber weitgehend darüber einig, daß dieser Gott nicht die Mensch-Hyänen-Kreuzung Wallawallah ist, die die Menschen aus dem frühzeitlichen Timbuktu angebetet haben, und daß er (oder es) auch nicht Zeus ist, der auf dem Olymp thront und mit Hera herummacht. Warum das so ist, diese Frage bleibt grundsätzlich unbeantwortet. Dieser Gott ist der falsche, da sind sie ganz sicher, aber warum der andere der richtige ist, das weiß keiner so genau. Insofern sind so gut wie alle Theisten gleichzeitig Atheisten. Sie glauben nur an einen Gott mehr als "richtige" Atheisten.
Einigkeit besteht lediglich - weitgehend - bei der schöpferischen Kraft Gottes. Im Detail gibt es auch hier massive Unterschiede; während auf der einen Seite die Kreationisten (und einige orthodoxe Juden, aber auch viele Muslims) mit ihrer wortwörtlichen Bibelauslegung davon ausgehen, daß so gut wie alles, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen gewonnen wurde, totaler Schnickschnack ist und die Welt tatsächlich direkt von Gott vor ungefähr 6000 Jahren gebaut wurde, gehen die anderen (die die Mehrheit stellen) davon aus, daß Naturwissenschaft und Schöpfung durchaus vereinbar sind, weil die Schöpfungsgeschichte der Bibel metaphorisch auszulegen ist, wie vieles (allerdings längst nicht alles), was in der Bibel steht. Oder im Koran. Oder sonstwo.
Sind Glauben und Nichtglauben letztlich dasselbe?
Es war ja in diesem Thread und anderen zuvor eindrucksvoll zu erleben, daß Gläubige immer wieder versuchen, den Unglauben der anderen mit ihrem Glauben gleichzusetzen - quasi als Diskussion über die selbe Sache (!). Von der Moralkeule (Gottlose sind moralfrei) ganz zu schweigen, aber darum geht es nicht. Ist es dasselbe, zu glauben und nicht zu glauben? Oder, anders gefragt: Glaubt jemand, der nicht glaubt?
Vor Gericht gibt es den Grundsatz der positiven Beweislast. Wenn X behauptet, Y würde ihm hundert Euro schulden, Y das aber abstreitet, wird Y freigesprochen, wenn keine Beweise dafür vorliegen, daß das Schuldverhältnis besteht. Vereinfacht gesagt; tatsächlich gibt es, aber das spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, Aussage-gegen-Aussage-Prozesse, die mit einem Schuldspruch enden, weil die Behauptung glaubhaft vorgetragen wurde.
Wenn mich jemand davon überzeugen will, daß es Gott gibt, hat er die positive Beweislast. Ich muß nicht beweisen, daß es Gott nicht gibt. Der vermeintliche Schuldner muß auch nicht beweisen, daß er X kein Geld schuldet. Diese sogenannte Beweislastumkehr gibt es nur in besonderen, nachvollziehbaren Fällen. Etwa bei Garantiestreitigkeiten oder bei Behauptungen wie derjenigen, ein bestimmtes Produkt wäre gesundheitsschädlich.
Es steht also die Behauptung im Raum, "Gott" (dieser, nicht irgendeiner, es gibt ja viele) würde existieren. Statt den (ja unmöglichen, das steht zweifelsfrei fest) Beweis anzutreten, daß er/es/sie existiert, wird den Nichtgläubigen die Last auferlegt, den Gegenbeweis anzutreten. Beweislastumkehr also. Das ist unzulässig und, wie schon häufiger erwähnt, ohnehin nur ein rhetorisches Stilmittel. Wer eine Behauptung aufstellt, muß diese Beweisen. Die Behauptung, daß die Behauptung nicht stimmt, ist demgegenüber keine Behauptung in diesem Sinne! Glauben und Nichtglauben unterscheiden sich also auf diese Art: Der eine hat eine Behauptung aufgestellt und der andere weigert sich, diese Behauptung (die eine von vielen vergleichbaren ist) anzunehmen, weil sie nicht bewiesen werden kann.
Muß ich glauben, daß jemand glaubt?
Selbstverständlich. Darum geht es mir auch nicht. Ich will niemandem absprechen, daß er glaubt, und ich glaube auch jedem, der das behauptet, daß er das tut. Ist klar, worauf ich damit hinauswill? Der Glauben - ob rational oder emotional begründet - ist nicht die strittige Grundsatzfrage, die sich einem Atheisten oder Agnostiker stellt. Interessanterweise wird umgekehrt aber genau so verfahren: Die latentente Unterstellung, jeder Atheist würde ja letztlich doch glauben, um ihn in die gleiche Verhandlungsposition zu zwingen, in der sich der Gläubige selbst befindet, kommt früher oder später auf jeden Tisch, an dem ein solches Gespräch stattfindet. Dabei ist das überhaupt nicht die Frage. Ich glaube jedem hier, daß er glaubt. Ich halte lediglich den Glauben für Unsinn, also nicht das "Gefühl" im Gläubigen, sondern die damit verbundenen Hintergründe.
t.b.c.