Meine freie deutsche Jugend - Claudia Rusch

  • Klappentext:


    Was passiert, wenn man in dem festen Glauben aufwächst, Kakerlaken wären Stasi- Spitzel? Und wie fühlt man sich, wenn man als Kind in der DDR mit einem "Schwerter- zu- Pflugscharen" - Aufnäher in die Schule gehen muss?
    Claudia Rusch, die im Umfeld der DDR- Bürgerrechtsbewegung aufwuchs, erzählt in ihren Erinnerungsgeschichten pointiert und mit Herz und Humor, wie sie unter kaum glücklich zu nennenden Umständen eine glückliche Kindheit verlebte, auch wenn die bitteren Erfahrungen nicht ausblieben: Der Großvater starb in Stasi- Untersuchungshaft, die Familie lebte unter andauernder Beschattung- und wer ist IM "Buche"? Doch was übrigbleibt sind überwiegend schöne Erinnerungen an eine fasr normale Kindheit,


    Über die Autorin:


    Claudia Rusch, 1971 in Stralsund geboren, wuchs auf Rügen auf, bis sie mit ihrer Mutter, die zum Freundeskreis des Dissidenten Robert Havemann gehörte, nach Brandenburg und später nach Berlin zog. Nach ihrem Abitur 1990 studierte sie Germanistik und Romanistik in Berlin, Bologna und Paris. Sechs Jahre lang arbeitete sie als Fernsehredakteurin. Seit 2001 lebt Claudia Rusch als freie Autorin in Berlin.


    Meine Meinung:


    Erzählungen aus einer nahen Vergangenheit. Ein Mädchen, das mit 18 die Gelegenheit erhält eine Welt zu erobern, von der sie bisher abgeschnitten war. Die in der Nischen- und Mangelwirtschaft der DDR in einer Familie aufwuchs, in der das bespitzelt werden zur Familientradition gehört, starb doch schon der Großvater als überzeugter Kommunist und Genosse Landrat im Gefängnis der Staatsssicherheit. Die Mutter steht dem Kreis um Haveman nahe, deshalb wird schon die sieben- jährige observiert, dafür kann sie nichts, sie wird als Oppositionelle geboren und erzogen, nicht aufgrund eigenen Willensentschlusses kommt sie in diese Rolle.Sie hat das grosse Glück eine begate und gute Schülerin zu sein, so dass sie in einem auf Leistung getrimmten System nicht völlig untergeht, sie schwimmt an mancher Stelle auch ganz bewußt freiwillig mit.


    Gerade sie ist ohne Ostalgie- Verdacht in der Lage dem Leser die Identität als DDR- Bürgerin nahezubringen, schnörkellos aber doch eindeutig. Eine Identität die sie in den 18 Jahren ihres Heranwachsens in diesem System entwickelt hat und durch die sie geprägt wurde und ist und die sie ihr Leben lang begleiten wird.


    Ein - das ist und bleibt ganz klar - sehr individuelles Erleben, kein exemplaristischer Normalo-Ossi kommt uns auf diesen Seiten entgegen und doch, die Erzählungen eröffnen dem Wessi den Blick in eine Welt hinter dem Todesstreifen, die er in der Regel nie kannte und dem Ossi eine Erkenntnis und einen Blick in den Spiegel.


    Die Erzählungen sind dabei von einem fröhlichen, humorvollen Grundton gehalten und nur an wenigen Stellen bricht so etwas wie Verzweiflung am System, an sich selbst durch. Wenn IM Buche gesucht wird und der Verdacht wie zwangsläufig auf die Großmutter fällt oder wenn der eigene Ausreisewunsch- verbunden mit der Perspektive die Familie nie wieder zu sehen, Gewissensbisse gerade diesen geliebten Personen gegenüber auslöst. Mit viel Selbstironie wird auch der Tick der Autorin für Paris, die Stadt der eigenen Sehnsucht beschrieben, die in den Geschichten in der Nachwendezeit eine Auflösung erhält. Die Autorin hat eine unbekümmete, behütete Jugend erlebt, eben in einem System in dem vieles was Jugend erleben möchte nicht oder nur schwer möglich war, aber man macht dann halt was möglich war.


    Ein unbedingt lesenswertes kleines Büchlein, das ich jedem ans Herz legen möchte.

  • Zitat

    Original von beowulf


    Gerade sie ist ohne Ostalgie- Verdacht in der Lage dem Leser die Identität als DDR- Bürgerin nahezubringen, schnörkellos aber doch eindeutig. Eine Identität die sie in den 18 Jahren ihres Heranwachsens in diesem System entwickelt hat und durch die sie geprägt wurde und ist und die sie ihr Leben lang begleiten wird.


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    Gerade DER Absatz macht mich neugierig auf das Buch. Ich bin fest der Meinung, dass es nicht DEN DDR-Bürger und DAS DDR-Leben gab. Es war zu vielschichtig als das man ein für alle räpräsentatives Beispiel nennen kann. All die Bücher, die ich bisher las, trafen nur jeweils mit einem Teil auf mein damaliges Leben zu. Lasse mich aber gern überraschen und setze es auf die Wunschliste. :wave

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    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Meine freie deutsche Jugend - Claudia Rusch


    Mein Eindruck:
    In vielen kleinen Episoden ergibt sich ein chronologisch aufbauendes Gesamtbild über Kindheit und Jugend der 1971 geborenen Autorin in der DDR. Und damit verbunden auch ein Bild der DDR in der jeweiligen Zeit.
    Claudia Rusch Leben war nicht unbedingt exemplarisch, da ihre Mutter kritisch der DDR entgegenstand und mit Regimekritikern, wie z.B. Robert Hagemann , freundschaftlich verkehrte. Dadurch war auch das Kind in einer Außenseiterposition und sie und die Mutter waren von der Stasi bespitzelt. Etwas was für sie so normal war, dass sie sich nicht einmal von der Stasi bedroht fühlte.
    In gewisser Hinsicht war Claudia Rusch noch relativ angepasst und erlebte nicht die Härten wie sie manche Persönlichkeiten in der DDR durchmachen mussten. Das ist ja auch nicht verwunderlich, im Grunde lebte Claudia Rusch ein normales Leben, auch wenn es genug Einschränkungen gibt.


    Viele der kleinen Abschnitte sind trotz ernsten Hintergrund, wie z.B. Bespitzelung, doch pointiert humorvoll gehalten. Das macht das Lesen vergnüglich und leicht. Dennoch wird insgesamt sehr deutlich, was es heißt, in einer Diktatur aufzuwachsen.


    Ich konnte das Buch schnell und flüssig durchlesen. Es ist ein Buch, dass mir einige Einsichten vermitteln konnte.


    Etwas merkwürdig und eigentlich auch überflüssig fand ich jedoch das Nachwort von Wolfgang Hilbig.