Margaret Atwood - alias Grace

  • Originaltitel: alias Grace


    Inhalt:


    Klappentext


    Toronto, November 1843: In einem Gerichtsverfahren, das in ganz Nordamerika Aufsehen erregt, werden das 16-jährige Dienstmädchen Grace Marks und der 29 jährige James McDermott des Mordes an ihrem Arbeitgeber schuldig gesprochen. James McDermott wird hingerichtet, Grace verbringt die nächsten 30 Jahre im Gefängnis.
    16 Jahre nach dem Doppelmord wird Grace von dem ambitionierten jungen Nervenarzt Dr. Simon Jordan untersucht. Jordan versucht, den Schleier der Amnesie zu lüften, der in der Erinnerung der jungen Frau den Tag der Bluttat verhüllt.
    Langsam fasst Grace Vertrauen zu dem Arzt und beginnt ihm zu erzählen: von ihrer verarmten irischen Familie, von der Auswanderung nach Kanada, von dem tragischen Tod ihrer einzigen Freundin Mary Whitney. Aus diesen Erinnerungen entsteht wie aus den Flecken eines Quilts, den Grace näht, nach und nach das Muster eines Lebens, das geprägt wurde von der Suche nach Freundschaft und Vertrauen; eine Suche, die vielleicht - mit einem Mord endete.


    Der 150 Jahre alte Kriminalfall um Grace Marks ist in Kanada seit langem zum Mythos geworden. Aus den spärlichen Fakten und widersprüchlichen Zeugenaussagen hat Margaret Atwood einen Roman gemacht, der, die historische Gestalt zu neuem Leben erweckt.


    Ergänzend von mir:


    Am 23.07.1843 ereigneten sich die Morde an Thomas Kinnear und seiner Geliebten Nancy Montgomery in Richmond Hill. Die Mischung aus Sex, Gewalt und "Aufstand der niederen Klassen gegen ihre Herren" waren für Presse und Öffentlichkeit ein berauschendes Szenario. Letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass nur 7 Jahre zuvor die Rebellion von William Lyon Mackenzie niedergeschlagen worden war.


    Die genauen Tatumstände lassen sich aufgrund der zahlreichen Berichterstattungen, Zeugenaussagen und verlorenen Dokumente nicht mehr rekonstruieren. So hat Margaret Atwood hier einen fiktiven Roman geschrieben, in dem sie die existierenden Fakten unverändert einbrachte, aber Lücken durch ihre Fantasie auffüllte.


    Meine Meinung:


    Man kann sicher darüber streiten, ob dieser Roman unter historischem Roman oder Kriminalroman eingestellt werden sollte. Ich entscheide mich für die Kategorie "Historischer Roman", denn obwohl der Mordfall im Zentrum steht, dauert es doch bis Seite 150 bis Grace erlaubt wird, sich ausführlich über ihr Leben und die Vergangenheit zu äußern. Natürlich kommt sie schon früher gelegentlich zu Wort, doch der erste Teil dient eindeutig dafür, die einzelnen Personen und die Situation vorzustellen.


    Ehrlich gesagt, hatte ich damit anfangs einige Probleme, weil mir nicht gleich klar wurde, worauf der Roman hinausläuft. Nachträglich habe ich mich darüber gefreut, so viele Informationen zu den einzelnen Figuren zu haben. Obwohl Graces Geschichte der Haupteil des Romans ist, gibt es doch viele andere Personen, die wichtig für die Darstellung sind. So entsteht ein umfangreicher Eindruck vom Leben im Kanada des 19. Jahrhunderts.


    Die Handlung gewinnt richtig an Fahrt, sobald Grace ihre Geschichte erzählt.
    Sie ist die Ich-Erzählerin des Romans. Regelmäßig steht auch der Arzt Simon Jordan im Fokus, was dem Roman eine weitere Dimension gibt. Jordan ist der demokratische, gutaussehende, junge Amerikaner, Erbe eines Industriellen, der weiß, dass ihm die Welt zu Füßen liegt. Und mit diesem Wissen geht eine gewisse Portion Arroganz einher.
    Die Unterschiede zwischen Graces und seiner Weltsicht könnte größer nicht sein. Leider bleibt er in seiner Arroganz seinem Denken verhaftet - das er als das einzig Wahre betrachtet, wie so viele Männer seiner Zeit.


    Interessanterweise wird nicht ein Mann im ganzen Roman sympathisch. Eventuell kann man den Hausierer Jeremiah davon ausnehmen, denn er ist wenigstens ehrlich.


    Es fällt mir schwer, einzelne Dinge herauszugreifen, ohne zuviel von der Handlung vorwegzunehmen. Deshalb werde ich mich darauf beschränken, euch das Buch zu empfehlen, wenn ihr Interesse an historischen Stoffen habt, ein wenig Spannung sucht und von feministischer Literatur nicht abgeschreckt werdet.


    Wie schon aus dem Klappentext hervorging, wurde Grace nach 28 Jahren begnadigt und freigelassen. Während des ganzen Romans kann man sich einerseits vorstellen, dass sie die Tat begangen hat, aber auch, dass sie unschuldig ist. Der Leser wird nicht dahingehend manipuliert, eine Meinung über die Geschehnisse zu haben. Das gefällt mir ausgesprochen gut, denn woher soll man wissen, was passiert ist, wenn nichtmal die Richter, Ärzte und die Öffentlichkeit der Zeit zu einer einheitlichen Überzeugung kamen.

  • marilu , :wave
    ich habe Alias Grace vor ein paar Jahren gelesen und kann deiner Rezension vollkommen zustimmen.
    Der Roman hat mich ziemlich fasziniert und kommt fasr an The blind assassin von Magaret Atwood heran.
    Atwood ist auch einer meiner persönlichen Favoriten für den Literaturnobelpreis.

  • Margaret Atwood gehört auch zu meinen Lieblingsautor(inn)en!
    Allerdings ist für mich bisher "Räuberbraut" ihr stärkstes Buch. Dazu würde ich auch gerne eine Rezension schreiben, aber nach 6 Jahren Pause zwischen Lektüre und Rezi traue ich mir das nicht so zu, dass es andere ebenso begeistert wie mich.


    Irgendwann werde ich es wieder lesen und dann folgt endlich eine sinnvolle Empfehlung des Buches!

  • Ich habe gerade beendet und muß sagen, daß man sich auf Margaret Atwood immer wieder verlassen kann. Bisher habe ich noch kein Buch von ihr gelesen, das mir nicht gefiel. Und so gefiel mir auch dieses sehr gut.
    Vor allem, da sie im Nachwort noch einmal betont, daß es ein fiktive Geschichte ist und sie sich nur an die wenigen Fakten halten konnte, die vorhanden waren.
    Sie hat den Bogen zwischen Fiktion und dem realen Mordfall sehr gut gemeistert.

  • Meine Meinung:


    Es gibt einige eindrückliche Passagen und Szenen in diesem Buch, die ich nur so weggelesen habe und die mir im Gedächtnis bleiben werden. Dazu zählt die Schilderung der Überfahrt nach Kanada und die gemeinsame Zeit von Grace mit ihrer Freundin Mary. Auch der Hausierer Jeremiah, eigentlich eher eine Randfigur, war gekonnt und interessant gezeichnet – ich liebe schräge Nebenfiguren.
    Ebenfalls sehr gut gefallen hat mir das Buch in sprachlicher Hinsicht dort, wo die Ereignisse von Grace selbst geschildert werden. Wenn Grace ihre Geschichte erzählt, verwendet die Autorin hierfür eine einfache, manchmal fast naive und auch nicht immer grammatikalisch korrekte Sprache. Graces eigene Worte charakterisieren sie wie nebenbei als armes Dienstmädchen ohne besondere Schulbildung. Das passte gut zusammen und wirkte authentisch.
    Eine schöne Idee sind die Quiltmuster, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch ziehen: der Name eines Quiltmusters steht über jedem Kapitel als Überschrift und die entsprechenden Muster sind dazu abgedruckt. Auch inhaltlich geht es immer mal wieder um das Nähen von Quilts.


    Leider empfand ich das Buch insgesamt als viel zu langatmig. Bereits der Einstieg war eine Geduldsprobe, da die eigentliche Handlung, Graces Bericht über ihr Leben, erst auf Seite 141 (!) begann. Auch später hatte der Roman noch Längen, beispielsweise wird Graces Stellung bei Mr. Kinnear, in dessen Haus sich die Morde ereignen sollten, bis zu den Verbrechen sehr ausführlich geschildert.
    Den Handlungsstrang um Dr. Simon Jordan fand ich fast komplett entbehrlich, zumindest hätte er wesentlich gestrafft werden können. Der Mann ist und bleibt unsympathisch, sein beruflicher Werdegang hat mich absolut nicht interessiert und die Story um ihn und seine Zimmerwirtin war für mich einfach nur unglaubwürdig und damit ärgerlich.
    Grace bleibt das gesamte Buch über undurchsichtig, was sicher so beabsichtigt war, und man kann sich als Leser aussuchen, was man von ihr halten soll – ich fand das irgendwann mühsam.


    Fazit:


    Für mich haben die Nachteile leider überwogen. Man kann das Buch lesen, muss es aber nicht. Mich hat das Buch interessiert, weil mir „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood sehr gut gefallen hat und weil ich das historische Thema dieses Romans spannend fand. Aber so, wie die Autorin das Thema umgesetzt hat, war „alias Grace“ für mich eine Enttäuschung.
    6 Punkte.


    Leseprobe:


    Auf buch24.de gibt es eine Leseprobe vom Beginn des 1. Kapitels. <klick>

  • Ich habe das Buch vor einigen Jahren gelesen und es gefiel mir ausgesprochen gut, auch wenn ich mich jetzt nicht an alle Details erinnern kann. Ein leicht zu lesender Unterhaltungsroman ist es nicht, man muss schon Geduld mitbringen und vieles bleibt mysteriös. Aber genau das gefiel mir daran, diese Vielschichtigkeit, die verschiedene Interpretationen des Geschehens zulässt.
    Natürlich schreibt Margaret Atwood feministisch (was mich aber nicht stört).
    Ich fand die Frauen insgesamt aber auch nicht wesentlich sympathischer als die Männer. Sie schienen mir alle das Ergebnis ihrer Zeit und ihrer Umstände.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Tereza
    Wenn ich so drüber nachdenke – die meisten Personen sind (mindestens teilweise) unsympathisch dargestellt. Aber keine der Personen ist eindimensional oder flach gezeichnet und die simple Einteilung in Gut und Böse gibt es auch nicht. Insofern unterscheidet sich der Roman wohltuend von manch anderen Schema-F-Historienromanen. Und das spricht auf jeden Fall für das Buch.