Georges Simenon - Der Mann der den Zügen nachsah (SZ Band 24)

  • Originaltitel: L’Homme qui regardait passer les trains
    erschienen 1938


    SZ-Ausgabe:
    Gebundene Ausgabe: 223 Seiten
    Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek; Auflage: 1 (28. August 2004)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3937793232


    Kurzbeschreibung:
    Die Welt steht kopf: die Firma, in der der holländische Familienvater Kees Popinga arbeitete, geht bankrott, und Popingas bewunderter Chef Julius de Coster verschwindet mit der Firmenkasse. Auch für den braven Popinga fallen in diesem Moment die moralischen Schranken, er bricht aus und nimmt den nächsten Zug via Amsterdam nach Paris. Einmal richtig leben und lieben - dafür geht Kees Popinga sogar über Leichen.


    Über den Autor:
    Georges Simenon, geboren am 13.2.1903 in Lüttich (seine Mutter hatte das Datum auf den 12.2. geändert, weil der 13.2. ein Freitag war :grin), gestorben 4.9.1989 in Lausanne, war ein weltberühmter Autor vor allem von Kriminalromanen. Weltbekannt ist seine Figur "Maigret", zu den Romanen gibt es etliche Verfilmungen. Mehr bei Wikipedia


    Meine Meinung:
    Ich hatte mir das Buch ertauscht, um meine SZ-Reihe zu vervollständigen. Die Kurzbeschreibung deutete auf eine interessante Geschichte hin und etwas über 200 Seiten sind ja schnell gelesen.


    Kees Popinga, wohnhaft in Groningen, einer Kleinstadt in den Niederlanden, Vater zweier Kinder, verheiratet, Mitglied im Schachklub. Sein Leben ist geordnet, er nennt seine Frau "Mutti".
    Wie üblich, geht er an einem Abend kurz vor Weihnachten noch einmal zum Hafen, um zu prüfen, ob mit dem Schiff alles in Ordnung geht, dass die Firma, in der er arbeitet und auch Privatvermögen investiert hat, mit Öl, Handelswaren und Lebensmitteln versorgt. Doch die Ocean III ist nicht beladen. Voller Panik rennt er zur Firma, doch sein Chef ist nicht da. Er findet ihn in einer Kneipe, ziemlich betrunken und doch nüchtern. Sein Chef, Julius de Coster, gesteht Popinga, dass er abhaut und dass das Familienunternehmen bankrott machen wird, erzählt ihm auch, dass seine Frau ihn betrügt und er selbst eine Geliebte hat, die als Animierdame bereits in Groningen war und die Popinga selbst begehrt hat.


    Da bricht die Welt für Kees Popinga zusammen, denn er hat nicht nur seinen Job verloren, sondern auch seine Existenz. Mit den 500 Gulden, die ihm sein Chef überlässt, macht er sich schließlich auch auf den Weg, nachdem er, für alle anderen überraschend, am Folgetag das Aufstehen und die Arbeit verweigert hat. Er steigt in den Nachmittagszug nach Amsterdam, wo die Geliebte seines Chefs lebt. Versehentlich tötet er sie, weil sie ihn ausgelacht hat, als er ihre Dienste einforderte. Weiter geht die Reise nach Paris.


    Und daraufhin ist er entfesselt. Hält sich für einen raffinierten Verbrecher, der der Polizei jederzeit entkommen kann. Er wird als "Lustmörder von Amsterdam" gejagt. Begeht in Paris einen weiteren Überfall auf eine Prostituierte. Schreibt Briefe an Zeitungen, die in seinen Augen ein falsches Bild von ihm haben und demnach auch falsch berichten. Ist auf der Flucht, aber will es nicht wahrhaben. Bis ihm auch sein letztes Geld genommen wird und er dadurch überlebensunfähig wird.


    Dieser Roman, der in meinen Augen eigentlich kein richtiger Krimi ist, schildert Kees Popinga, einen Spießbürger, der ausbricht. Es war interessant zu lesen, wie er sich selbst sieht, wie er Haken schlägt, um der Polizei zu entkommen und wie er sich durchschlägt, in Paris (vermutlich) der 30er Jahre.


    Besonders fand ich, dass mir Kees Popinga mal sympathisch und mal unsympatisch war, mal war er Opfer, mal Täter. Hielt sich für raffiniert, war aber nicht raffiniert genug. Es war mal etwas völlig anderes zu lesen, das Ende jedoch hat mir nicht gefallen.


    Dafür gibt es von mir 7 Punkte.

  • Der ausführlichen und guten Rezi von geli bleibt eigentlich nichts hinzuzufügen.


    Ein flüssig lesbares, sehr interessantes Buch.


    Kees Popinga bricht aus seinem biederen Leben aus, um seine Freiheit auszuleben, was sich nicht immer als leicht erweist.
    Er schmeißt dabei alle Konventionen und Moralvorstellungen über Bord.


    Man hat bisweilen das Gefühl, er ist tatsächlich ver-rückt, dann wieder erweist er sich als äußerst "gerissen".


    Aber letztlich hat er bei mir den Eindruck einer psychopathischen Persönlichkeit hinterlassen.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

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  • In der SZ- Leserunde gelesen- endlich wieder einmal eines bis zur letzten Seite.


    Anders als Geli schrub hat mir das Ende gut gefallen- es wirft schliesslich auch einen Blick auf die Umwelt des Protagonisten- er kann nur verrückt sein, anders würde die Welt ihre Sicherheit verlieren- die Sicherheit die Kees Poponga verloren hat und die ihn nicht nur seiner Fesseln und Konventionen befreit, sondern auch aller seiner Hemmungen und moralischen Grenzziehungen. Alles um ihn herum erscheint ihm als unterlegen seiner eigenen Intelligenz, seinem Können als Schachspieler im Vergleich.


    Das ganze beschreibt Simenon mit scheinbar großer Distanz und ohne Hektik, aber mit klar gezeichneten Figuren. Ein wirklich lesenswertes Buch, das 1938 erschienen, heute noch Interesse und Gedankenanstösse bieten kann.

  • Endlich wieder ein lesbares Buch der SZ-Reihe.
    Interessant, gefühlvoll und nachvollziehbar, wird der Weg in den Wahnsinn von Kees Popinga geschildert. Von einem der Auszog, die Freiheit zu genießen und selbige dann ganz aufgab....verrückt, aber menschlich.
    Es gibt sicher bessere Bücher zum Thema plötzlicher Freiraum und wie man damit umgeht, aber dieses hier ist auf jeden Fall eins der lesenswerten!