OT: Café Brazil, Stockholm 1993
Ich wühle gern in Remittenden-Kisten und Restbeständen. Etwas ziehe ich immer heraus, von dem ich annehme, daß sich die ein, zwei, maximal dreifuffzig Euro lohnen. So auch diesen Jugendroman.
Es ist die Geschichte der ca. 17jährigen Lena, die vom Treubruch ihres Freundes Esbjörn so schockiert ist, daß sie die Schule Schule sein läßt und als Bedienung in einem winzigen Café arbeitet. Es ist kein schickes Café, die Kundschaft besteht vornehmlich aus Alkoholikern und Sozialhilfeempfängern jenseits der Fünfzig. Die Arbeit in der Küche teilt sich sie sich mit der drei Jahre älteren Türkin Selma, die in Schweden aufgewachsen ist und besser Fleischbällchen braten kann als jede andere, die Lena je getroffen hat.
Der Besitzer des Cafés ist Will, der weder sein bisheriges Leben, seine Jobs noch seine Ehe auf die Reihe bekommen hat.
Das Ganze ist sehr dicht erzählt, es wird viel in das Buch gepackt. Es ist kein glatter Mädchen-verliert-Typen-und-findet-über-Umweg-neuen-Typen-Roman.
Lenas eigene Familie ist schwierig, die Großeltern sind recht exzentrisch, der Großvater redet in den unterschiedlichsten Sprachen mit ihr und hat eine sehr junge Freundin, die Großmutter lebt im Zuge einer Art Selbstverwirklichung als Malerin in Rom. Ein anderer Teil der Familie lebt in Griechenland. Lenas Mutter ist eine schlecht bezahlte Pressefotografin.
Lena wurde immer verwöhnt, erst seit sie im Café arbeitet, merkt sie, daß es nicht einfach ist, auch nur die normalen Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Überhaupt kümmert sie sich zunächst nur ihr eigenes Liebesleid, so allmählich jedoch wacht sie auf.
Sie fängt nicht nur an, ihre eigen Familien mit wacheren Augen zu beobachten als zuvor, ihre Meinung und schließlich ihre Unterstützung sind auch gefragt, als Will Probleme bekommt und Selma heiraten will. Sie ist modern erzogen, aber wenn es um einem Schweden als Schwiegersohn geht, werden die Eltern hart. Unmöglich.
Lena tut, was sie kann.
Das ist alles sehr langsam und unaufgeregt erzählt, die Spannung wächst nur in dem Maß, in dem Lena es zuläßt. Je mehr sie sich engagiert, desto mehr Schwung kommt in die Sache.
Wenn man das Prinzip akzeptiert, ist das Buch alles andere als langweilig. Es gewährt eine sehr anschauliche Innensicht in ein Mädchen auf der ersten Stufe des Erwachsenwerdens. Grundlegende Erfahrungen werden gemacht und verarbeitet, Schwerpunkte fürs Leben gesetzt. Für Lena z.B. ist am Ende das Arbeitsleben wichtiger geworden als ein höherer Schulabschluß und die eigene Entwicklung wichtiger, als dem nächsten Mann in die Arme zu fallen.
Einiges von Lenas Hintergrund ist nicht auf den ersten Blick zu verstehen, weil dieses Buch der mittlere Teil einer Trilogie ist, aber die Rückblenden und Erklärungen sind durchaus da und gut plaziert. Mit ein wenig Geduld erschließt sich die Geschichte problemlos. Verstanden habe ich allerdings nicht, warum die Protagonistin, die im Original Julia heißt, fürs deutsche Publikum in Lena umgetauft werden mußte. Weil’s schwedischer klingt? Dafür wird die Autorin im amazon - Verzeichnis auch Babro genant, obwohl sie auf dem Cover und in Schweden auf den entsprechenden Verlagssites Anita heißt.
Schöner Mädchenroman mit Anspruch, ohne Kitsch, nicht überdreht. So richtig normal.