Dark Angel - David Klass
Leoparden ändern ihr Fellmuster nie, sagt Jeff. Er ist kein Leopard, antwortet seine Mutter. Er ist dein Bruder.
Seit fast sechs Jahren wohnt der jetzt siebzehnjährige Jeff mit seinen Eltern in Pineville, einer kleinen Küstenstadt im Staat New York. Jeff ist beliebt in der Schule, er hat Freunde, er hat vor allem eine Freundin, Beth. Auch seine Eltern sind wohlangesehen und wohlgelitten in dem gemütlichen Städtchen. Was keiner weiß, ist daß diese Familie ein Geheimnis hütet. Jeff hat einen älteren Bruder, Troy. Dieser hat sechs Jahre zuvor einen Mitschüler erstochen und zwar vorsätzlich. Er sitzt seine Strafe im Zuchthaus ab. Durch einen Verfahrensfehler wird er jedoch vorzeitig entlassen und kehrt zurück zu seiner Familie.
Jeff ist entsetzt. Er muß nicht nur befürchten, daß sich seine Freunde und die Bekannten gegen ihn wenden, wie er es schon einmal erlebt, er ist auch sicher, daß Troy böse ist und Böses tun wird.
Das ist der Ausgangspunkt zu einem konzentriert und durchgängig spannend erzählten Jugendroman über die Frage, ob es Gut und Böse im Menschen gibt. Erzählt wird aus dem Blickwinkel Jeffs, der seine eigene, negative Meinung zu seinem Bruder hat.
Erzählt wird von Angst, von Versagen, von Feigheit, von den Folgen mangelnden Vertrauens. Aber auch von Illusionen, nicht zuletzt unter Familienangehörigen, von mangelndem Mitgefühl, Vorurteilen.
Es wird die Frage von Gewalt in den verschiedensten Formen diskutiert, angefangen von der Schuljungen-Prügelei über einen bösen Schülerstreich und Mobbing bis zu Morddrohungen. Es geht um verschiedene Formen von Kriminalität und darüber, wie lange man die Augen verschließen kann, wenn man, so wie zum Beispiel Jeff, beschlossen hat, daß es nur einen gibt, der ihm das Leben im Wortsinn zur Hölle macht, in diesem Fall Troy.
Dazu kommt ein grundlegend wichtiger Diskussionsstrang über die Frage der eigenen Verantwortung am Beispiel einer Unterrichtseinheit im Fach Biologie. Jeffs Klasse ist gerade dabei, den Aufbau und vor allem die Funktionsweise des menschlichen Gehirns durchzunehmen. Ist menschliches Fehlverhalten letztlich nur ein Fehler in den Nervenenden? Eine Funktionsstörung, die sich reparieren läßt? Was ist eigentlich Schuld, derentwegen man vor Gericht verurteilt wird? Hat man wirklich immer die Wahl, zwischen richtig und falsch/ gut und böse zu entscheiden?
Die Geschichte ist beklemmend gut erzählt, konzentriert, das überraschende Ende nicht der einzige Widerhaken. Es ist ein Roman, der einem beim Lesen unaufhörlich zwingt, die eigenen Positionen zu überdenken. Er liefert Antworten, die aber nur neue Fragen aufwerfen.
Jeffs Welt zerbricht in kürzester Zeit, nichts bleibt, wie es war. Es ist eine weitere Leistung dieses Buchs, daß es keinen falschen Trost gibt. Jeff steht am Ende vor Trümmern und die einzige Chance, die ihm bleibt, ist, etwas Neues aufzubauen.
Es ist eines besten Jugendbücher, die ich je gelesen habe, durchdacht, konsequent, ehrlich. Mir gefällt das Ende und damit die Lösung, die der Autor anzubieten scheint nicht, aber es ist ja eine Geschichte über ein Prinzip, über das man diskutieren soll und nicht einfach abgespeist werden.
Nicht entgehen lassen!
EDIT: Ich habe die beiden Threads (englisch + deutsch) zusammengefügt und die ISBN der deutschen Ausgabe eingesetzt, damit die auch im Verzeichnis erscheint. LG, milla