Die Wahrheit meines Vaters
von Jodi Picoult
Eine kleine, harmlose Erinnerung lässt Delia Hopkins keine Ruhe: Es ist ein Zitronenbäumchen, das sie nicht mehr aus ihrem Kopf bekommt. Eigentlich steht Delia kurz vor ihrer Hochzeit mit Eric, liebt das Leben mit ihrer kleinen Tochter Sophie und kann trotz des frühen Todes ihrer Mutter auf eine unbeschwerte Kindheit zurückblicken. Seit sie jedoch die vergilbten Hochzeitsbilder ihrer Eltern gesehen hat, spuken Erinnerungen durch ihr Hirn, mit denen sie nichts anzufangen weiß. Bevor sie mit ihrem Vater Andrew, dem angesehenen Leiter eines Altenheims, darüber sprechen kann, steht die Polizei vor ihrer Tür und offenbart ein schreckliches Geheimnis über ihn. Delias Welt zerfällt vor ihren Augen, denn sie ist nicht die, für die sie sich 32 Jahre lang gehalten hat...
Diese Beschreibung stammt aus der Innenseite des Schutzumschlags und ist - wie es sich für einen Klappentext gehört - ziemlich reißerisch. Die Geschichte selbst ist etwas weniger dramatisch.
Jedes Buch von Jodi Picoult werde ich an "Beim Leben meiner Schwester" messen, das für mich zu einem der besten Bücher überhaupt in meinem Regal gehört. Auch "Die Wahrheit meines Vaters" muss sich diesem Vergleich aussetzen.
In Sprachstil und Erzählweise sind beide Geschichten ähnlich. Wieder gibt es mehrere Perspektiven - ich habe fünf gezählt. Und auch der Verlauf der Geschichte ist ähnlich; erst ein recht verrätselter Anfang, dann der lange Hauptteil, der gleichermaßen Gegenwart und Vergangenheit erzählt, und dann der kurze Schluss, in dem alles in atemberaubender erzählerischer Dichte aufgelöst wird.
Gerade dieser Schluss ist es, der mich in "Beim Leben meiner Schwester" umgehauen hat. Hier, in der neuen Geschichte, ist er nicht ganz so hart. Es ist - zumindest größtenteils - ein glücklicheres Ende. Anders als beim Vorgänger musste ich mich nach der letzten Seite nicht wieder erinnern, wie man atmet. "Die Wahrheit meines Vaters" hinterlässt bei mir nicht so viele Gedanken und Emotionen.
Der Schreibstil von Jodi Picoult ist schön zu lesen, sehr bild- und metapherreich. Und die Kapitel sind etwas länger - das ist der eine Punkt, in dem das Buch besser abschneidet als "Beim Leben meiner Schwester".
Dass "Die Wahrheit meines Vaters" im Vergleich mit dem hervorragenden Vorgänger nicht ganz so toll ist, bedeutet nicht, dass es nicht lesenswert wäre. Im Gegenteil.
Eny