Problematische Helden. Was nun?

  • Hallo zusammen!


    "Mein" Verleger legte mir ein Thema nahe und ich habe mich optimistisch darauf eingelassen.
    Nun ist der Roman (in der Rohfassung) beinahe fertig und ich habe leider immer noch keinen Draht zu meiner Hauptperson gefunden.
    Ich werde einfach nicht mit ihr warm. Nicht, daß ich sie gänzlich unsympathisch finde. Doch sonst war es so, daß ich Schulter an Schulter die Abenteuer meiner Helden durchlebte. Jetzt erzähle ich eine Geschichte aus Distanz.
    Mir gefällt das nicht. Aber was nun? :-(
    Alles verwerfen? Ich habe eine Namensänderung überlegt, die handelnde Person "geschönt, geföhnt und gepudert", eine Ruheschleife der Geschichte in der Schublade in Erwägung gezogen.
    So etwas ist mir nun das erste Mal passiert.
    Und nur mir?
    Oder hat jemand ähnliche Erfahrungen?


    LG


    Lesemotte

    Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben, nichts sonst.
    Oscar Wilde

  • Hallo Lesemotte!
    Du hast einen Verlag für ein nicht fertiges Projekt? GLÜCKWUNSCH!!!
    Ich kenne das auch, dass einem die Protags dann und wann fremd sind. Ein Patentrezept habe ich auch nicht, aber ich habe versucht, mich mit den Figuren zu unterhalten. Zum Beispiel habe ich sie in meinen Alltag mitgenommen, mir auch überlegt, was sie in dieser oder jener Situation täten. So lernt man sich automatisch besser kennen (auch wenns witzig ist, sich den Heiligen Claret im Wartezimmer des Kinderarztes vorzustellen... :lache)
    WAS genau ist es denn, das Deinen Protag so fremd macht? DU hast ihn doch erfunden. Geht er Wege, die Du nicht vorgesehen hast? Hattest Du schon seine Vita ausgeknobelt? Es kann helfen, sich einen kompletten Lebenslauf zu überlegen, inklusive aller Vorlieben, Schwächen, schwarzen Seiten, das Aussehen, Freunde, Feinde, Wohnung...
    Viel Glück - und: darf man wissen, wo und wann das Buch rauskommt?
    Silke

  • Hallo Silke,
    lieben Dank für die Antwort. Einen Vertrag habe ich nicht, und darüber bin ich auch ziemlich froh, weil ich halt nicht weiterkomme. Es handelt sich um einen historischen Roman und genauer geht es um den Bau des Aachener Doms. Soweit halt der Vorschlag: "Mach mal was um den Aachener Dom und mittelalterlich soll es auch bleiben." Ähnliche Richtung wie "Die Rose der Leibköchin" oder das Nächste, welches im Herbst erscheint und dessen Titel noch nicht feststeht.
    Man ist irgendwie auf eine bestimmte Zeitspanne festgetackert (naja, zumindest wenn man sich ein bisserl etablieren möchte).
    Meine Protagonistin, ach ich kann Dir gar nicht beschreiben, was genau mich stört. Ich habe sie mit Schwung an den verkehrten Mann gebracht und müßte nun mit der Brechstange heran, um sie in die vorgesehene Hände zu bringen (obwohl... neue Idee... das entscheide ja immer noch ich. ) Sie hat gute Seiten und Macken, aber sie schwankt zu sehr von einem Extrem zum anderen. Vielleicht ist es das, was mir nicht gefällt.


    Darüber zu Schreiben hilft, darüber nachzudenken. Merke ich gerade... ;-)


    LG
    Dagmar

    Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben, nichts sonst.
    Oscar Wilde

  • Hallo Lesemotte,
    ich bin kein Profi und kann deshalb wohl nicht besonders fundiert antworten. Dein 2. Posting interpretiere ich ein bisschen so, dass Du allgemein mit den engen Grenzen - Dom und Mittelalter - unzufrieden bist und dass sich dass auf Deine Figur überträgt. Okay, aber Du hast Dich entschieden, den Vorschlag anzunehmen und musst jetzt das Beste daraus machen. Hey, das ist auch eine große Chance!


    Die Heldin dümpelt vielleicht deshalb so unentschlossen in der Geschichte herum, weil DU noch nicht ganz genau weißt, wo die Reise hingehen soll?


    Sie scheint ein bisschen wankelmütig oder flatterhaft zu sein. Da gibt's doch auch im echten Leben Leute von der Sorte, die trotzdem liebenswert sind, denen man diese "Schwäche" gerne verzeiht. Für mich als Leser wäre es wichtig, dass ich die Beweggründe der Figur nachvollziehen kann, dass es glaubwürdig, plausibel und - trotz etwaigem Gefühlschaos - noch irgendwie logisch ist, dass die Figur aus ihrer Sicht genau so handeln musste.


    Wünsche Dir viel Erfolg! Du hältst uns doch auf dem Laufenden über Dein Buch ?!


    Viele Grüße,
    Ida

  • Ich bin kein Autor. Ich habe aber ab und an damit zu tun, wenn Leute so nicht so ganz miteinander klar kommen. Vielleicht ist das ja ähnlich. Vielleicht hilft es dir, wenn Du Dir selbst mal notierst, was Du an der Dame magst und warum sie dir wichtig ist. Vergiss vielleicht sogar (wenns geht) dass sie Dein Kunstprodukt ist und behandele sie wie einen normalen Menschen. Wenn du weisst, was du an ihr magst, kannst Du ja mal aufschreiben, was Dich an ihr nervt, stört etc. und zwar an ihr als Person, nicht an deiner Schilderung.
    Nun könntest Du ihre guten und schlechten Macken sehen und Dich fragen, ob sie OK ist. Ab dann könntest Du wieder Autorin werden, und schauen, wie sie dir sympatischer wird, was Du verändern kannst, oder ob sie nicht genau so der Geschichte, die sie so geformt hat, angemessen ist.... könnte ja auch sein ...

  • In meinen Augen ist die Sache ziemlich klar: Du MUSST nochmal mit der Brechstange ran.
    Ich finde, nichts ist schlimmer, als ein Buch zu schreiben, deren Protagonisten einem nicht sympathisch sind.
    Dabei finde ich keineswegs, daß die Protas immer heroische Figuren sein müssen, um sympathisch zu sein, im Gegenteil. Aber wenn man eine innere Distanz zu ihnen hat, dann gibt es definitiv ein Problem.


    Meistens hilft dann nur, eine Figur komplett neu zu erschaffen. Anderer Name, anderes Aussehen usw.


    Ich kann Dein Problem übrigens gut nachvollziehen. Ich habe da gerade ein Romanheldin im Kopf, die charakterlich an Amelia Earhardt angelehnt sein soll (die ich total toll finde). Aber irgendwie werde ich nicht 'warm' mit der guten Frau. Fatal.
    Oder in meinem aktuellen Roman 'Sturmherz' hatte ich das Problem, daß meine Hauptfigur 'Joy' so unbeständig und manchmal regelrecht grausam war, daß ich mich beherrschen mußte, sie trotzdem noch zu mögen, weil ich ja wußte, wodurch sie zu diesem Verhalten angetrieben wird.

  • Zustimmung zu BronteSister


    Wenn Du selbst nicht an die Hauptfiguren glaubst, wer soll es dann tun?


    Ich hatte auch mal so ein Buch (Titel vergessen), das nicht schlecht war, aber wo man ständig merkte, daß der Autor mit seiner Hauptfigur nicht so recht warm geworden ist.


    Gruß
    TT

  • Hallo Lesemotte,


    ich kann hier nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. In ähnlichen Situationen habe ich das Schreiben ein, zwei Tage sein lassen, mir dafür ein Buch eines vollkommen anderen Genres gesucht, und danach den bereits bestehenden Text überarbeitet, um dann einfach weiterzumachen. Das hat bei mir bis jetzt immer gereicht, um mich mit einer Figur identifizieren zu können.


    Gheron :wave

  • Vielen Dank euch allen, die mir mit Tipps zur Seite gestanden haben. :anbet :anbet


    Ich werde den Roman erstmal zur Seite legen und dann von Grund auf entkernen. Beibehalten werde ich die Idee, aber vielleicht nicht alle Wege. Ein paar Nebenfiguren dürfen auch bleiben, aber die beiden "Helden" werde ich neu schaffen.
    Es stimmt, die Namen sind unheimlich wichtig. Die werde ich ändern, denn damit geht gleichzeitig eine Charakteränderung einher, das war ein guter Ratschlag.
    Ich habe u.a. einen französischen Namen gewählt... von Ur-Rheinländern (nichts für ungut) ausgesprochen hörte er sich seltsam an... äh, naja, jedenfalls nennt man so keine kernig-männliche Helden. :-(


    Die Person ist mir nicht abhanden gekommen, sondern es war eher so, daß ich in der Meinung schrieb: "Wir werden uns schon besser kennenlernen." Sympathische Ansätze gab es auch, nun fehlte wirklich der gemeinsame Herzschlag zwischen Romanheld und Autor. Und das blieb wirklich so, bis zum Ende.
    Es ist tröstlich, daß ich mit dererlei Problemen nicht alleine darstehe.
    Dankeschön sagt Dagmar

    Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben, nichts sonst.
    Oscar Wilde

  • Also manchmal hilft es auch, die Perspektive zu ändern. Es kann sein, dass sich durch die dritte Person eine ironisch distanzierte Anschaung der Protagonistin ergibt. Versuche doch einfach mal, ein Probekapitel in der ich-Form zu schreiben. Vielleicht kommst du der werten Dame so etwas näher. (Und wenn es nur als Schreibübung dient).


    Gut ist es auch, sich Listen mit konkreten Daten zu machen, die im Buch gar nicht wieder auftauchen. (Was hat die Person im Kleiderschrank, was würde sie in ihr geheimes Tagebuch schreiben, was hat sie im Kühlschrank (passt vielleicht nicht ganz in das Genre des historischen Romans) oder was sind die Lieblingslieder der Protagonistin).


    Dabei muss sich Deine Einstellung gegenüber der Protagonistin natürlch nicht ändern. Wenn Du sie nämlich immer noch nicht magst, hilft eine andere Perspektive auch nicht viel. Da hilft dann wirklich nur die oben genannte Brechstange ;-)


    Bei mir hat es teilweise übrigens schon gereicht, wenn ich mir ein etwas anderes Gesicht vorgestellt habe und ein Persönlichkeitsmerkmal leicht verändert habe. Und schon fand ich die Person gar nicht mehr so sclimm. Dafür gab es dann ganz schön viele Seiten, die nachträglich überarbeitet werden mussten *seufz*

  • Hat sich gelohnt diesen Fred hier durchzulesen!
    Viele sehr gute Anregungen. Normalerweise lasse ich meine Figuren vor meinen Augen in einer Szene filmisch ablaufen. So habe ich einen wechselwirkenden Überblick und auch schon die schönsten Widersprüche aufgedeckt.
    Mit den Namen, da kann ich dir nur zustimmen. Der Name ist der halbe Charakter.
    Ich drücke dir und deinem Vorhaben die Daumen.

  • Zitat

    Original von Skeptiker
    Also bei meinen Machwerken habe ich meistens sogar das Konzept, Anti-Helden bzw. kranke Unsympathen als Protagonisten einzusetzen, gerade weil gutartige, tugendhafte Helden in meinen Geschichten deplaziert wirken würden...


    Ich suche in dieser Aussage immer noch den Bezug zum Thread? Wenn ich einfach nicht in der Lage bin diesen zu erkennen, möge jemand so nett sein und ihn mir erklären!


    Aber zum Thema: Ich denke Du, Lesemotte, hast gut daran getan, den Roman erstmal bei Seite zu lesen und so eine realistische Distanz zum Ganzen zu gewinnen. Hier sind wirklich viele gute Ratschläge gegeben worden, denen ich nur zustimmen kann. Prota mit in den Alltag nehmen, eine Kapitel aus Sicht der Prota schreiben etc ... solltest Du dann wirklich immer noch keinen besseren Zugang gefunden haben, sehe ich es wie BronteSister: Brechstange!


    Der Leser würde sicher sehr schnell spüren, dass die Prota nicht richtig geerdet ist. Ich finde, dass Figuren, die dem Autor nicht nahe stehen, meist sehr zerrissen wirken und auch in fröhlichen Szenen durchaus unglücklich wirken. Ich vergleiche das gerne mit der Realität. Ein Mensch, der sich selber nicht mag, wir immer zwiespältig, wenn nicht sogar unsympathisch empfunden. Und wenn man es mal flach betrachtet bist DU die Seele Deiner Protagonistin ... oder solltest es eben sein!


    Ich wünsch Dir jedenfalls viel Glück und Drück Dir die Daumen, dass Du doch noch einen guten Draht zu Deiner Prota findest :)


    Liebe Grüße,
    Pia