Wir diskutieren in diesem Thread gerade über das popmoderne Thema "Kampf- und Komasaufen". Dabei stellte sich u.a. die Frage, warum wir das tun. Nicht das Komasaufen, sondern das Darüberreden. Ich war gerade an der frischen Luft, und vor einem Zeitungsladen stand ein Aufsteller mit der heutigen Überschrift der "B.Z.", das ist die BILD-Schwester für Berlin:
Wieder Wettsaufen: Schülerin (15) lag mit 4,1 Promille im Park!
(Größer geht nicht, die Eule hat keine BILD-Lettern.)
In diesem Thread hat Nudelsuppe auf einen hochinteressanten Artikel verlinkt, der sich damit befaßt, welche Inflation an populistischen Verboten in den letzten Jahren auf uns eingehagelt hat - und was noch zu erwarten ist. Insbesondere bei der Diskussion um Kampfhunde läßt sich eine direkte Verbindung zur "Berichterstattung" der Medien finden, wobei ich jetzt mal davon absehe, auf das "Unterschichtfernsehen" und die o.g. Zeitungen einzuschlagen. Tatsächlich haben sich damals so gut wie alle an der "Diskussion" beteiligt, und im Ergebnis wurde ein Gesetz erlassen, das Maulkörbe für viele Hunderassen vorschrieb, nur nicht, wie man im verlinkten Artikel nachlesen kann, die gefährlichste von allen, den Deutschen Schäferhund.
Warum aber reden wir über solche Themen? Warum sind uns Kampfhunde und ein paar Dutzend Jugendliche, die sich per "Flatrate" die Kante geben, wichtiger als zum Beispiel die gut 6.000 Frauen, die tagtäglich in afrikanischen Ländern auf bestialische Weise beschnitten werden - mit einer Todesrate von 5 bis 20 Prozent (je nach "Verfahren")? Warum reden wir über ein Mädchen, das mit einem bemerkenswerten Promillewert aufgefunden wurde, aber nicht über die fast zwanzigtausend Menschen, die alleine in Deutschland Jahr für Jahr an den Folgen des Alkohols sterben?
Die Antwort lautet m.E.: Weil uns die Medien diese Themen vorgeben. Und warum tun sie das? Weil wir Kunden sind, und die Medien mit ihrer "Berichterstattung" um uns werben. Es gibt einen Krieg um Nachrichten, einen Kampf um dramatische, widerwärtige, erregende, anschauliche Beiträge, die meistens weder repräsentativ noch gesamtgesellschaftlich bedeutungsvoll sind. Genau damit aber wird operiert, mit der Unfähigkeit des Zuschauers, zu relativieren. Wir hören von einem Jugendlichen, der besoffen aufgefunden wird, wir fressen die Verbindung zum "Flatrate"-Saufen, ohne darüber nachzudenken, und wir thematisieren, was uns vorgekaut wird. Das tun wir nicht erst seit dem Aufkommen des Privatfernsehens, aber es hat die Entwicklung verstärkt.
Es tritt aber noch ein Effekt ein, der bis vor ein paar Jahren undenkbar war: Die Politik reagiert auf solche Vorgänge - siehe Kampfhundeverbot, siehe aber auch Diskussion in einigen Bundesländern um die sogenannten "Flatrate-Partys". Das ist sehr bemerkenswert, war es früher doch so, daß unsere Mandatsträger die populistische Berichterstattung, die keine ist, weitgehend ignoriert haben, wohlwissend, daß jede dieser Schwemmen auch wieder abebbt, in Wochenfrist aus den Köpfen der eben noch heiß diskutierenden ist.
Was ich damit sagen will? Keine Ahnung, muß ich noch drüber nachdenken. Vermutlich geht es mir darum, daß man kritisch sein sollte und sich nicht von Medien, die werbefinanziert sind und um kritiklose Zuschauer buhlen, ein Weltbild vorschreiben lassen. Die Welt ist anders. Und es ist unsere, nicht die von RTL und meinethalben auch ZDF.