Siri Hustvedt: Die unsichtbare Frau
Ende der Siebziger. Die schöne Literaturstudentin Iris Vegan, deren Vorname nicht ohne Grund ein Palindrom des Namens der Autorin ist, lebt in einer winzigkleinen Wohnung in Brooklyn. Sie leidet unter notorischer Geldnot, wodurch sie an einen seltsamen Recherchejob bei einem Literaturwissenschaftler kommt, der sie beauftragt, Alltagsgegenstände aus dem Nachlaß einer Verstorbenen bis ins Detail zu untersuchen und die Beschreibungen auf ein Tonbandgerät zu flüstern. Dem folgt eine seltsame Dreierbeziehung mit dem überaus attraktiven Stephen und dem durchgedrehten, bisexuellen Fotografen George. Anschließend erkrankt Iris an Neurasthenie, was ihr einen tranceartigen Krankenhausaufenthalt beschert. Und dann begegnet sie Professor Rose, für den sie eine Novelle übersetzen soll, verfaßt von einem deutschen Homosexuellen, kurz vor dessen Tod im Konzentrationslager. Iris nimmt alsbald die Identität des Protagonisten an, und streift im Anzug unter dem Namen "Klaus" durch das nächtliche New York, wobei sie ihr normales Leben vernachlässigt und sich auf schmerzhafte Weise bis zur Selbstaufgabe von der eigenen Identität entfernt. Dabei trifft sie, nahezu am Ende ihrer Kräfte, wieder auf Professor Rose, und die entstehende Beziehung mit dem verheirateten, viel älteren Mann scheint die Rettung zu sein.
Siri Hustvedt bedient sich einer Sprache, die ergreift und beeindruckt; ihre Bilder und Formulierungen sind von einer Schönheit und Prägnanz, die man selten findet. Nur gelegentlich wirkt es auf etwas aufdringliche Art gelehrig, gar belehrend, meistens aber sind Klarheit und Präzision der Erzählung von einer schwebenden, sehr eigenen, vereinnahmenden Ästhetik. Alleine das macht es die Lektüre wert, der zuweilen eine thematische Orientierungslosigkeit innewohnt. Es fällt schwer, in Worte zu fassen, worum es in "Blindfold" (OT), also "Mit verbundenen Augen" eigentlich geht – um Identitätssuche, fraglos, um das Sein des Menschen und die Grenzen zwischen Gut und Böse. Ein manchmal verwirrendes, streckenweise etwas sprödes Buch, ganz sicher kein klassischer Roman und vor allem nicht das, was der an Schwachsinn grenzende Klappentext zu versprechen versucht.
"Die unsichtbare Frau" war Hustvedts Erstling; er reicht an das beeindruckende "Was ich liebte" der Paul-Auster-Ehefrau nicht ganz heran, markiert aber deutlich, was sprachlich möglich sein kann. Großartige Literatur; ein Genuß, wenn man sich darauf einläßt.