Ist Wissenschaft und Religion unvereinbar? Kitty Ferguson, professionelle Musikerin und u. a. Autorin einer Biographie Stephen Hawkings, versucht die Sichtweisen, Argumente und Gegenargumente eines religiösen und naturwissenschaftlichen Weltbilds gegenüberzustellen und zusammenzuführen.
Ist ein Stuhl wirklich ein Stuhl? Und sieht mein Gegenüber den Stuhl genauso wie ich, ist die Farbe des Stuhls für ihn die gleiche wie ich sie sehe? Mit diesen Fragen nimmt die Autorin den Leser mit durch einen Streifzug der bis heute angesammelten Theorien und (augenscheinlichen) Erkenntnissen über uns und das Universum in dem wir leben. Gut verständlich werden alle "großen" naturwissenschaftlichen Themenkomplexe wie Evolutionstheorie, Kosmologie, die klassische newton'sche Physik, Relativitätstheorie, Quantenmechanik, etc. umrissen (und wenn notwendig auch detaillierter geschildert). Vielen Menschen dürfte dabei meist nicht bewusst sein, mit wie vielen Annahmen die Wissenschaft bei all diesen Erklärungsmodellen für unsere Existenz hantieren muss. Gerade die von Niels Bohr ins Spiel gebrachte Welt der Quanten, hat nicht nur Einstein zutiefst beunruhigt ("Gott würfelt nicht."), sondern verlangt ein grundsätzliches Umdenken, ein völlig neues Weltbild, das sich eben nicht ausschließlich durch die Mechanik Newtons berechnen und vorhersagen lässt. Die Erkenntnis daraus ist viel mehr, dass sich nur ein kleiner Bereich unserer erfahrbaren Welt an dieser Berechenbarkeit messen lässt und gerade die Chaostheorie immer mehr Bedeutung erlangt - tatsächlich der Flügelschlag eines Schmetterlings, also ein geradezu lächerlich kleines Ereignis, zwar einen kaum messbaren Einfluss auf die sogenannten Anfangsbedingungen hat, aber sehr wohl einen deutlichen Effekt nach sich zieht.
Ferguson gelingt es sehr objektiv das Für und Wider eines Weltbilds zu erklären, das ohne Gott auskommen soll. Sie macht aber auch deutlich, dass Gott sehr wohl eine nicht zu unterschätzende Option dabei ist, die selbst von atheistischen Wissenschaftlern, wie Richard Dawkins oder Stephen Hawking nicht entkräftet werden kann. Gott ist als "Erste Ursache" ebenso gut im Rennen, wie die Urknalltheorie, die Theorie eines fluktuierenden Universums oder der von Hawking ins Rennen geworfenen Hypothese eines tatsächlich unendlichen Universums ohne Anfang. Wohltuend ist dabei, dass die Autorin dabei sich durchaus auch sehr kritisch mit der Bibel und ihren Auslegungen (sowohl orthodoxer, als auch gemäßigter und wissenschaftlicher Natur) befasst, und auch hier der Brückenschlag zur naturwissenschaftlichen Sichtweise zwar nicht sofort ersichtlich, aber durchaus nachdenkenswert ist.
Ich hatte sehr gemischte Gefühle bei der Lektüre des etwa 430 Seiten starken Buches. Da ich bereits eine nicht gerade kleine Anzahl naturwissenschaftlicher Bücher zur Quantenphysik, Kosmologie und Evolution gelesen habe, war ich als Katholik natürlich neugierig auf eine Gegenüberstellung mit Religion. Meiner Ansicht nach gelingt Ferguson der Spagat zwischen Wissenschaft und Religion durchaus. Sie zeigt auf, dass mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede vorhanden sind und diese Unterschiede letztendlich von unterschiedlichen Annahmen, nicht Erkenntnissen, über unser Universum herrühren.
Zwar habe ich das Buch in die Rubrik Religion eingeordnet, doch könnte es ebensogut unter Naturwissenschaften einsortiert werden. Es ist eine gelungene Gratwanderung oder um es vielleicht mit einer Prise Quantenphysik zu versehen: Es ist unbestimmt.
Gruss,
Doc