Philippe Djian: "Reibereien"

  • Die Bücher von Philippe Djian - allen voran "Erogene Zone", "Verraten und verkauft" sowie das kongeniale "Rückgrat" - gehörten zu meiner Post-Adoleszenz wie das morgendliche Pickelausdrücken. Davon abgesehen, daß ich mich literarisch - als Leser - so gut wie kaum im Angebot französischer Romanciers umgetan habe, und in dieser Zeit mit amerikanischen Autoren wie Roth, Updike und Pynchon zu liebäugeln begann, stellte Djian vor allem wegen seiner Sprache, seiner ruppig-liebevollen Art im Umgang mit Figuren und nicht zuletzt wegen des hohen Identifikationspotentials für lange Zeit den Gipfel des Lesegenusses dar. Das endete allerdings alsbald, zumal Djian kaum dazu in der Lage schien, nachzulegen, und spätere Versuche mit Büchern wie "Sirenen", "Pas de deux" oder "Kriminelle" - zugegeben, das waren halbherzige Versuche - kamen immer zum gleichen Ergebnis: Djian hat sein Pulver verschossen. Man kann sein Handwerk noch so gut beherrschen; wenn man nichts mehr zu sagen hat, bleibt das Resultat lapidar. Lustlos. Nichtssagend.


    In der Flughafenbuchhandlung stolperte ich kürzlich über "Reibereien", und vielleicht war es die Stimmung, die mit dem Antritt einer Urlaubsreise verbunden ist, die mich nach dem Buch greifen ließ.


    Der Episodenroman erzählt in fünf chronologisch, aber nicht direkt aufeinanderfolgenden Einzelgeschichten vom namenlosen Held und seiner Mutter. Der Ich-Erzähler ist zunächst jung, erst elf Jahre alt, und muß die Folgen der Trennung seiner Eltern miterleben. Alkohol, Promiskuität und Olga, die beste Freundin der Mutter, spielen bereits in diesem Kapitel wesentliche Rollen. Später ist der Protagonist Anfang zwanzig, dann Mitte dreißig. Es geht weiterhin um die genannten Problemfelder und das Verhältnis zur Mutter, die ihrerseits keine Linie für das eigene Leben findet, zumal der Sohn immer als Retter bereitsteht, und um die Probleme, die der Erzähler mit dem seinigen hat, weil die Sorge um die Mutter alles andere blockiert und überdeckt. Beziehungen scheitern, Träume werden nicht verwirklicht, obwohl die technischen Gegebenheiten stimmen - weil sich letztlich alles um die Mama dreht.


    Die Nebenfiguren in "Reibereien" spielen so gut wie keine Rolle, und nach der Lektüre habe ich mich gefragt, ob das nicht auch für die Hauptfiguren gilt. Das Buch wirkt so fad, so leer, als wäre es eine Auftragsarbeit, ein Ghost-Writing-Projekt, bei dem der Autor nicht so richtig begriffen hat, worum es dem Auftraggeber geht. Jedenfalls konnte ich keinen Zugang zum Personal finden, vieles wird nur daherbehauptet und geht in aufgesetzt schnoddriger Sprache unter. Bei einigen Kapiteln fiel es mir schon unmittelbar im Anschluß schwer, zu erinnern, was in ihnen geschehen ist.


    Also gut, ein Ende mit Schrecken. Sei's drum. Das war mein letzter Djian.

  • Gut, dass mal wieder eine Warnung vor neuen Djian-Romanen kommt.


    Mir ging es wie vielen so, dass ich "Betty Blue 37,2 Grad am Morgen" sehr raffiniert fand und deshalb neue Djians probierte und immer schwer enttäuscht wurde.


    Schwarze Tage, weiße Nächte fiel ja noch groß wegen seiner vielen pornographischen Szenen auf, obwohl ich den Roman trotzdem merkwürdig konstruiert fand.


    Ein ehemals interessanter Autor, der sich stlistisch stark verändert hat.


    Ich habe den Autor bereits mehrmals auf Lesungen gesehen.
    Komisch finde ich, dass der Autor selbst anscheinend überhaupt nicht weiß, dass seine neuen Bücher von vielen für stilistisch schwächer als seine alten gehalten werden.
    Er selbst ist der Meinung, dass er sich stilistisch immer mehr verfeinert hat.



    Reibereien werde ich mir auf jeden Fall ersparen.

  • Es gab mal einen Schriftsteller der mit dem Roman „Betty Blue“ ein wirklich grandioses Buch geschrieben hatte. Und aufgrund dieses Erfolges schrieb der Schriftsteller immer weiter und weiter und viele Bücher kamen so zusammen. Manchmal schaffte er es fast bis an „Betty Blue“ heran, nicht sehr oft, aber meistens segelte er meilenweit an diesem seinen großen Erfolg vorbei. Und dann setzte er sich, was er lieber nicht hätte tun sollen, erneut an die Schreibmaschine und stoppelte ein weiteres Buch mit dem Titel „Reibereien“ zusammen. Dieser Schriftsteller war niemand anders als Philippe Djian, von vielen als „Kultautor“ bezeichnet, woran man merkt, dass es für den Begriff „Kultautor“ keine allgemein gültige Definition gibt.


    Auf dem Buchrücken liest man, dass sich in diesem Buch fünf Short Cuts versammelt haben. Na, unter Short Cuts versteht man aber etwas anderes. Es sind zwar fünf Sequenzen, aber von „short“ ist da nichts zu spüren, vielmehr zeichnen sich diese Abschnitte durch gähnende Langweile aus.


    Als ich das Buch zuschlug, waren mir bereits sämtliche Namen der handelnden Personen entfallen. Ich erinnere mich nur – wenn auch dunkel – dass der Ich-Erzähler ein etwas merkwürdiges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, aber die wirklichen Konflikte dieser Mutter-Sohn-Beziehung blieben gnädigerweise im Dunkeln.


    Ohne dieses Buch hätte der Welt nichts gefehlt, ich hätte keine wertvolle Lebenszeit verschwendet und nebenbei noch 8.90 EUR gespart, der Diogenes-Verlag hätte eine Niete weniger in seinem Verlagsprogramm gehabt, das für dieses Buch hingegebene Papier hätte mit besseren Texten beschrieben werden können, der Baum, der für dieses Buch geopfert wurde, hätte vielleicht noch ein weiteres Jahr im Urwald vor sich hinstehen können – aber nein, die Diogenes-Macher mussten ja einen weiteren Djian in das literarische Dickicht werfen. Naja, Fehler machen wir halt alle mal – aber gleich solche Fehler?
    Eines noch: Wenn man irgendwo nicht mehr eingeladen werden will (ich denke da spontan an die Schwiegereltern), dann nehme man beim nächsten Mal dieses Buch als Mitbringsel mit – das Verhältnis dürfte dann unter Garantie unreparabel zerrüttet sein.


    Lieber Philippe, du kennst mich nicht und ich will dich nicht kennenlernen. Lesemässig war es das dann zwischen uns.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Vielleicht solltet Ihr "In der Kreide" lesen, falls nicht schon getan - da redet er ja über all die Autoren, die ihn geprägt haben und über seinen ihm so wichtigen Stil. Ich finde es ganz interessant und vielleicht versöhnt es Euch mit Djian, da Euch seine jüngeren Werke enttäuscht haben (ich habe sie gar nicht gelesen).


    Gruß, Bell

  • Hallo, Bell.


    Interessanter Vorschlag, aber ich wüßte nicht, warum mich mit einem schlechten Buch versöhnen sollte, daß der Autor - möglicherweise - erklärt, warum er schlechte Bücher schreibt. :grin


    Spaß beiseite. Voltaires Meinung entspricht ja weitgehend der von mir geäußerten, und wenn ich so lese, was allenthalben über die Bücher geschrieben wird, die Djian in den letzten Jahren veröffentlicht hat, scheint diese Meinung auch Tendenz zu sein. Die Luft ist einfach raus. "Rückgrat" war das letzte richtig gute, und seitdem weiß der Mann nicht mehr, was und worüber er schreiben soll. Was ihn leider nicht davon abhält, es trotzdem zu tun.

  • Hallo Tom,


    ich dachte nur, es sei vielleicht ein schönerer "Abschied" - wenn einem ein Autor einmal etwas bedeutet hat, ist es ja schwer hinzunehmen, wenn er sozusagen abbaut. "In der Kreide" könnte vielleicht die schlechten Eindrücke, die seine jüngeren Romane hinterlassen haben, ein wenig mindern und einen, wie gesagt, mit Djian versöhnen. Oder nochmal die Trilogie oder "Rückgrat" lesen :-)


    Gruß, Bell

  • Zitat

    Original von Bell
    Hallo Tom,


    ich dachte nur, es sei vielleicht ein schönerer "Abschied" - wenn einem ein Autor einmal etwas bedeutet hat, ist es ja schwer hinzunehmen, wenn er sozusagen abbaut. "In der Kreide" könnte vielleicht die schlechten Eindrücke, die seine jüngeren Romane hinterlassen haben, ein wenig mindern und einen, wie gesagt, mit Djian versöhnen. Oder nochmal die Trilogie oder "Rückgrat" lesen :-)


    Gruß, Bell



    Ich bin zwar nicht Tom, fühle mich aber auch ein wenig angesprochen. Irgendwann ist das Tischtuch halt zerschnitten. Djian hat bei mir jede Chance bekommen, nur irgenwann ist ganz einfach Sense. Und er hat es geschafft, fast jede Chance gründlich zu versemmeln.


    Mir wäre jetzt wirklich die Zeit zu schade, die ich in weiteres Djian-Buch investieren müsste. Nee, da lese ich dann lieber den neuen Liehr oder auch einen seiner (Liehrs) älteren Schinken....... :grin :grin :grin

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Huhu, Voltaire.


    Zitat

    oder auch einen seiner (Liehrs) älteren Schinken


    :lache Wovon es ja nur einen gibt genaugenommen, nämlich das derzeit vergriffene "Radio Nights". Hat übrigens gerade jemand gebraucht für 36,50 auf Amazon verscherbelt, erfolgreich. Und dabei war das angebotene Exemplar nicht einmal signiert. Nunwohl, vielleicht gerade deshalb. :gruebel

  • Schade. Ich hatte erst letztens gedacht, wenn ich mal wieder einen Einkaufsbummel über der Grenze mache, hole ich mir einen weiteren Djian und lese endlich mal wieder ein französisches Buch im Original.


    Djian hatte es mit Betty Blue geschafft, daß ich mich tatsächlich im Original durch das Buch gearbeitet habe - und Spaß daran hatte. Das gleiche habe ich mit "Erogene Zone" und "Rückgrat" gemacht - ehrlich gesagt, mit nicht mehr ganz so viel Spaß dabei. Dann habe ich es mit "Sirenen" probiert. Was soll ich sagen... da steckt heute noch irgendwo in der Mitte ein Lesezeichen drin...

  • Zitat

    Original von Pelican
    Schade. Ich hatte erst letztens gedacht, wenn ich mal wieder einen Einkaufsbummel über der Grenze mache, hole ich mir einen weiteren Djian und lese endlich mal wieder ein französisches Buch im Original.


    Djian hatte es mit Betty Blue geschafft, daß ich mich tatsächlich im Original durch das Buch gearbeitet habe - und Spaß daran hatte. Das gleiche habe ich mit "Erogene Zone" und "Rückgrat" gemacht - ehrlich gesagt, mit nicht mehr ganz so viel Spaß dabei. Dann habe ich es mit "Sirenen" probiert. Was soll ich sagen... da steckt heute noch irgendwo in der Mitte ein Lesezeichen drin...


    Dann vielleicht lieber einen Beigbeder im Original lesen, der hat zwar auch so manche Schwächen, aber die sind wenigstens auf die eine oder andere Weise originell. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


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  • Reibereien - Philippe Djian


    Gebundene Ausgabe: 233 Seiten
    Verlag: Diogenes
    Aus dem Französischen von Uli Wittmann


    Kurzbeschreibung:
    Auf dem Ich-Erzähler von Philippe Djians Roman liegt ein Fluch. Das besondere ist, dass er sich selbst mit diesem Fluch belegt hat. Denn als der Vater nach einem Ehekrach das Haus verließ, versprach der damals 11-Jährige seiner Mutter, bis an sein Lebensende bei ihr zu bleiben. Das Versprechen wird er auch einhalten, für immer, also bis zum Schluss des Romans. Er wird auf ein glückliches Leben verzichten, auf Affären mit Frauen, und das, obwohl er mehr als genug Geld dazu verdient. Stattdessen bleibt er der Mutter treu, soviel sie sich auch um den Verstand saufen wird oder sich von einem behaarten Männerarm in den nächsten stürzt. Am Ende drückt er lieber die Zigarette in ihrer Hand aus und legt ihr nach der Begegnung mit Carole und seinem Kind den Kopf in den Schoß. Vielleicht geht er aber doch? „Ich gehe nach Hause und warte auf dich“, sagt jedenfalls Carole. „Und wenn du nicht kommst, habe ich eben Pech gehabt.“


    Über den Autor:
    Philippe Djian, geboren 1949 in Paris, wechselte oft den Wohnsitz. Bisherige Stationen: New York, Florenz, Bordeaux, Biarritz, Lausanne und Paris. Auf einer Autobahnmautstelle, bei einem seiner Gelegenheitsjobs, tippte Philippe Djian seinen ersten Roman. Sein dritter Roman, ›Betty Blue‹, wurde zum Kultbuch. Für seinen jüngsten Roman ›Oh ...‹ erhielt er 2012 den Prix Interallié. Der Autor lebt heute in Biarritz und Paris.


    Über den Übersetzer:
    Uli Wittmann wurde am 17. 6. 1948 in Schledehausen geboren; Studium der Anglistik, Romanistik, Pädagogik und Ethnologie in Hamburg, London und Paris. Maîtrise (Magister) in Ethnologie (Paris), Promotion über anglophone afrikanische Literatur in Hamburg. (Der Konflikt zweier Wertsysteme im Ibo-Roman, Bouvier Verlag, Bonn 1978).
    Seit 1971 in Paris. Zehn Jahre Tätigkeit als DAAD-Lektor bzw. Dozent in Paris. Zwei Jahre Dozent an der Universität Port Harcourt in Nigeria (1980-1982). Seit 1982 freischaffender literarischer Übersetzer aus dem Englischen und Französischen. Schwerpunkte: zeitgenössische französische Literatur sowie (englisch- und französischsprachige) afrikanische und karibische Literatur. Diverse Lesereisen mit Ben Okri, Maryse Condé, Michel Houellebecq, Philippe Djian, Noëlle Châtelet und J.M.G. Le Clézio durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.


    Mein Eindruck:
    Nach langer Zeit habe ich dieses Buch jetzt doch noch gelesen. Wie zu erwarten war, lässt es mich mit ambivalenten Gefühlen zurück. Wie kann es so viele gute Ansätze geben und doch scheitern?


    Das erste Kapitel, das ich sehr gelungen finde, ist als Erzählung in La Monde erschienen. Es handelt von einem 11jährigen Jungen, der sehr unter der schlimmen Trennung seiner Eltern leidet und sich gezwungenermaßen sehr an seine Mutter klammert. Nie darf er sie verlassen.


    Djian schrieb episodenhaft, aber linear das Leben des Jungen als Erwachsener fort. Mit Beziehungen hat er viele Probleme.
    Erst ist er ein junges Model, später arbeitet er in der Buchbranche. Seine Frau kommt bei einem Unfall um, seine Tochter zieht er alleine auf.
    Der Protagonist muss sich immer wieder mit den Liebhabern seiner Mutter herumschlagen, die alle eine Knacks haben, zum Beispiel der aggressive Roger oder später der alkoholkranke Vincent.
    Selbst ist er ein eifersüchtiger Vater, der die Freunde seiner Tochter attackiert.


    Ich finde, das episodenhafte ist wenig elegant aneinandergereiht. Die Zeitsprünge kommen abrupt und überraschend.


    Auch innerhalb der Episoden gibt es immer wieder abrupte Wechsel, die mir motivationslos und willkürlich erschienen, als wäre Djian an den Stellen ins Stocken geraten und hätte sich nicht anders zu helfen gewusst.


    Überhaupt ist das Buch in seiner Gesamtheit nicht ganz geglückt, doch immer wieder gibt es besondere Momente, die mich am Roman bleiben lassen. Dann ist der Djian-Ton da und Atmosphäre entsteht.