Begrabt mich hinter der Fussleiste von Pawel Sanajew

  • Begrabt mich hinter der Fussleiste
    Pawel Sanajew


    Originaltitel: Pokhoronite menja za plintusom (2003)
    Erschienen: 02/2007
    Seiten: 235
    Verlag: Kunstmann


    Inhalt:
    »Mein Name ist Sascha Sawaljew. Ich gehe in die zweite Klasse und wohne
    bei meinen Großeltern. Meine Mutter hat mich gegen einen Giftzwerg und
    Erbschleicher eingetauscht und meiner Großmutter aufgebürdet, für die ich
    ein schweres Kreuz bin...«


    Wie einem bösen Märchen entsprungen erscheint Sascha diese Großmutter
    mit ihren wilden Flüchen und der salatgrünen Unterhose, ihrer tyrannischen
    Fürsorge und der unerklärlichen Wut auf die ferne Mutter, das »Flittchen«.
    Saschas Welt besteht aus Verboten, Wollstrumpfhosen, merkwürdigen
    Badeprozeduren und dem Staphylococcus aureus, der angebllich in seinem
    Körper wütet. Bald ist er selbst überzeugt, dass er mit 16 verfault sein wird
    und im Jenseits landet, oder doch eher in dem großen Müllschlucker in der
    Küche, in dem alle Geschenke der geliebten Mutter verschwinden. Das Glück
    ist die Mutter, die seltetn zu Besuch kommt, das Leben ist die Großmutter,
    und das eine scheint das andere auszuschließen.


    Meine Meinung:
    Die Erkenntnis dieser Geschichte, hat mich zum Schluß mit voller Wucht
    getroffen! Ich bin fast sprachlos.


    Sascha ist ein ca. fünfähriger Junge, der, weil seine Mutter in laut seiner
    Großmutter einfach hergegeben hat, bei eben dieser aufwachsen muss.
    Sie ist tyrannisch, leidet an Depressionen und flucht in einem Maße, was
    mich zu Beginn das Buch weglegen lassen wollte. Eigentlich "ver"flucht sie
    vielmehr. Sie verflucht Sascha, den armen Kerl, der dies jedoch stets recht gelassen
    hinnimmt, dafür, dass er die "Missgeburt" ihrer Tochter ist, sie verflucht ihren Mann dafür,
    dass er sie geheiratet hat, sie verflucht ihre Tochter dafür ihren Sohn hergegeben zu haben
    und ihn ihr "aufgehalst" hat ... - sie verflucht eben jeden und alles.
    Was sie aber am allermeisten verflucht, das jedoch, bleibt dem Leser überlassen zu erkennen, ist sich selbst.


    Sascha erzählt im Laufe der Geschichte die verschiedensten Anekdoten
    aus seiner Kindheit. Das fängt bei wüsten Beschimpfungen an und hört bei
    großmütterlichen Überfürsorge auf. Dazwischen gibt es alles an Befindungen
    und entsprechenden Situationen, die man sich vorstellen kann.


    Die Großmutter hat in mir das tiefste Gefühl an Mitleid geweckt. Mitleid für ihr
    verlorenes Leben, Mitleid für ihre verlorene Seele, Mitleid dafür, dass sie auf
    so unbeholfene Art und Weise so innig liebt und selbst nicht geliebt werden
    kann. Sie selbst spricht zum Schluss von ihrer Liebe als "einer hässlichen
    Liebe", ohne die sie aber nicht atmen kann.
    Ich glaube, besser kann man es nicht ausdrücken.


    Diese Geschichte einer russischen Kindheit ist aussergewöhnlich, faszinierend,
    erschreckend, amüsant aber vor allem ist sie lähmend traurig und voller
    Lebensweisheiten.