Ruhelos – William Boyd

  • OT: Restless. Übersetzt von Chris Hirte. Berlin Verlag Januar 2007 - gebunden - 368 Seiten


    Handlung:
    Der Verlag über das Buch
    Oxford, 1976. Ganz England stöhnt über die Hitze, doch Ruth Gilmartin ist vor allem um ihre Mutter besorgt: Ständig beobachtet Sally den Wald hinter ihrem Garten, das Telefon beantwortet sie nur nach vereinbartem Klingelsignal und das Haus verlässt sie - obwohl unversehrt - nur im Rollstuhl. Schließlich eröffnet sie ihrer Tochter, dass jemand sie töten wolle. Ihr wahrer Name sei Eva Delektorskaja und sie habe im Krieg als Spionin gearbeitet. Paris, 1939. Eva, eine schöne russische Emigrantin, wird von dem geheimnisvollen Lucas Romer für den britischen Geheimdienst angeworben. Sie soll die Arbeit ihres geliebten Bruders Kolja, der von den Nazis ermordet wurde, weiterführen. Unter Romers Anleitung wird sie zur perfekten Spionin ausgebildet, die schnell lernt, sich zu verstellen und - niemandem zu trauen. Ruhelos ist ein Spionageroman und literarisches Meisterwerk. Es vereint die emotionale Intensität eines Ian McEwan mit der Spannung eines John le Carré. William Boyd stellt die zutiefst beunruhigende Frage, wie gut wir einen Menschen jemals kennen können, und verwickelt den Leser in ein durchtrieben-doppelbödiges Spiel.


    Über den Autor: (von Perlentaucher kopiert)
    William Boyd wurde 1952 in Accra (Ghana) geboren. Er ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er studierte an der Gordonstoun School, der Glasgow University und am Jesus College in Oxford. Sein erster Roman "A Good Man in Africa" erschien 1981, während er als Englischdozent am St. Hildas Colleges (Oxford) tätig war, und gewann gleich zwei Preise: den Whitbread First Novel Award und den Somerset Maugham Award. Er veröffentlichte zahlreiche Romane und erhielt zahlreiche internationale Preise. William Boyd lebt in London.


    Meine Meinung:
    Ruhelos ist ein ungewöhnlich erfolgreicher Roman, der mit großem Werbeaufwand und hoher Medienaufmerksamkeit den Weg in die Bestsellerlisten stürmte und somit der eigentliche große Durchbruch des schottischen Autors William Boyd.
    Der Grund für den großen Erfolg liegt im Sujet eines fast konventionellen Spionageromans mit einigen literarischen Ambitionen, die die sehr gute Lesbarkeit aber nie beeinträchtigen.


    Es gibt zwei Handlungsräume, die sich abwechseln.
    1976 liest die Ich-Erzählerin Ruth, die Tochter der Spionin, die Tagebuchaufzeichnungen ihrer Mutter. Der zweite Handlungsstrang beschreibt „Die Geschichte der Eva Delektorskaja“ von 1939 bis 1941 den Beginn, Ausbildung und Ablauf der Spionagetätigkeit.
    Weitere stilistische Brüche wären vorstellbar gewesen, der werbeträchtig genannte Ian McEwan hätte es getan. William Boyd verzichtet darauf, vielleicht um eine größere Leserschicht nicht zu verlieren.
    Aber literarisch ambitionierter als John LeCarre oder andere typische, konventionelle Agententhriller-Autoren ist William Boyd auf alle Fälle.
    Mein Vergleich zum Stil des Romans wäre am ehesten Der Unberührbare von John Banville.
    Spannung und literarische Ansprüche sind ähnlich angelegt.


    Ruhelos ist gleich bleibend spannend gehalten und unterhaltsam zu lesen. Am Ende gibt es dann doch noch eine Überraschung.


    Mich beeindrucken am Roman die atmosphärischen Beschreibungen der Schauplätze Paris, England und USA und die Zeiten vor dem Krieg und in den 70zigern.


    Deswegen ist der Roman für mich auch nicht in erster Linie ein Spionageroman und auch nicht nur ein leichter Unterhaltungs-Bestseller und ich habe die Kategorie Zeitgenössisches gewählt, aber darüber kann man natürlich streiten.


    Ruhelos ist ein Buch, dass der Leser nicht bereut und dass entgegen dem Titel in vollkommener Ruhe gelesen werden kann.


    Aufgrund einiger Zugeständnisse den Romans an eine große Leserschaft (über die ich aber insgeheim sehr froh bin, da ich das jetzt gerade gut gebrauchen konnte), wird ein Punkt bei der Wertung abgezogen und es bleiben 9 von 10 Punkten.

  • Danke Herr Palomar, Du hast mir bei meiner Entscheidung sehr geholfen.


    Schon länger habe ich diesen Roman im Visier, aber 22,00 Euro nur bei guten Feuilleton-Besprechungen ist halt auch ein Risiko.


    Wird jetzt fest im Budget eingeplant.


    LG Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Ich lese momentan dieses Buch und bin richtig begeistert. Es ist sehr, sehr spannend. Und ich merke, dass mich das Thema "Spionage während des Zweiten Weltkrieges" sehr interessiert. Bin richtig auf den Geschmack gekommen.


    Zitat

    Ruhelos ist gleich bleibend spannend gehalten und unterhaltsam zu lesen. Am Ende gibt es dann doch noch eine Überraschung.


    ich hab mir schon ein paar Gedanken gemacht (während dem Lesen und bevor ich diesen Thread entdeckt habe), was das für ne Überraschung sein konnte und bin schon gespannt, ob sich meine Erwartung in Wahrheit umschlagen wird.


    Zitat

    Ruhelos ist ein Buch, dass der Leser nicht bereut und dass entgegen dem Titel in vollkommener Ruhe gelesen werden kann.


    Dem kann ich absolut zustimmen. Das Buch sprüht, trotz des interessanten und spannenden Inhaltes eine gewissen Ruhe aus.

  • Der ausführlichen und sehr guten Rezension von Herrn Palomar kann man kaum etwas hinzufügen.


    Mir hat das Buch sehr, sehr gut gefallen. Ich fand das Thema Spionage während des zweiten Weltkrieges sehr interessant und es ist spannend geschrieben.


    Dazwischen immer wieder der Sprung ins Jahr 1976, in dem Ruth Gilmartin erst erfährt, wer ihre Mutter wirklich war und ist, kannte sie doch vorher eine scheinbar andere Frau.


    Dem Autor gelingt es den Spannungsbogen vom Anfang bis zum Ende zu halten und trotz des vielleicht etwas schwierigeren Themas liest es sich sehr flüssig.


    Für jeden, der sich für die Zeit ab 1939 interessiert, sicher eine lohnende Lektüre.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Die Beschreibung dieses Romans hat mich neugierig gemacht. Klingt, als wäre dies etwas für mich, habe das Buch gleich auf meine Wunschliste gesetzt...


    :wave Sam

  • Ich bin leider nicht so begeistert gewesen wie ihr anderen... der Anfang war klasse, aber nach dem ersten Drittel plätscherte die Handlung nur noch vor sich hin.


    Ich möchte nicht zuviel über den Inhalt verraten, deshalb an dieser Stelle nur ein Beispiel für das, was mich störte:


    Die Gegenwart (1976) erschien mir wie eine mögliche Bereicherung des Romans, um die unterschiedlichen Lebensweisen zu demonstrieren. Doch in Ruths Leben blieb mir alles zu oberflächlich. Sie versucht in Geschichte zu promovieren, aber als sie befürchtet, dass sich Ludger (der Bruder ihres ehemaligen Liebhabers) und seine Freundin Ilse in Oxford verstecken, weil sie der RAF angehören, denkt sie lediglich darüber nach, dass sie sich über das Thema informieren müsste - und dann: nichts! Bei solch einer Vermutung hätte ich sicher anders reagiert, zumal immer wieder betont wird, dass die Verhandlung gegen Baader etc. in allen Nachrichten waren.


    Insgesamt fand ich auch die ansteigende Spionagegeschichte absehbar. Hierbei muss ich allerdings gestehen, dass mir das in Spionagefilmen auch immer so geht (z. B. James Bond, LeCarré-Verfilmungen). Es ist wohl nicht mein Genre... Schade, ich hatte mir mehr erhofft.

  • ..ich habe das Buch nun auch durch - und vergebe 8 von 10 Punkten.


    Erstmals vielen Dank für die Rezi von Herrn Palomar - sehr umfassend und genau.


    Eigentlich ist Spionage auch nicht so mein Ding, aber der Spionageteil des Buches war besser, wie der Gegenwartspart.


    :wave

  • Eine Kollegin hat mir dieses Buch sehr empfohlen. Da ich ja hauptsächlich nur Krimis/Thriller lesen, habe ich etwas Angst vor solch literarischen Büchern. :yikes
    Doch sie hat es mir so ans Herz gelegt. Ich packe es mal auf die WL.

  • Vielen Dank für die schöne Rezension, Herr Palomar! :-)
    Und ab auf die WL.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Titel: Ruhelos
    OT: Restless
    Autor: William Boyd
    Übersetzt aus dem Englischen von Chris Hirte
    Verlag: Berliner Taschenbuch Verlag
    Erschienen als TB: Mai 2008
    Seitenzahl: 368
    ISBN-10: 3833305363
    ISBN-13: 978-3833305368
    Preis: 9.90 EUR


    Zum Inhalt dieses Buches sagt der Klappentext:
    Was geschieht, wenn sich alles, was man über seine Mutter zu wissen glaubte, plötzlich als Trugbild erweist? In dem langen heißen Sommer 1976 erfährt Ruth Gilmartin die ganze Wahrheit über ihre Mutter Sally: Dass sie Eva Delektorskaja heißt. Dass sie eine russische Emigrantin ist. Dass sie im Krieg als Spionin gearbeitet hat. Und dass ihr Leben bedroht ist. Ans Telefon geht sie nur nach vereinbartem Klingelsignal und das Haus verlässt sie im Rollstuhl, obwohl sie laufen kann. Wie gut können wir einen Menschen kennen?


    Der Autor:
    William Boyd, geboren 1952, wuchs in Ghana und Nigeria auf. Er studierte Romanistik, Anglistik und Philosophie in Nizza, Glasgow und Oxford, bevor er längere Zeit als Lektor und Drehbuchautor arbeitete. Der Autor lebt heute in London.


    Meine Meinung:
    Der Schlüsselsatz dieses Buches läuft uns bereits auf Seite 9 über den Weg: „Eines Tages kommt jemand und bringt mich um. Dann wird es dir leid tun.“ Dieser Satz beschreibt sehr treffend die Grundaussage dieses Buches. Es geht um Vertrauen, es geht darum, dass man eigentlich niemand vertrauen kann und das man genau genommen und auch die engsten Weggefährten überhaupt nicht kennt. William Boyd hat weitaus mehr als eine spannende Spionagegeschichte geschrieben. Er beschreibt Menschen, die sich oftmals nicht einmal mehr selbst trauen, die dermaßen verstrickt in ihren obskuren Vorstellungen sind, dass für rationale und vernünftige Handlungen oftmals einfach kein Platz mehr bleibt. Die Spionagegeschichte ist der Aufhänger für eine intensive Beschreibung menschlicher Irrungen und menschlichen Fehlverhaltens. William Boyd ist darüber hinaus ein blendender Erzähler der es fast spielend schafft, seine Leser an seine Bücher zu binden. Man schafft es kaum dieses Buch aus der Hand zu legen, denn dafür ist es einfach zu fesselnd. Boyd gelingt es meisterhaft eine Spannung zu schaffen, die nicht oberflächlich aufgesetzt ist, sondern die vielmehr in der Tiefe menschlichen Verhaltens zu suchen ist. Dieses Buch ist ganz sicher ein echtes Highlight der zeitgenössischen britischen Literatur. Und es macht neugierig auf weitere Boyd-Romane. In diesem Buch hat man als Leser zudem das Gefühl, dass vielleicht doch nicht alles der dichterischen Fantasie des Autors entspringt – man kann sich da schon vorstellen, dass vielleicht alles wirklich so oder ähnlich gewesen ist. Ein wunderbares Lesevergnügen – kann ohne Einschränkungen empfohlen werden.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe das Buch in der Hotelbücherei in Brasilien gefunden. Anders wäre ich wahrscheinlich nicht drauf aufmerksam geworden.


    Mir hat es auch gut gefallen, obwohl mich die Kriegszeit nicht sooo sehr interessiert. Aber es ging ja auch mehr um das Leben der Eva und das fand ich sehr interessant. Auch wie Ruth damit umgeht, dass sie ihre Mutter eigentlich gar nicht kennt, war sehr interessant.


    Ich komme auf 8 Punkte.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich

  • Es subt schon lange und nun habe ich es geschafft. Nach 2 fast durchlesenen Nächten, zum einen mangels Schlafbereitschaft zum anderen der Spannung geschuldet konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.


    Sowohl der Stil als auch Handlung und Personen waren stimmig. Man fühlte sich wirklich in die Zeit vor Pearl Harbour zurückversetzt.


    Dass Ruth zu Anfang etwas leichtgläubig gegenüber Ludger und Ilse war, hat sie ja mit der Durchsuchung des Raumes wett gemacht.


    Gut eingefangen auch die ständige Wachsamkeit der Mutter bis zum letzen Atemzug, der Titel "Ruhelos" passt da wunderbar.


    John le Carre´s Spionageromane waren da oft weniger flüssig zu lesen.


    8 Punkte