Die Bücherdiebin (The Book Thief) von Markus Zusak

  • Zitat

    Original von Beatrix
    In diesem Fall wurde die Zahl aber als FACT praesentiert in Fettdruck, eindeutig nicht vom Tod. Das sollte also nicht ironisch gemeint sein und kommt bei mir als Leser ganz sicherlich hier nicht so rueber. Sachlich ist es schlicht falsch, da 1933 ganz sicherlich nicht so viele Leute pro Hitler waren.


    Die fettgedruckten Passagen sind Erzählerkomentare und also alle dem Tod zuzordnen.


    Über den "Vorleser" sollten wir eingehender im dortigen Ordner diskutieren.

  • Bartlebooth ,


    In der deutschen Uebersetzung ist ja mit Absicht nicht diese Zahl uebernommen worden und der Wortlaut wurde veraendert. Ich bin da also nicht die einzige, die Zusaks Darstellung als Fehler interpretiert.


    @ Lesebiene
    genau das kreide ich doch Zusak an! Es ist ein Vorurteil den Deutschen gegenueber, dass alle dafuer gewesen seien. Dem war nicht so! Dass ist eben das Fatale einer Diktatur, dass diese funktionieren kann auch wenn bei weitem nicht alle im Volke dafuer sind :-(

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Bartlebooth ,
    In der deutschen Uebersetzung ist ja mit Absicht nicht diese Zahl uebernommen worden und der Wortlaut wurde veraendert. Ich bin da also nicht die einzige, die Zusaks Darstellung als Fehler interpretiert.


    Naja, über die Beweggründe zu der Änderung kann ich nichts sagen. Vielleicht möchte Mariechen dazu etwas sagen?
    Jedenfalls ändert das nichts daran, dass die fettgedruckten Zwischenkommentare allesamt vom Tod kommen, was ja das eigentliche Argument war. Du kannst das dann natürlich immer noch als "Fehler" interpretieren, musst aber doch zugeben, dass der Text auch etwas anderes hergibt. Vielleicht ist er am Ende doch komplexer als es den Anschein hat. ;-)

  • Bartlebooth


    du hast Recht, dass auch die fettgedruckten Absaetze aus Sicht des Todes geschrieben sind. Aber an dieser Stelle wird es wie eine Tatsache praesentiert und erweckt den Eindruck, dass es eine unumstoessliche Zahl ist. Ein relativ unwissender Leser wird es hoechstwahrscheinlich genauso lesen, wenn da von number crunching die Rede ist. Es wirkt einfach irrefuehrend - ob das mit Absicht vom Autor so gemeint war oder ob es ein ungeschickter Fehler war, kann ich nicht beurteilen. Ich finde die Stelle in jedem Falle schlecht geschrieben.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Hallo Beatrix,


    das ist ja auch vollkommen legitim. Ich nehme an, dass selbst, wenn du an dieser Stelle irgendwann zu dem Schluss kommen solltest, dass man sie durchaus anders denn als harte Fakteninformation lesen kann (und ich für meinen Teil denke, das sollte man), würde dich das Buch immer noch nicht überzeugen. Ich habe mich nur an der recht apodiktischen Formulierung "Obendrein ist in der englischen Ausgabe auch noch ein dicker Fehler drin" gestoßen und musste das einfach ein bisschen problematisieren.


    :-)

  • Das Buch hat bei mir ein Nachbeben hinterlassen, welches mich intensiv darüber hat nachdenken lässt, was in dem Buch passiert ist.


    Anfangs ist die Schreibweise ungewöhnlich, aber man gewöhnt sich ziemlich schnell an diese eigene Darstellung, die der Tod uns sehen lässt.
    Der Tod ist es müde Seelen karrenweise von der Erde zu geleiten und erzählt, erschöpft von sich selbst und der Arbeit in trockenen, schlichten Worten seine Erinnerungen.
    Diese Ironie unterstreicht die Stimmung des Buches, wobei es nie albern wirkt.


    Er ist eine Figur voller Leben, der sich an Farben erfreut, die wiederum von dem Tod (also von sich selber) verursacht werden.
    Seelen werden als Farben dargestellt, die von der Erde kommen und sich in die Arme des Todes begeben, der sie leitet.


    Die kleine Liesel soll mit ihrem Bruder zusammen zu Pflegeeltern kommen.
    Auf dem Hinweg beginnt sich aber schon der geplante Verlauf zu verändern und der Tod hat seinen ersten Auftritt, bei dem er auch direkt klar macht, was man von seiner Geschichte erwarten kann.


    Es wird vorausgeblickt, zurückgeblickt, alles miteinander verflochten und obendrei noch in der Weise des Todes erklärt.
    Immer wieder gibt es originelle Einschübe (ein - gemaltes - Buch in einem Buch; entstanden aus "Mein Kampf"), wie auch Raubzüge Liesels, die diese Streiche zusammen mit ihrem besten Freund Rudi durchführt. Dadurch wird dieses ernste Thema aufgelockert , wobei immer nur ein schmaler Grat zwischen lachen und weinen besteht.


    Der Nationalsozialismus, die Schlange, die alles einwickelt und vergiftet wird ebenso erklärt wie die Stellen in denen die Juden wie Sklaven durch die Straßen von Dörfern getrieben werden und dabei auch noch Zuschauer haben, die (fast) alle nur zuschauen.
    Simpel und leicht lesbar mit umso stärkerem Wert der Wortwahl und sprachlichen Kunststücke, die in diesem Buch vollbracht wurden, erinnert das Buch an eine Zeit, die wir uns gut hätten sparen können.


    Das Ende des Buches ist grausam und schön zugleich, wobei keines der beiden Ereignisse so wirklich überwiegen kann.



    Ich hatte Probleme in der Rezi auszudrücken, was ich beim Lesen gedacht und gefühlt habe, weil es doch sehr eigen ist. - Ich kann nur daran apperlieren, dass ihr dieses Buch kauft.
    Es ist ein kleiner Schatz, den man besitzen sollte.


    Fazit: Das Buch muss ich unbedings noch einmal als englische Ausgabe (also im Original) lesen. :anbet

  • Das Besondere an diesem Buch ist der Tod. Der dienstbare Geist, dem der Krieg viel zu viel Arbeit zumutet, der die Welt in Farben sieht und die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg begleitet. Bei seiner "Arbeit" lernt er Liesel kennen und erzählt deren traurige Geschichte, über ihre Gefühle für ihre Pflegefamilie, ihre Freunde und für Bücher.
    Ein emotionales Buch, für dessen Sprache man offen sein muss!

  • Am Sonntag habe ich das Buch auch zu Ende gelesen und auch ich muss zugeben, dass ich zum Schluss nur noch Rotz und Wasser geheult habe. :cry
    Für mich ist das Buch auf jeden Fall ein Monatshighlight. Über den Zweiten Weltkrieg habe ich schon so einiges gelesen, doch das Buch ist wirklich was ganz besonderes. Schön, dass man dieses Geschehen auch mal aus der Sicht des Todes sieht. Ganz ganz toll gemacht. Ich hätte es zu Beginn nicht gedacht, aber im Laufe der Geschichte habe ich den Tod richtig sympatisch gefunden und von Zeit zu Zeit Mitleid mit ihm gehabt. Eine ganz tolle und ausdrucksvolle Charaktere.
    So schnell werde ich das Buch nicht vergessen und deswegen bekommt das Buch von mir 10 von 10 Punkten.

    ... Liebe, die, weil sie nie genung bekommt,
    stets schon im Augenblick lebt, der noch kommen wird.
    Marcel Proust

  • Ich habe das Buch in den letzten drei Wochen gelesen und bin wirklich froh, dass ich mir dafür so viel Zeit gelassen habe. Die Thematik sollte man nicht übereilt lesen und das Buch muss wirklich genossen werden.
    Ich habe in einem anderen Thread bereits geschrieben, dass es sich bei diesem Buch wohl um das beste handelt, das ich je gelesen habe.
    Von der ersten Seite an hat mich das Buch fasziniert und habe direkt mit dem Tod hamoniert. Auch die anderen Charaktere haben mich alles ohne Ausnahme fasziniert und waren mir sehr sympatisch.
    Stellenweise ist mir die Geschichte doch sehr nahe gegangen, weil ich auch oft vor Augen hatte, dass viele dieser Dinge wirklich passiert sind und zwar nicht irgendwo, sondern in unserem Land.
    Erwähnt wurde ja unter anderem die Stadt Essen... jeden Tag wenn ich zur Uni fahre, muss ich in Essen umsteigen und es liegt dementsprechend alles nah bei mir.
    Ich kann dieses Buch absolut nur weiter empfehlen und kann mir kaum vorstellen, dass jemals ein Buch für mich an dieses heran kommen wird.

    :wave Gruß Dany


    Die Wirklichkeit ist etwas für Leute, die mit Büchern nicht zurechtkommen.
    Leserweisheit

  • Mensch, dieses Forum macht mich echt arm, habs mir eben bei Amazon bestellt.. :lache Nachdem ich hier ein paar Rezis gelesen habe, folgte die Leseprobe bei BOL und promt war ich begeistert.. Freue mich also schon sehr auf das Buch. :-)

  • @ Lucy: Glaub mir, das Buch lohnt sich zu 100%. Ich hätte es mir wohl auch nicht gekauft, aber mein Papa hat es mir dann einfach so geschenkt und ich bin wirklich froh, dass er das gemacht hat. Du kannst dich auf jeden Fall auf ein sehr schönes Lesevergnügen freuen.

    :wave Gruß Dany


    Die Wirklichkeit ist etwas für Leute, die mit Büchern nicht zurechtkommen.
    Leserweisheit

  • ich habe "Die Bücherdiebin" innerhalb von kurzer Zeit mehr oder weniger verschlungen, nachdem das Buch erst noch zwei Wochen nach der Ausleihe bei mir rumlag...


    Irgendwie Bedauer ich es jetzt, dass ich mir nicht mehr Zeit gelassen habe, denn es bringt einen wirklich zum Nachdenken. Aber auf jeden Fall weiß ich, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Dieses Buch ist eines der Besonderen, die mich auch zu Tränen gerührt haben, und es lohnt sich auf jeden Fall, es in seinem eigenen Besitz zu haben.

  • Zitat

    Original von Lucy1987
    Mensch, dieses Forum macht mich echt arm, habs mir eben bei Amazon bestellt.. :lache Nachdem ich hier ein paar Rezis gelesen habe, folgte die Leseprobe bei BOL und promt war ich begeistert.. Freue mich also schon sehr auf das Buch. :-)


    Also ich gehe immer in die Bücherei. Das ist auf jeden Fall günstiger. Und bei richtig guten Büchern gehe ich dann nachträglich nochmal in den Buchladen und lese es dann noch einmal als eigene Ausgabe.
    Das Buch liegt auch schon auf meinem SUB. Bin schon sehr gespannt.

  • ich bin auch gerade dabei "Die Bücherdiebin" zu lesen und es läßt mir keine Ruhe weiter zu lesen. Egal wo ich bin, dass Buch macht echt süchtig.

    Zitat

    Bücher haben Ehrgefühl, wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück. T.Fontane


    :lesend :fruehstueck
    Ich lese Thomas Mann; Der Zauberberg;

  • Ich habe zwei Anäufe gebraucht, um die Bücherdiebin zu lesen. Hätte meine Freundin beim zweiten Mal nicht gesagt, halte durch bis Seite 100, hätte ich es vermutlich wieder weg gelegt!


    Ich habe durchgehalten und wurde mit einem wirklich außergewöhnlichen Buch belohnt, mit einem sehr eigenen Schreibstil, der anfangs sehr gewöhnungsbedürftig ist, finde ich. Das Buch erzählt auf sehr ungewöhnliche Weise (Tod als Erzähler) eine Geschichte, die mich sehr berührt hat.


    Ich kann die Bücherdiebin jedem nur empfehlen, auch wenn es zu Anfang etwas ungewöhnlich ist.

    Liebe Grüße,
    glücksbärchi


    Mein Name bei BT: nutellamaus86



    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne" (Jean Paul) :lesend

  • Ein sehr schönes unterhaltsames Buch... In manchen Moment auch etwas traurig.... Markus Zusak erzählt eine Zeit die wir alle nicht vergessen sollten, das so eine Zeit schonmal da war und hoffentlich auch nie wieder kommt... Gerade in diesem Buch, bekommen wir die Emotionen des 2 Weltkriegs so richtig zu spüren und die Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander.....


    Dieses Buch bekommt von mir 10 von 10 Büchereulen....


    :winkt


    P.S. Freue mich auf weitere Werke von Markus Zusak...

  • OT: The Book Thief 2006


    Dieser Roman konnte nur ein Erfolg werden. Er enthält genau das, was das große Publikum braucht. Die Liste der Ingredienzien ist dreigeteilt.
    Abschnitt eins, ‚Action’ verzeichnet alles, was ein seit über fünfundzwanzig Jahren am Tropf vornehmlich US-amerikanischer gefühliger Unterhaltungsfilme hängendes kollektives Gedächtnis der westlichen Welt für Nazi-typisch hält.
    Abschnitt zwei, ‚Kultur’ kommt sozusagen in eigener Sache daher. Das Ganze ist ein Buch, also stellen wir diesem und den Wörtern einen Altar auf, lassen die Kerzen der geschriebenen Sprache erstrahlen und beten an die Macht des Wortes.
    Abschnitt drei ‚Gefühle’, enthält Liebe in Blockbuchstaben, gegliedert in die Untergruppen: a) Familie b) Freunde c) Mitmenschen. Mehr paßt nicht drauf, schon ‚Mitmenschen’ rutscht fast über den unteren Rand hinaus.


    Zusammengeheftet sind die Listen durch die Wahl einer unanfechtbaren Hauptfigur, ein kleines Mädchen, arm, Halbwaise, in einer Pflegefamilie lebend. Hungrig nach Liebe. Honig klebt gut.
    Damit uns das Ganze auch bestimmt nicht mehr aus den Fingern rutscht, stäubte man mediengerecht noch den Puderzucker einer angeblichen Verarbeitung angeblicher Kindheitserinnerungen der Eltern des australischen Autors darüber, der seither auch als Deutsch-Österreicher geführt wird. Nein, das ist nicht nationalbewußt und ganz sicher nicht rassistisch, es ist nur schön, wenn man weiß, daß man zusammengehört.


    Schon jetzt kann man das Buch eigentlich nur lieben. Dabei habe ich den Geniestreich noch gar nicht erwähnt. Das ist die Erzählerfigur. Mit ihr hat der Autor wirklich nach den Sternen gegriffen. Höher wäre es kaum noch gegangen. Die Geschichte erzählt uns nämlich der Tod in höchsteigener Person.
    Im Unterschied zu dem, was sonst auf den Listen steht, ist das für einmal originell und nicht ausgekaut wie alter Kaugummi.
    Allerdings stellt diese Entscheidung auch extrem hohe Ansprüche an die Fähigkeiten des Autors, handwerklich wie denkerisch.


    Zusak packt es voll Elan an. Der Einstieg ist aufregend, anregend. Geheimnisvoll, wie der Erzähler. Mit dem eigenen Sterben konfrontiert, kann man nur aufhorchen. Aber das erweist sich gleich darauf als bloßer Bühnentrick. Schließlich sterben nicht wir in diesem Moment, sondern ein Kind. Unsere Tränen sind gefordert, nicht unser Lebenshauch, wir können uns beruhigt zurücklehnen und die Show genießen. Fast sechshundert Seiten lang.


    Auf vielen Seiten geschieht nichts Überraschendes, nichts, das auch nur einmal von den Konventionen der Unterhaltung abweicht. Dafür sorgt schon der Autor und zwar gründlich. Den einzelnen Kapitel, den langen, den kurzen, selbst den allerkürzesten, sind meist Zusammenfassungen dessen vorangestellt, was eine erwartet. Man erfährt gleich, daß Rosa Hubermann eigentlich ein weiches Herz hat, inwieweit Rudis Vater Nazi ist oder nicht, oder daß Rudi Liesels bester Freund werden wird. Und selbstverständlich, wer leben und wer sterben wird, sitzen wir doch an der Seite des Tods. Im anschließenden Kapitel wird das dann ausgeführt und nicht selten am Ende noch einmal kommentiert.
    Damit auch ganz sicher kein Irrtum im Verständnis aufkommen kann, werden die Bestandteile, die dem Autor besonders wichtig erschienen erscheinen, im Verlauf der Gesamt - Handlung mehrfach wiederholt. Gleich, ob es ‚große’ Themen wie Liesels Schmerz über den Tod ihres Bruders ist, mittelgroße, wie das Akkordeon oder Rosas gutes Herz, oder Ausschmückungen wie Rudis exzentrische Haarfarbe und Hans Hubermanns schöne silbrige Augen. Der Autor servierte es einer mindestens ein halbes Dutzend Mal.
    Die Bedeutung wird einer beim Lesen aufgezwungen, es gibt keinen Raum, eigene Erfahrungen mit dem Text zu machen, eigenen Empfindungen nachzugehen. Man wird konditioniert, man soll auf Knopfdruck mit dem gewünschten Gefühl reagieren. Es ist eine selten brutale Lese - und Erwartungsleitung.


    Stilistisch setzt der Autor dafür Wortwiederholungen ein, die den Text sehr schnell einebnen und ihm jede Biegsamkeit nehmen. Alles ist glatt, alles ist vorhersehbar, da ist kein freies Spiel. Die Sprache ist metaphernreich, doch nur selten gelingen sie. Das eigentlich wunderschöne Spiel mit den Farben wird rasch künstlich und wirkt ab der zweiten Hälfte des Buchs in wachsendem Maß gekünstelt, so, wie man überhaupt mehr und mehr den Eindruck gewinnt, daß hier mit besonders gedrechselten Ausdrücken gezielt ‚Literatur’ erzeugt werden soll. Was schön sein könnte, wird schwülstig, bombastisch, aufgeblasen. Eine gewisse Verliebtheit in die eigene Formulierungskunst ist nicht von der Hand zu weisen, einer der Gründe, warum der text bei weitem zu lang geraten ist.
    Die kurzen Sätze sollen dem Ganzen zusätzlich die Wucht der Bedeutung verleihen, aber tatsächlich landen sie meist nur mit einem dumpfen Aufschlag auf dem Boden. Beim näheren Hinsehen fehlt ihnen vielfach jeglicher Aussagewert. Das zerstört teilweise selbst die wenigen gelungen Beschreibungen aus dem Alltag, die Kinderspiele, die Abenteuer von Liesel und Rudi, Hans Hubermanns Einsätze nach Bombenangriffen. Auch hier herrscht Gezwungenheit vor.
    Zu übersetzen war das sicher nur unter Einsatz aller Kräfte. Über weite Strecken ist es auch gut gelungen. Dennoch geht die Übersetzerin dem Autor hin und wieder auf den Leim und baut Gekünsteltes noch gekünstelter nach. Ab und zu rutschen Anglizismen in den Text. ‚Ihr Gesicht fiel.’ Ach, je. Wohin nur?
    Zuweilen gibt es Stolperer im Deutschen, die eine zum Lachen bringen. Würde Frau Lindner ihren Laden wirklich ‚soldatesk’ verwalten, wäre bald nicht mehr viel von ihm übrig.


    Mit dem Handlungsstrang um Max Vandenburg greift einer der Autor dann so richtig ans Herze. Max ist Jude, natürlich verstecken ihn Liesels gute, gute Pflegeeltern. Das reicht aber noch nicht, selbst diese platte Geschichte muß noch sentimental verklärt werden. Max ist nämlich nicht irgendeiner, nein, er ist der Sohn eines Kriegskameraden von Hans Hubermann aus dem ersten Weltkrieg, dem Hans verpflichtet ist. So herzensgut Zusak seinen Hans konstruiert hat, so verlangt er doch nicht von ihm, einen Wildfremden aufzunehmen. Wo kämen wir denn da hin?
    Vor lauter Romantisieren fällt der Autor hinter der Realität zurück, hinter den wahren Mut der vielen, die sich in jener Zeit Wildfremder annahmen, ohne zu fragen, wer bist du und wer war dein Vater. Nur aus Menschlichkeit, eben der, die der Autor hier mit Macht inszenieren will. Kunst gegen Leben, dabei bleiben beide auf der Strecke. Zurück bleibt der Kitsch.


    Mit Max und seinem Schicksal unterläuft dem Autor dann auch vor lauter Nazi-Schmierentheater ein Fehler, der einen Grundpfeiler seiner Handlung ins Wanken bringt. Der Fehler ist Dachau. Dachau war kein Lager, das vorrangig für Jüdinnen und Juden eingerichtet worden war. Der Name Dachau stand und steht bis heute für politische Gefangene, Kriegsgefangene, Soldaten wie ZivilistInnen, Homosexuelle und Sinti und Roma. Gerade Dachau ist ihre Gedenkstätte. Durch die Inanspruchnahme Dachaus fürs Max’ Leiden wird fatalerweise das Leid anderer Opfergruppen überdeckt. Das ist eben Unterhaltungsgemäßes Nazitum. Stromlinienförmig. Normiert.
    Dazu mag es noch interessieren, daß eben im Jahr 1942, dessen Herbst Zusak für Max’ Leidensweg wählt, der Vorgang nicht mehr möglich gewesen wäre. Anfang Oktober 1942 gab es einen Erlaß von Himmler, die Konzentrationslager in Deutschland ‚judenfrei’ zu machen, woraufhin auch die letzten InsassInnen in den Osten transportiert wurden.
    Liesels tief bewegender Auftritt bei der ‚Parade’ nach Dachau - Taschentuchquote drei von drei - hätte höchstens in umgekehrter Richtung stattfinden können. Aber das ist eigentlich gleichgültig, Hauptsache, wir haben schön geweint.


    Weinen dürfen wir auch über eine Bücherverbrennung zu einem Zeitpunkt, zu dem in Deutschland längst keine mehr stattfanden - Bücherverbrennungen gehören zur Umbruchszeit, nicht in Phasen, in denen ein Regime längst konsolidiert ist - und erschrecken offizielle Kommunistenbeschimpfung ausgerechnet dann, wenn Hitlerdeutschland und die Sowjetunion Verbündete sind, eine Phase, in der sich beide Seiten mit gegenseitigen Anschuldigungen äußerst zurückgehalten haben. Aber hier geht es ja nicht um den Nationalsozialismus und Realpolitik, hier geht es um das als offiziell gültig anerkannte Bild davon. Nein, ist das alles schrecklich.
    Ja, das ist es.


    Man kann noch viel sagen, über die wunderbar bildungsbürgerliche Hochschätzung des Buchs z.B. oder die Art Liesels, ihre Traumata via Bücherdiebstahl auszuleben, der immer gebilligt wird. Die Charakterisierung Ilsa Hermanns ist zu rührselig. Wer kann da widerstehen? Auch der Diebstahl von Lebensmitteln wird nicht kritisiert. Abgesehen von der erzieherisch etwas anfechtbaren Propagierung solcher Handlungsweisen in Streßsituationen, kam offenbar keine/r auf den Gedanken, daß die Diebstähle Liesels geliebten Max aufs Höchste gefährden. Sie hätte schließlich erwischt werden können.
    Aber das wird sie eben nicht, dafür sorgt der Autor, der auch in diesem Themenbereich dramaturgisch alles so hinbiegt, daß eine schöne Geschichte daraus wird. Daß dabei gelegentlich die Handlungslogik zu wünschen übrig läßt, ist nicht von Bedeutung. ‚Die Bücherdiebin’ ist ein Buch zum Fühlen, keins zum Denken. In dem Fall würde man es nämlich rasch abbrechen.


    Der Romantisierung fällt schließlich auch der Erzähler, der Tod, zum Opfer. Anfänglich noch fremd und fern, kommt er uns bald nahe. Eigentlich ist er ein ganz gemütlicher Zeitgenosse, stellt man im Lauf der vielen, vielen Seiten fest. Ist ja fast knuffig, wie er an Liesel hängt. Die Geschichte mit den Seelen ist dann wieder zum Heulen schön. Ihre Wirkung ist die von Trostschokolade. Es ist gar nicht so schlimm. Gleich, wie entsetzlich das Ende der Menschen ist, ist da noch einer, der sich über eine beugt, ihre Seele liebevoll herauslöst (auch wenn sie am Boden klebt) und davonträgt. Das ist auch der Krönung der Vater-Thematik, die das Buch entscheidend prägt. Am Ende beschützt uns eben doch einer. Väterlich.
    Der Tod ist nicht grausig und nicht zum Erschrecken, hat er doch nicht einmal ein Knochengesicht. Darauf legt er Wert. Er behauptet auszusehen wie ein Mensch. So beruhigend. Wie ein warmes Bad. So eingekuschelt liegen wir dann auch dem Tod in seinen aufnahmebereiten Armen, beruhigt entschweben wir in die Unendlichkeit.
    Das ist inszenierter Seelenkitsch, angesiedelt im nicht definierbaren Raum zwischen religiös und säkular, etwas für alle, für alle etwas, es ist nahezu unmöglich, daran Anstoß zu nehmen.
    Was für eine perfektionierte Geschichte.


    Insgesamt gesehen ist dieses Buch vor allem ein aufschlußreicher Gradmesser für den Bewußtseinszustand einer harmoniesüchtigen, nahezu geschichtslosen und rundum konventionellen bürgerlichen Gesellschaft der westlichen Welt Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts.


    Dieser Roman konnte nur ein Erfolg werden.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hallo magali,


    deine Kitschvorwürfe kann man so, wie sie da stehen, nicht entkräften. Deine inhaltlichen schon: Natürlich gab esim KZ Dachau auch jüdische Häftlinge und natürlich gab es auch 1942 noch Transporte nach Dachau. Ein Blick auf die Homepage der Gedenkstätte genügt.
    Bücherverbrennungen fanden in der medienwirksamen Form 1933 im Mai und imJuni statt. Aber auch später gab es immer wieder kleinere Verbrennungen aus unterschiedlichsten Anlässen.


    Deine Vermutung, man habe Markus Zusak eine fiktive Biographie verpasst, finde ich etwas konstruiert. Wie kommst du darauf? Nur weil das Buch zu perfekt ist?


    Ich breche gern noch einmal eine Lanze für das Buch und vor allem gegen die Nazikitschvorwürfe. Meiner Ansicht nach ist "Die Bücherdiebin" kein Buch über den Nationalsozialismus, wenigstens nicht in erster Linie. Der Terror der Diktatur tritt kaum einmal konkret zutage (der Marsch auf Dachau ist eine ziemliche Ausnahme), es ist ein Buch über den Alltag in einer angstbefrachteten Welt wie aus einer Theaterkulisse. Als der Vorhang bzw. die Bomben fallen, verschwindet auch die Welt.


    Herzlich, Bartlebooth.