Das ist nach Was denkst Du der zweite Roman der Leipziger Autorin. Wieder handelt sich um eine Ehegeschichte, aber das nur auf den ersten Blick. Valentina, die junge Ich-Erzählerin, lebt in einer blitzeblanken Neubausiedlung, in einem blitzeblanken Eigenheim, mit entsprechendem Garten und Ehemann. Was Haus und Garten betrifft, so ist das ‚blitzeblank’ zunächst noch Programm, es muß noch einiges an Arbeit hineingesteckt werden und an Geld, bis alles so perfekt ist, wie Ehemann Frank sich das vorstellt. Daß Valentina sich das genauso vorstellt, ist für ihn selbstverständlich. Für Valentina eigentlich auch, denn was gibt es Schöneres, als jung zu sein und sich gemeinsam ein ordentliches Leben aufzubauen? Von den Nachbarn zu hören, was für eine adrette Frau man sei und wann denn die Kinderchen kommen?
Doch in Valentina steckt ein ganz eigenartiger Zug Widerspenstigkeit und Neugier auf alles, was anders ist. So hat sie sich eine eigene Lieblingsbeschäftigung gesucht für die wenige Zeit, die ihr neben der Arbeit in einem Konstruktionsbüro und Haushalt und Garten bleibt: sie geht zu öffentliche ausgeschriebenen Haushaltsauflösungen. Das tut sie nicht unbedingt, um etwas zu kaufen von dem herrenlos gewordenen Gut, sondern um fremde Wohnungen zu besuchen und sich auf diese Weise, still und heimlich, Gedanken über das Leben anderer Menschen zu machen. Bei einer dieser Haushaltsauflösungen entdeckt sie eine kleine Truhe. Valentina kauft sie unbesehen. In der Truhe findet sich ein Bündel Papier, Liebesbriefe, wie sich herausstellt, aus dem zweiten Weltkrieg, von dem jungen Soldaten Georg an seine Verlobte Magda. Valentina ist fasziniert, mehr und mehr beschäftigt sie sich vor allem mit Georg.
Doch da ist auch der Alltag, Frank, der ewige Baumarkt-Besucher, das schwierige Nachbarsmädchen Natalie, eine Gothik-Anhängerin im Extremstadium der pubertären Exzentrik, die Schwiegereltern, der Haushalt. In die Routine, die immer bedrückender wird, platzt die Erkenntnis, daß Georg, der Absender der Briefe, gar nicht gestorben nicht, sondern in einem Altersheim in der Stadt lebt. Valentina macht sich umgehend auf den Weg zu ihm.
Georg wird der Katalysator werden, der Valentinas Leben von Grund auf ändert.
Mit knapp 200 Seiten ist das Buch relativ kurz, es ist gut formuliert, es ist voller interessanter Beobachtungen und Einsichten und hat gerade mit Natalie einen der wildesten literarischen Charaktere vorzuweisen, den ich seit langer Zeit außerhalb von Fantasy-Romanen getroffen habe.
Trotzdem war die Lektüre nicht ganz befriedigend. In letzter Konsequenz bleiben die Personen distanziert, auch die Ich-Erzählerin. Frank und seine Eltern sind reine Karikaturen. Sie verkämen zum Klischee, könnte die Autorin nicht so gut schreiben.
Eigentlich sind es zwei Geschichten, die man zu lesen bekommt, die Geschichte vom steten bürgerlichen Aufstieg der Nach-Wende-Zeit in den leisen Vorstadt-Hausfrauen-Frust und die Geschichte einer jungen Frau, die Kontakt sucht zur Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen und sich in die Zukunft aufmachen zu können. Es ist die zweite Geschichte, die sich immer wieder mehr oder weniger bruchstückhaft im Handlungsablauf zeigt, die die interessantere ist. Die Geschichte der Liebe, so schön sie auch dargestellt ist, ist im Grund nur Mittel zum Zweck.
Valentina als Hauptperson ist aber nicht kräftig genug konstruiert, um die beiden Geschichten - wenn man der Liebesgeschichte volles Recht zuerkennt, sind es drei - zusammenzuhalten. Vieles von dem, was sie sagt, muß man einfach hinnehmen, weil sie es sagt.
Daß die Geschichten nicht recht ineinandergefügt sind, merkt man auch stilistisch. Beschreibungen von Veränderungen im Denken Valentinas tauchen unvermittelt auf neben witzig-salopp formulierten Pointen zum braven Leben in einer Siedlung. Die einen aber hätten den Raum gebraucht, den die anderen mit dem Knall und Rauch einer Silvesterrakete besetzen, umgekehrt stören die tiefergehenden Überlegungen den Rhythmus der Pointen.
Die Lösung des Konflikts ist am ehesten als ‚märchenhaft’ zu beschreiben, auch wenn er durchaus vorkommen kann. Ich nehme aber an, daß es mehr Gründe gab, die weißen Federn über den Umschlag schweben zu lassen, als Natalies Dekorationskünste.
Ein letztes Wort noch zum ansonsten schönen Layout: die Entscheidung, die Seitenzahlen im oberen Drittel an den Seitenrand zu setzen und dann noch fettgedruckt, kam bei mir gar nicht gut an. Es stört den Lesefluß, weil es die Aufmerksamkeit auf die Seitenzahlen lenkt. Wer aber liest ein Buch der Seitenzahlen wegen?