Tender Bar, JR Moehringer

  • Dies ist eine durch und durch wahre Geschichte. :-)
    In Amerika nennt man die Biographien von Menschen, die nicht berühmt sind "Memories", es gibt kein deutsches Pendent dazu, unter anderem deshalb, hat sich der Fischer Verlag entschieden Tender Bar einen Roman zu nennen:



    Über den Autor:


    JR Moehringer ist 1966 in New York geboren worde, er studierte in Yale und ist Reporter bei der Los Angeles Times.
    2000 gewann er den Pulitzer Preis. Tender Bar ist sein erstes Buch.




    Über das Buch


    Wir lernen JR als kleinen Jungen kennen, als Sohn einer Mutter, die ihr Leben lang versucht, den Absprung zu schaffen und auf eigenen Beinen zu stehen, sich zu emanzipieren von dem so gehaßten Elternhaus.
    Jeder neu angenommene Job verspricht den Auszug aus dem "Scheißhaus", wie das Haus von JRs Großelten heißt, und wo JR und seine Mutter mit noch zwölf anderen völlig verkorksten Verwandten leben müssen.


    Das Haus, zu dem immer wieder alle Fäden zusammenlaufen, die berühmteste Bruchbude in Manhasset, New York gehört dem völlig narzistischen, verkorksten Großvater, der so geizig ist, daß er am liebsten die Streichhölzer spalten würde, um ja keinen Penny zuviel auszugeben.


    JR kennt seinen eigenen Vater, der sich strikt weigert, einen Cent Unterhalt zu bezahlen, nur als den berühmten Radiomoderator.
    Er sucht Nähe zu ihm, indem er die Radioprogramme durchforstet, immer auf der Such nach "der Stimme". Einen richtigen Vater findet er dabei nicht.


    Mittelpunkt des Viertels und Anziehungspunkt quer durch alle Schichten und ist das "Dickens", eine Bar die Vieles verspricht: Einen guten Drink, ein Essen, Gespräche, Gerüchte, Neuigkeiten aber auch Geborgenheit und Familie und für JR vor allem Eines: Männer und damit potentielle "Väter"


    Kein Wunder, dass JRs größter Wunsch die Aufnahme in die Gemeinschaft des "Dickens" ist.


    Von den skurrilen Figuren, die die Bar bevölkern lernt JR vieles: Mut, Selbstbewußtsein und Zuversicht. Hier kann er seiner Liebe zu Frank Sinatra frönen, in Ruhe einen Drink nehmen und seinen Lebensplan weiterentwickeln,
    denn er hat ein festes Ziel: Er will ein Stipendium für Yale und Schriftsteller werden.



    Meine Rezension


    Ich fand das Buch grandios. :-]
    Die Lebensgeschichte von JR fliegt an uns vorbei mit allen Höhen und Tiefen und einem gehörigen Anteil Witz. Und trotz einer leichten teilweise lapidaren Sprache hat Moehringer eine gute Portion Tiefgang versteckt.


    Ich habe das Buch verschlungen, verstört als ich bemerkte, dass JR erst unmerklich und dann immer zügiger in die Pubertät gekommen war und schließlich zu einem jungen Mann herangewachsen ist.


    Zu gerne hätte ich mit ihm noch weitere Abenteuer seiner Kindheit erlebt und mit ihm und der Belegschaft des Dickens am Strand gesessen und den Tag genossen. :-]


    Absolut lesenswerte Literatur.


    völlig begeisterte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

    Dieser Beitrag wurde bereits 6 Mal editiert, zuletzt von Elbereth ()

  • Vielen Dank, Elbereth, für diese Rezension! Das hört sich ja wirklich phantastisch an.


    Morgen im Zug werde ich die Leseprobe zu diesem Buch in der Märzausgabe von DB Mobil lesen.


    Dem Buch werde ich dann aber wohl nicht mehr lange widerstehen können. :-]

  • Danke schön, für die Rezension, Elbereth! :kiss


    Bei mir steht das Buch auch schon ganz oben auf der Wunschliste. Nach dieser Vorstellung werde ich es mir tatsächlich bald kaufen! :-)

  • Über das Buch steht glaube ich etwas in der aktuellen Ausgabe des Bücher Magazins. Da hat es bereits meine Neugier geweckt. Danke für die Rezi Elbereth. Ich setze es mal auf die Wunschliste :wave

    Auch aus Steinen,
    die dir in den Weg gelegt werden,
    kannst du etwas Schönes bauen

    Erich Kästner

  • Hallo Elbereth,


    toll, dass Du eine Rezension geschrieben hast - ich bin auch schon sehr gespannt auf die, die noch kommen. Mich hat das Buch nämlich gar nicht so vom Hocker gerissen. Gerade die Szenen in der Bar usw. haben mich eher gelangweilt. Und so richtig ist bei mir einfach nicht der Funke übergesprungen, was eigentlich dann die Kernaussage des Buches war. Klar, er hat sich gegen ein schwieriges Umfeld behauptet, aber das haben viele andere auch... Und der Schluss hat mich auch nicht so ganz überzeugt. Bin schon sehr gespannt, was die anderen sagen!

  • Zitat

    Original von Garfield
    .. was eigentlich dann die Kernaussage des Buches war. Klar, er hat sich gegen ein schwieriges Umfeld behauptet, aber das haben viele andere auch... Und der Schluss hat mich auch nicht so ganz überzeugt. Bin schon sehr gespannt, was die anderen sagen!


    Ich glaube nicht, dass es um irgendeine Kernaussage geht. :-)
    JR Moehringer hat einfach seine Biograhie geschrieben und wie so oft bei
    Biographien: Entweder man interessiert sich dafür oder eben nicht.


    Schade, dass Du es nicht mochtest, ich finde das Buch hat einen
    besonderen Charme :-]



    Charme Opfer Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Elbereth


    Danke für deine Rezi.


    Übrigens ist nicht nur vom Inhalt her gut, fand auch den Text-Format übersichtlich und sehr gut lesbar. (Spielt halt´ne Rolle für mich)


    Ich lese allgemein gerne Biographien und die hier hört sich richtig gut an, wandelt sofort auf meine Liste.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Ich hatte zunächst gedacht, dass das Buch von einem kleinen Jungen handelt, der quasi in einer Bar aufwächst, also bspw. jeden Tag zwischen den Barhockern spielt. Diese Befürchtung hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Als JR noch klein ist, geht es noch relativ wenig um die Bar. Sein Onkel Charles ist Barkeeper und er lernt einige Männer aus der Bar von weitem oder etwas näherem kennen, da sein Onkel und seine Kumpels ihn in den Sommerferien oft mit zum Strand nehmen. Erst später nimmt die Bar in seinem Leben einen sehr breiten Raum ein.


    Das Buch hat mir richtig gut gefallen. Es liest sich gut, interessant, mal lustig, mal traurig. Allerdings hätte ich gerne noch mehr darüber erfahren, wie es JR in den 1990er Jahren ergangen ist.


    Obwohl ich also finde, dass das Buch wirklich lesenswert ist, finde ich den "Hype" darum etwas übertrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es zum Buch des Jahres erklären würde (vielleicht kann ich im Dezember mehr dazu sagen...).


    Zwei Fragen habe ich noch dazu:
    1. JR legt großen Wert auf seinen Namen und dass die beiden Initialen ohne Punkte geschrieben werden. Mich wundert es deshalb, dass als Autor "J.R. Moehringer" angegeben ist. Wieso?
    2. Elbereth schreibt, dass man in Amerika die Biographien von Menschen, die nicht berühmt sind "Memories" nennt. Dort heißt es aber zu diesem Buch "Memoir" (klingt wohl so ähnlich wie Memoiren). Kann jemand noch etwas genaueres dazu sagen?

  • Übrigens für alle die Interesse daran haben: im aktuellen Bücher-Magazin gibt es das Hörbuch zu Tender Bar :-)

    Auch aus Steinen,
    die dir in den Weg gelegt werden,
    kannst du etwas Schönes bauen

    Erich Kästner

  • Ich zieh mir das Buch grad als Hörbuch rein und bin ziemlich begeistert davon.
    Der Autor ist ja noch relativ jung, wenn man bedenkt, dass er schon seine Lebensgeschichte aufschreibt, die ja noch lange nicht zu Ende ist.


    Bin bald durch damit und ich hätte auch gerne mehr über seine Zeit als Junge in der Bar und dieser "Gang" von seinem Onkel gehört...


    aber das Buch ist echt gelungen! :-)

    In tiefen, kalten, hohlen Räumen
    Wo Schatten sich mit Schatten paaren
    Wo alle Bücher Träume träumen
    Von Zeiten, als sie Bäume waren.......
    Dort ist's, wo jener Geist regiert
    Den man Schattenkönig nennt

  • Eine wirklich rührende Lebensgeschichte, nicht der erfolgreiche Journalist sondern ein Mensch wie Du oder Ich spielt hier die Hauptrolle. Häufiges Scheitern, Ernüchterndes und Desillusionierendes prägen die Geschichte von JR - ohne Punkt. Der Roman regt zum Nachdenken an. Wie kann eine Bar Vaterersatz sein und das Trinken wesentlicher Bestandteil des Lebens werden. Die Story hat Tiefe und oft konnte ich nachempfinden wie es JR ging, wie einsam er sich fühlte.
    Vor Tender Bar las ich " Die Unruhezone" ebenfalls ein memoir, des Autors Jonathan Franzen, der mich aber mit seinem Schreibstil nicht erreichen konnte.


    Absolut empfehlenswertes Buch!!

  • Ich wollte Tender Bar nach 44 Seiten wieder abbrechen, da mir das Buch am Anfang überhaupt nicht gefallen hatte aber ich las weiter und hatte auf einmal das halbe Buch gelesen ohne es überhaupt bemerkt zu haben. So konnte ich JR Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen mit verfolgen. Tender Bar hat mir wirklich außer ordentlich gut gefallen und ich froh es zu Ende gelesen zu haben.

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

  • Wie Taki schon sagte, kann ich den Hype um Tender Bar nicht ganz nachvollziehen. Streckenweise hat es imho enorme Länge und die "Männerthemen" Sport, Wetten ... gingen mir manchmal schon ganz schön auf den Geist.
    Aber Moehringers Stil mochte ich sehr gerne, auch die Figuren sind wunderbar gezeichnet mit all ihren Macken.

  • J.R. Moehringer wurde 1964 in New York geboren und hat einen Roman über J.R. Moehringer geschrieben. Man würde sich aber sehr viel vom Lesegenuss nehmen, wenn man darüber nachgrübelte, was denn nun autobiographisch oder was einfach nur erfunden wurde. Erzählt wird von einer Kindheit, von einer Jugend und von Teilen eines Erwachsenenlebens.

    Moehringer auf seinem Weg von der Schule, über Yale, mit Zwischenstation bei der New York Times hin zur Los Angeles Times – aber immer ist die Bar „Dickens“ mit allen ihren so unterschiedlichen Gästen Anlaufpunkt für Erfolge, Misserfolge, seelische Konflikte, Liebeskummer und der Ort den man aufsucht wenn man wirkliche Freunde braucht. Immer wird Moehringer auf seinem Lebensweg von seiner Mutter sanft aber nachdrücklich, und für ihn nicht immer wahrnehmbar in die richtige Richtung geschoben.


    Durchzogen wird das Buch von einer leisen Traurigkeit und Melancholie, gleitet aber nie ins Weinerliche oder Triviale ab. Moehringer versteht es, den Leser bei der Stange zu halten, obwohl er nichts anderes macht, als über ein ganz normales Leben zu erzählen. Er schafft es, diese Normalität so darzustellen, dass sie den Leser in ihren Bann zieht. Es wird sich zeigen, wie lange diese Buch eine Schublade in der ersten Reihe des Gedächtnisse behalten kann, es ist eben auch möglich, dass „Tender Bar“ nur zu einem Buch wird, das „man irgendwann mal gelesen“ hat. Wer neue Erkenntnisse sucht wird sie dort nicht finden, wer ein Buch sucht, dass die literarische Welt in ihren Grundfesten erschüttert, der sollte einfach an „Tender Bar“ vorbeigehen – wer aber nach einem Buch sucht, welches gute und anspruchsvolle Unterhaltung bietet, der wird die 19.90 EUR für dieses Buch sicher nicht bereuen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Mir hat "Tender Bar" gut gefallen. Vor allem hat es mir der kleine Junge JR angetan. Manchmal fand ich es einfach nur süß, was für Gedanken sich dieses Kind macht. Manchmal hat es mich aber auch etwas traurig gemacht zu lesen, mit welchen Problemen er sich auseinandersetzt, während er anderen Kindern beim Spielen zusieht.


    Das Buch erzählt einfach die Geschichte eines Jungen, der erwachsen wird. Es ist ganz bestimmt keine besondere Geschichte. Aber das ist die Raffinesse des Romans. Moehringer stellt das Leben dar, so wie es ist: So einfach und doch so furchtbar kompliziert. Worüber der eine lachen kann, kann der andere weinen.


    Eine Moral oder Kernaussage, die mich vom Hocker reisst, konnte ich nicht entdecken. Es ist eben kein Buch über das man nachgrübeln muss, oder das einem lange Zeit im Sinn bleibt. Aber das macht nichts. "Tender Bar" besitzt einfach einen netten Charme, der über jede einzelne Seite huscht.