Das stille Mädchen- Peter Hoeg

  • So ich versuche mich mal an dieser Rezi. :help


    Zehn Jahre war es still um Herrn Hoeg, zehn Jahre, seitdem
    er sich eine Fangemeinde mit "Fräulein Smillas Gespür für Schnee"
    geschaffen hat.


    Er hat diese zehn Jahre gebraucht um ein neues Buch zu
    schreiben:


    Autor: Peter Hoeg
    Titel: Das stille Mädchen
    Verlag: Hanser Literaturverlag
    Seiten: 464



    Das Buch


    Hauptprotagonist ist Kaspar Krone, hauptberuflich Clown; Sohn einer Seiltänzerin und bis in sein tiefstes Inneres ein überzeugtes Zirkuskind.
    Selbst als er der berühmteste Clown der Welt wird, weit gereist
    und von der Muse geküsst, bleibt sein Heim ein alter Wohnwagen.


    Als Kind hat Kaspar einen schrecklichen Unfall, der bleibende Schäden hinterlassen hat: Ein begnadetes, übersinnliches Gehör. Er kann die Melancholie oder Freude eines Menschen hören, wie andere Menschen Bach Kantaten, er hört, wie ein Gebäude benutzt wird, oder wie seine Stadt Kopenhagen schlafen geht.


    Nur eines fehlt in seinem perfekten Leben: Die Stille, nicht nur die akustische Stille, sondern die Innere, in sich selbst ruhende Stille. Und er sehnt sich ebensosehr nach einem bürgerlichen Leben zusammen mit Stine der Geologin und der einzigen Frau die er bedingunslos liebt.


    Eines Tages trifft er das hochbegabte Mädchen Klara Maria und dieses Kind hat, was er sein Leben lang suchte: Die absolute Stille, die sein ganzes Wesen mit Sehnsucht erfüllt. "Dein Talent im normalen Leben Zufriedenheit zu finden, ist nicht immens, aber Deine Sehnsucht", sagt Stine von ihm.


    Ein Jahr später wird Klara entführt und der glänzenden Metropole Kopenhagen ist Unerklärliches widerfahren. Ein rätselhaftes Erdbeben hat die Hauptstadt Dänemarks erschüttert. Weite Teile der Stadt stehen unter Wasser, Sperrgebiete, Pumpen dröhnen Nachts, Sondereinheiten ermitteln.
    Gerüchte fliegen umher, Tatsachen werden verschwiegen.


    Die Parallele zur geschundenen Stadt ist Kaspar, denn er ist inzwischen ein Wrack, heruntergekommen, völlig verarmt, verfolgt von den Steuerbehörden der ganzen Welt. Seine geliebte Stine hat ihn verlassen und arbeitet nun für einen Konzern der mit den geheimen Vorgängen in der Stadt zu tun hat.


    Als alle Fäden zusammenlaufen finden sich fünf Menschen ein, die sich bereit erklären hinabzusteigen, in die Dunkelheit um endlich aufzudecken, was so lange verborgen geblieben ist. Drei schwache Männer und zwei umso stärkere Frauen.



    Meine Rezension

    Au wei, habe ich gedacht! :-(
    Die ersten 60 Seiten webt Herr Hoeg lose Fäden die um mich herumgewirbelt sind, so dass ich keinen fassen konnte, geschweige denn eruieren, wo sie beginnen oder aufhören. :gruebel
    Vieles ist vage, wird angedeutet, scheint Bedeutungslos- also Zähne zusammenbeißen und sich konzentrieren :gruebel


    Auch die Mischung aus Realistischem und der übernatürlichen Fähigkeit Kaspars, sowie der Katastrophe, die der Stadt widerfahren ist, Bundesbehörden, der Musik (insbesondere die Bachs), das wilde Zirkusleben, die tiefe Liebe eines Menschen, die Verschwörungen von Staat und Industrie und der wirbelnde Kreisel der Kaspar immer weiter in den Abgrund zieht, ist mitreißend. :wow


    Wie bei "Smilla" sind auch hier die Grenzen zwischen Fantastischem
    und vermeintlicher Realität fließend.


    Ein spannendes, lesenswertes Buch, ich würde mich freuen, wenn ein
    paar Eulen es läsen und sich äußerten :grin


    puuhhh Grüße von Elbereth :wave



    edit: Layout ein wenig geändert

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

    Dieser Beitrag wurde bereits 4 Mal editiert, zuletzt von Elbereth ()

  • Klingt ja sehr interessant, ich wollte auch Fräulein Millas Gespür für Schnee schon länger lesen, aber irgendwie hab ichs nie geschafft. :lache Schade, naja vielleicht schaff ich es dieses Mal.


    Lg Kaede

    Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren.
    (A. Einstein)

  • Danke für diese Rezension. Ich habe mir das Buch in unserer Bibliothek reservieren lassen (dauert noch ein bißchen, bis ich dran bin). Freue mich schon drauf, obwohl ich "Smilla" auch nicht gelesen habe. Werde mir Zeit reservieren, damit ich es wirklich durchhalte!!
    ;-)

  • Ich fand schon das Smilla-Buch so abgrundtief schrecklich, daß ich seinerzeit beschlossen hatte, nieniemehr was von diesem Autor zu lesen. :grin Aber erstaunlicherweise gibt es doch etliche Leute, denen die Bücher Hoegs gefallen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Das hört sich wirklich sehr sehr interessant an...
    Ich habe hier auch schon gelesen, dass das Smilla-Buch nicht gut sein soll bzwl total langweilig. Daher bin ich etwas skeptisch...


    Ich habs mal auf meine Wunschliste gepackt, in der Hoffnung, es als Mängelexemplar oder so zu bekommen....

  • Zitat

    Original von Elbereth
    Ein spannendes, lesenswertes Buch, ich würde mich freuen, wenn ein
    paar Eulen es läsen und sich äußerten :grin


    puuhhh Grüße von Elbereth :wave


    Liebe Elbereth,


    vielen Dank für deine Buchbesprechung. Wahrlich kein einfaches Buch. Vielleicht können wir ja noch ein wenig darüber diskutieren. Ich habe es mal so zusammengefasst:


    Die Handlung:
    Die Geschichte spielt in Kopenhagen, zum einen ist sie ein Thriller mit fantastischen, mitunter gar märchenhaften Elementen, zum anderen geht es um die Sehnsucht eines Suchenden.


    „Niemand von uns ist gewillt, in sich selbst hineinzuhorchen, denn das was er hörte, wäre infernalisch.“ Aber genau das ist Kaspar Krones besondere Fähigkeit: Er hört übernatürlich, kann die Klangwelt des Einzelnen, eines Viertels, einer ganzen Stadt wahrnehmen.
    „Was hört man, wenn man in die Stadt lauscht?“
    Nur wenige Menschen wußten genug, um diese Frage zu stellen, [...] Die Frage kam aus dem tiefsten Innern. [...] „Angst“, sagte Kasper. „Dieselbe Angst wie bei jedem einzelnen Menschen. Aber malgenommen mit anderthalb Millionen.“
    Kein Wunder also, dass Kasper eine Sehnsucht plagt:
    „Den größten Teil meines Lebens“, sagte er, „war ich auf der Suche. Nach der Stille.“
    Das sagt Kaspar Krone, ehemaliger Clown – verfolgt und gejagt von der Steuerbehörde – der sein Geld nun als Musiktherapeut verdient.


    KlaraMaria, das stille Mädchen, wird ihm anvertraut und wieder entzogen.
    „Kann sein, daß wir im Grunde überhaupt nichts ausrichten können. Aber wenn man es aushalten soll, in seine eigene Machtlosigkeit zu schauen, dann muß man eines getan haben: sein Äußerstes.“
    Kaspar Krone nimmt mehr auf sich, als ein Mensch überhaupt durchstehen kann. Mit einem Bauchschuss, einer Schädelfraktur und weiteren Blessuren kämpft er weiter, gibt nie auf, um sein Versprechen zu halten: Dem Mädchen zu helfen.
    Die Menschen, die ihm bei der Suche nach dem Mädchen behilflich sind, sind schwer zu durchschauen – auf welcher Seite stehen sie? Scheinbar ebenso verfolgt wie er, entlarven sie sich als zum Teil als untereinander Verbündete. Wieder spielen Frauen, wie in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ die starken Rollen.
    Ein abgekartetes Spiel, in dem Kaspar sich verirrt und den Weg zum Ziel beinah nicht erreicht. Erst spät erkennt die Zusammenhänge.
    Der Weg zum Ziel führt auch über die Musik, die geliebte „Chaconne“ von Bach. Er spielt das Stück auf seiner Geige, konfrontiert sich in aussichtslosen Situationen mit seiner Vergangenheit, mit dem Tod der Mutter und begegnet sich selbst.
    So wundert es nicht, dass er letztlich aus den Irrungen und Wirrungen des Labyrinths den richtigen Weg zum Ziel findet. Der Weg ist eben das Ziel.


    Meine Meinung:
    Wenn man das Buch nach den ersten 40 Seiten nicht aus der Hand gelegt hat, weil die Handlungsstränge partout nicht zusammenfinden wollen, dann wird man belohnt.
    Wer einen spannenden Thriller herkömmlicher Art lesen möchte, der wird womöglich enttäuscht. Vielmehr ist das Hauptthema des Buches das Suchen und Finden, die Leidenschaft zur Musik Bachs nimmt einen großen Teil ein, auch das Religiöse spielt eine wichtige Rolle. Die philosophischen Einsprengsel machen das Buch zu einem Glanzstück der Gegenwartsliteratur. Ein lesenswertes Buch, für Hoeg-Fans allemal.
    Ein Satz aus Hoegs Buch passt gut auf die Situation, die sich beim Lesen dieses Buches einstellen mag:
    „Die ganze Zeit ahnt man das Wasser, die Quelle. Sehen tut man sie nie. Es ist eine Art spiritueller Striptease. Es soll den Suchenden verrückt machen [...]“.


    Beste Grüße
    Corinna

  • Cookie, schön dass es Dir gefallen hat!


    Es ist wirklich nicht das, was man erwartet (wobei es natürlich auch immer
    darauf ankommt was genau man erwartet :grin)


    winke Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Zitat

    Original von Elbereth
    Cookie, schön dass es Dir gefallen hat!
    Es ist wirklich nicht das, was man erwartet (wobei es natürlich auch immer
    darauf ankommt was genau man erwartet :grin)
    winke Grüße von Elbereth :wave


    Hallo Elbereth,


    wenn ich das so genau wüsste, was ich erwartet habe. Auf jeden Fall doch die vielen philosophischen Gedanken. Da kommt man nicht zu kurz, oder? Es gibt ganz wunderbare Passagen, finde ich. Z. B. wenn Hoeg die Beziehung Stines zu Kaspar beleuchtet und Stine sagen lässt: "Man erreicht einander nie." - Die beschriebene Einsamkeit, die eben auch in der Zweisamkeit präsent ist.


    Oder wie der Autor seinen eigenen Fast-Tod schildert, den Zustand zwischen Leben und Tod. Auch wie er die Beziehung zu seinem Vater darstellt und dessen Liebe zu der Ärztin Vivian, eine Liebe zwischen Alternden.


    Ich habe gestern mit einer ehemaligen Buchhändlerkollegin darüber diskutiert, was an Büchern wichtiger ist: Die Geschichte an sich oder die literarische Umsetzung. Das habe ich mich bei diesem Buch auch des Öfteren gefragt. Ich meine, hier ist es die literarische Umsetzung, eigentlich doch der Entwicklungsprozess des Kaspar Krone, der im Vodergrund steht. Nicht so sehr der kriminelle Hintergrund, der mir manchmal etwas verworren vorkam.
    Bin gespannt, ob du das ähnlich siehst.


    Beste Grüße
    Corinna

  • Ich habe es nicht auslesen können, es ging einfach nicht, obwohl ich dreimal neu begonnen habe (und beim dritten Mal auch schon fast die Hälfte gelesen hatte). Sowohl Smilla als auch Kasper Krone scheinen in einer für den Normalbürger unzugänglichen Sphäre zu schweben, als hätten sie eine Art höheres Wissen, an dem der Leser nicht teilhaben kann. Normalerweise nerven mich Erzähler nicht deshalb, weil sie mehr wissen als ich (im Gegenteil, das macht die Lektüre ja gerade interessant), aber Hoegs Hauptpersonen haben eine Ausstrahlung, die ich als arrogant empfinde. Bitte nehmt dies als persönliches Gefühl; mir ist klar, dass die meisten Hoeg-Leser das anders sehen, schließlich sind die Bücher ja nicht umsonst Bestseller. Aber ich werde in Zukunft einen Bogen um Bücher von Hoeg machen.


    Schönen Gruß von Zefira

  • Ich konnte auch nichts mit dem Buch anfangen und kam kaum über die ersten Seiten hinaus. Allerdings hat es mich nicht sonderlich gewundert, weil ich auch "Miss Smillas Gespür für Schnee" damals abgebrochen habe.
    Bei "Das stille Mädchen" hat mich der Klappentext dazu gebracht, noch einmal ein Buch von Peter Hoeg in die Hand zu nehmen, doch nachdem ich jetzt hier die Beschreibungen des weiteren Inhalts lese, bin ich mir sicher, daß dieser Autor und seine Bücher nichts für mich sind.

  • Ja, wie ich hier sehe und auch schon bei amazon in den Kindenrezensionen, scheint dieser Roman die Geister zu spalten.


    Mir hat dieses Buch nicht nur gefallen, es hat mich völlig in seinen Bann gezogen.
    Die Handlungen der Romanfiguren, die zugleich in der Realtität als auch in fantastischen Welten spielen, erinnerten mich in mancher Hinsicht an die Romane des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami - die ich auch sehr mag. Die Schönheit und Virtuosität der Sprache ist bei Hoeg jedoch viel individueller, reifer, virtuoser und eben "dänisch".
    Wie wohltuend, ein solches Buch zu lesen, dass sich so deutlich von der Amerikanisierung des Buchmarktes absetzt!


    Hoegs Sprache ist Musik in meinen Ohren, eine ganz besondere Musik...
    Der unvergleichlche Stil, in dem P. Hoeg schon immer erzählt, ist hier noch weiter ausgereift. Diese Art des Schreibens, das die LeserInnen in eine Art traumhafte Welt hineinzieht - in einen Fluss, der mal durch verträumt romantische Landschaften mäandert, dann durch stinkende unterirdische, hässliche Känale strömt, anderswo oberirdisch durch große Städte, hoch hinaufsprüht zu wundervollen Fontänen, Sonnenlicht auf glitzernden Wassertropfen, die Kindern ins Gesicht gesprüht werden, dann wieder das Dunkel der Nacht, das gebrochene Licht der Reflektionen von Lampenlicht im Wasser an einem Hafen, schließlich auch die Vermischung des Flusswassers mit dem salzigen Meereswasser... so empfinde ich Hoegs Sprache, seinen Stil, seine Romanwelten.
    Man sollte schon schwimmen können, am besten in die Rolle eine kleinen Fisches schlüpfen, dann wird man vom Strom mitgetragen.
    Die besondere Faszination des Unerklärlichen, das in diesem Buch eine große Rolle spielt, mag für manche und manchen Leser/in vielleicht beängstigend sein.


    Die überwiegende Mehrheiten der Kritiken, die ich bei amazon gelesen habe, beziehen sich auf solche Aspekte wie folgende: die Handlung sei verworren, das Ziel unklar, irgendwelche Szenen unrealistisch, der Clown "stehe belehrend daneben" und sage dem Leser, was er denken soll, der Schluss ließe vieles offen usw.
    Ich empfand diese Kritikpunkte als aus dem Zusammenhang gerissene Haarspaltereien, die auf eher praktisch denkende LeserInnen schließen lassen, die Bücher mögen, in denen alles schön übersichtlich und klar ist.
    Dieser Roman ist eher für solche Leser/innen interessant, die einen Hang zum Visionären haben und die Schönheit und Virtuosität der Sprache eines solchen Künstlers wie Peter Hoeg genießen können.


    Schlichtere Kost gibt es millionenfach auf dem Büchermarkt - solche großartigen und eigenwilligen Werke wie dieses Buch von Peter Hoeg nicht.


    "Das stille Mädchen" und "Die Kinder der Elefantenhüter" gehören aus meiner Sicht zu den besten Büchern überhaupt.


    10 Eulenpunkte von mir - und wenn ich könnte, gäbe ich 20.