Schreibwettbewerb März 2007 - Thema: "Strom"

  • Thema März 2007:


    "Strom"


    Vom 01. bis 20. März 2007 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb März 2007 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!


    Eine Bitte: Schickt uns Eure Beiträge als .doc oder .rtf und sendet sie uns als Anhang in einer Mail. Damit kommen dann auch Zeilenumbrüche, etc. richtig bei uns an. In Word könnt ihr dann auch die Rechtschreibhilfe nutzen und unter „Extras“ habt ihr die Möglichkeit „Wörter zählen“.


    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Tom


    Basti warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Dann hob er den Fuß, um zu prüfen, ob an seiner Sohle noch etwas zu sehen war. Natürlich durften wir nicht rauchen, wir waren ja erst dreizehn, und Bastis Vater schlug ihn sogar, wenn er nur zwei Minuten zu spät nach Hause kam.
    „Das ist doch gefährlich, oder?“
    Wir standen an den Gleisen der S-Bahn, die hier durch ein verwildertes Stück Wiese mit viel Gestrüpp führten. Es dämmerte bereits, aber die Stromschiene mit ihrer Holzummantelung war gut zu erkennen.
    Basti grinste nur.
    „Kann man dabei sterben?“
    Jetzt lachte Basti. „Keine Ahnung.“
    Er sah mich an. „Deine Mutter hat dir sicher erzählt, daß Kirschkerne, die man herunterschluckt, den Blinddarm verstopfen, oder?“
    Ich nickte. Außerdem Kaugummis und Hühnerknochen.
    „Das ist nämlich Unsinn.“
    „Und das hier?“ Ich zeigte auf die dunkelbraune Verkleidung der Stromschiene.
    „Das“, sagte er und nickte dabei langsam. „Vermutlich auch.“


    Endlich kam Kati, wegen der wir das alles machten, hatte Basti jedenfalls gesagt. Sie legte mir die Hand auf die Schulter, was seltsam kribbelte, und fragte ihn: „Und? Welche Sensation willst du mir zeigen?“
    Basti grinste und zog den Reißverschluß seiner Jeans herunter. Sogar im Dämmerlicht konnte ich sehen, wie Kati errötete. Sie nahm die Hand von meiner Schulter, drehte sich zur Seite und sagte: „Ich weiß, wie das aussieht. Eklig.“
    „Ich will dir nicht meinen Schniedel zeigen“, erklärte Basti. „Wir werden auf die Stromschiene pinkeln.“
    Kati atmete geräuschvoll ein und nahm die Hand vor den Mund. „Davon. Davon könnt ihr sterben.“
    Sie sah besorgt aus. Ich nickte.
    „Quatsch“, sagte Basti.
    „Doch.“
    „Quatsch.“
    Er überstieg vorsichtig die Stromschiene und stellte sich zwischen die Gleise, genau an der Stelle, an der ein Stück der Verkleidung fehlte.
    „Kommst du?“ fragte er mich. Ich sah Kati an, die langsam den Kopf schüttelte.
    „Feigling“, sagte Basti.
    Ich zuckte die Schultern, wobei ich so tat, als wäre es mir wirklich egal, und folgte ihm. Dann holten wir unsere Pimmel heraus. Ich zitterte.
    „Auf drei.“
    „Ich muß überhaupt nicht.“
    „Auf drei.“ Er grinste breit. „Eins. Zwei.“
    Kati hatte sich weggedreht.
    „DREI.“
    Unsere Strahlen trafen kurz nacheinander auf den abgescheuerten Stahl. Ich hatte absichtlich daneben gezielt und lenkte meine Pisse erst auf die Stromschiene, als ich sah, daß bei Basti nichts passierte. Ich hatte erwartet, daß es knallen und er zu Asche zerfallen würde, aber es geschah überhaupt nichts.
    Und offenbar bemerkte er meinen kleinen Betrug nicht.
    „Schau doch“, sagte er, aber Kati schüttelte den Kopf.


    Am nächsten Tag küßte mich Kati, vor allen Mitschülern, als wir uns auf dem Schulhof trafen.
    „Du bist ganz schön mutig“, sagte sie, und es klang stolz. Ich grinste, aber mein Gesicht brannte.
    Im Matheunterricht saß Basti neben mir.
    „So sind die Weiber“, sagte er. „Man muß ein bißchen zaubern, damit sie aufmerksam werden.“
    „Aber das war doch gefährlich.“
    „Nicht wirklich. Außerdem hatte ich es am Tag vorher ausprobiert.“
    „Warum?“ Ich war verblüfft.
    „Freunde tun so was füreinander.“
    Dann sah er mich an. „Du hättest nicht mogeln müssen.“

  • von Festus



    Mandy sackte zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte. Regungslos blieb sie liegen, ihre Gliedmaßen unnatürlich ineinander verschränkt, fast vollständig unter dem Stoff ihres roten Mantels begraben. Mark, der ihr wie an jedem Morgen auf dem Weg vom Shuttle-Terminal zum Büro-Komplex in einem sicheren Abstand folgte, sah die Masse unbeteiligt an ihr vorbeiziehen. Er selbst beschleunigte nicht etwa seinen Schritt, aber bei ihr dann schließlich angekommen hockte er sich neben den Farbklecks, holte ihren leblosen rechten Arm unter dem Stoff hervor, presste seinen Zeigefinger auf ihren und beide fingen an den Kuppen an rot zu leuchten. Schnittstelle auf Schnittstelle, spürte er wie sein Strom in sie floss und langsam ihre Körperfunktionen wiederherstellte. Ihre Glieder zuckten in ihre vorgesehenen Positionen zurück.


    „Mir war da nur kurz der Strom weggeblieben“, erinnerte sie sich später an ihre erste Begegnung. „Und mein Ersatz-Akku war auch alle“.


    Auf der After-Work-Party im Rot, Grün, Blau luden sich beide, vollkommen entkräftet, an der Bar mit Energie-Cocktails auf. Es ist kein Geheimnis, dass besondere Anstrengungen Endorphine freisetzen, die die Körperchemie und somit die Gefühle durcheinander bringen und so verliebten sie sich bei dieser Gelegenheit hoffnungslos ineinander. Mark und Mandy, das perfekte Paar, bestätigten ihre Kollegen später. Seit zwei Jahren arbeitete sie in einer Rechtsanwaltskanzlei in der zweiten Ebene der Büro-Anlage, er seit fünf Jahren bei einer Werbe-Agentur in unmittelbarer Nähe. Es bedurfte einer Ausnahmesituation wie dieser, um sie wie vorherbestimmt zusammen kommen zu lassen.


    Schnittstelle auf Schnittstelle, du hast doch auch damals schon nur an Sex gedacht. Gebe es zu!“


    Gestern war ihr Jahrestag gewesen. Auf dem Heimtrainer in die Pedalen tretend, schaute Mark immer wieder auf Mandys erschöpften, schlafenden Körper. Aus der Feder-Matratze führte ein Kabel zu einer selbst gebauten Konstruktion, die am Kopf des Bettes angebracht war. Eine Status-Anzeige leuchtete in einem satten grün. Inzwischen versuchten sie sogar die nachts aufgebrachte Energie wieder aufzufangen. In der vergangenen Nacht gleichten sich Energiegewinn und -verlust aus. Im Hintergrund lief der Fernseher. Geschönte Nachrichten, der Präsident mechanisch die Situation herunterspielend. Keine Erklärung der zunehmend und anhaltend auftretenden Energieausfälle. Kein Wort zu den Gerüchten von allgemeiner Energieknappheit und terroristischen Anschlägen auf Kraftwerke. Mark stieg vom Rad und verstaute den daran gerade noch verbundenen Akku zu den anderen in Mandys Rucksack.


    „Und so möchte ich meine Mitbürger auffordern wie immer pflichtbewusst ihren Tätigkeiten nachzugehen, um die allgemeine Produktivität nicht zu gefährden“, tönte es aus dem Fernseher.


    Der tägliche Weg zur Arbeit, den sie sich nun seit einem Jahr teilten, erschien immer unwirklicher. Leblose Menschenkörper an den Straßenrändern. Andere Menschen, die sich an den Körpern wie an Ersatzteillagern bedienten. Die leeren Akkus und die Augen waren besonders beliebt. Besonders erschreckend aber war diese scheinbare Normalität dieser Situation. Das waren keine Kollegen oder Nachbarn, die man dort liegen sah. Das war Elektro-Schrott.


    „Wir müssen los“, küsste er sie wach.


    Mit Rucksäcken voller Akkus bewaffnet machten sie sich auf ihren Weg aus der Stadt.

  • von Voltaire



    Er starrt auf die Uhr. Die Zeiger bedeuten ihm, dass ihm nur noch vier Minuten bleiben. Vier Minuten, bis sich sein Zellengitter öffnet.
    Er erinnert sich an Stephen Kings „The Green Mile“ – ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielt seine hängenden, kaum merkbar zitternden Mundwinkel. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass es auch für ihn diese „Grüne Meile“ geben würde.


    In vier Minuten wird auch er seinen letzten Gang antreten, wird er die letzten Schritte seines Lebens machen. Zwanzig Minuten vielleicht – die Begrenzung seiner Zukunft.


    Er hört die näher kommenden Schritte. Das Wort „Todesengel“ schießt ihm durch den Kopf. Die Haare hat man ihm bereits an den Stellen geschoren, wo man in ein paar Minuten die Elektroden anlegen wird. Schließlich sollte der Strom seinen Körper ohne Störungen erreichen.


    Der große Zeiger springt auf die Zwölf!
    Er hört das Geräusch von Schlüsseln, die im Schloss gedreht werden. Es ist soweit. Er weicht zurück bis an die Rückwand. Er zittert. Kalter Schweiß bildet sich auf seiner Stirn.


    Mit Lederbändern werden seine Arme auf dem Rücken fixiert.


    Sein Ohr hört die Worte, versteht sie aber nicht. Oft genug hat er seine Unschuld beteuert, oft genug hat ihm niemand zugehört, oft genug wollte ihm niemand zuhören.


    Er geht seinen letzten Gang. Seine Begleiter passen sich seinem Tempo an. Seine Schritte werden zögerlicher, er will aufrecht gehen, will verhindern, dass seine Knie nachgeben. Er will keine Schwäche zeigen. Nur warum sollte er in seinen letzten Momenten nicht schwach werden; seine Gedanken, ungeordnet und chaotisch.


    Die Tür zur Richtstätte steht offen. Er zuckt zusammen, als er das Monstrum, als er den „Stuhl“ sieht. Seine Begleiter schieben ihn mit sanftem Druck weiter. Er merkt, wie seine Beine versagen, man packt ihn unter den Achseln und schleift ihn zum Stuhl.


    Man drückt ihn auf den Sitz, nur verschwommen sieht er die Zuschauertribüne hinter der Glasscheibe. Zuschauer, die ihm beim Sterben zuschauen werden – die, wenn er nicht mehr atmet, wieder ihrer Wege gehen werden.


    Man schnallt ihn fest, die Kontakte werden befestigt. Jegliche Bewegungsfreiheit ist ihm genommen. Man verbindet ihm die Augen, nachdem das Urteil ein weiteres Mal verlesen wurde.


    Er hört, wie die Tür verschlossen wird. Er verkrampft. Er zerrt an den Lederfesseln. Gleich wird der Strom durch seinen Körper jagen, gleich wird er die Antwort auf alle Fragen wissen. Nur noch Gedankenfragmente rasen durch seinen Schädel.


    Er hört, wie der Schalter umgelegt wird – der Strom durchfährt seinen Körper, die Intensität raubt ihm das fast Bewusstsein, das letzte, was er noch hört, bevor er das Bewusstsein ganz verliert, sind die hektisch herausgeschrienen Worte:
    „Aufschub! Die Hinrichtung ist ausgesetzt!“

  • von Sonnenblume88



    „Siehst du die schwarzen Seile dort am Himmel?“
    Der Mann zeigt mit zittriger Hand gen Himmel. Neben ihm steht ein kleines Mädchen, das einen Teddybären fest umklammert in seinem Arm hält.
    „Wenn ich die berühre, dann komme ich in den Himmel.“
    „Zu Mama?“ Das kleine Mädchen schaut ihn fragend an.
    „Ja. Zu Mama.“ Der Mann schluckt und schaut zum Himmel, er sieht die Wolken an sich vorbeiziehen. In Gedanken sein Leben. Wie er sie kennen gelernt hat, der erste Kuss, seine erste große Liebe. Er schließt die Augen und sieht sie vor sich, spürt ihren Körper und die davon ausgehende Wärme, ihre weichen Lippen, die die seinen sanft umschließen. Er glaubt den Duft ihrer Haare riechen zu können. Er lächelt, beinahe gleichzeitig jedoch zucken seine Mundwinkel und eine Träne rollt seine Wange hinunter. Er fasst das kleine Mädchen an der Hand.
    „Mein Sternchen, ich geh jetzt zu Mama.“
    „Und ich?“ Erwartungsvoll schaut ihn das Mädchen an. „Ich will mit.“
    „Du bist doch unser Sternchen. Du bist immer bei mir und Mama. Du bist unser Sternchen am Himmel. Und wir sind auch im Himmel. So bist du immer bei uns und wir immer bei dir.“
    Der Mann kniet neben das Mädchen und umarmt es. Er schließt die Augen und sieht in Gedanken seine Frau vor sich, wie sie lächelt und ihre Lippen die Worte „Ich liebe dich“ formen. Er weint leise und spürt wie seine Beine zittern.
    Er wischt sich die Tränen vom Gesicht, sie soll ihn nicht weinen sehen.
    „Mein Sternchen, du gehst jetzt zur Tante, ok? Du kennst doch den Weg. Ich habe ihn dir oft gezeigt. Zur Tante.“
    „Ja.“ Das Mädchen nickt. „Gibt es dort Kuchen?“
    „Natürlich.“ Der Mann lächelt kurz. Wie konnte sie jetzt an Kuchen denken?
    „Und vergiss nie, wir sind alle vereint im Himmel. Wenn du abends zum Himmel schaust, siehst du dort ein besonders helles Sternchen. Das bist du. Dann kannst du mit uns reden.“
    Das Mädchen nickt.
    „Geh jetzt. Machs gut. Lebe wohl, mein Sternchen.“
    Er umarmt das Mädchen erneut. Dann dreht es sich um und geht die Wiese entlang in Richtung der Straße, in der seine Schwester wohnt. Ein kleines, blondes Mädchen in einem weißen Baumwollkleid, in seiner Hand ein Teddybär. Der Mann schluchzt, er spürt wie ihn ein Übermaß an Trauer überwältigt, er wankt und fällt zu Boden, schluchzt laut auf und stößt einen Schrei der Verzweiflung aus. Zitternd steht er auf und geht langsamen, aber sicheren Schrittes auf die Hochspannungsleitung zu. Als er dort angekommen ist dreht er sich nochmals um. Verschwommen sieht er eine kleine Gestalt in einem weißen Baumwollkleid die Wiese entlang gehen.
    „Lebe wohl, mein Sternchen. Ich liebe dich.“
    Dann klettert er die Hochspannungsleitung hinauf.

  • von Faraday



    Langsam wanderte sie durch die Strassen. Ihr Blick blieb an den hell erleuchteten Fenstern hängen. „Sind da gerade Menschen am Abendessen?“, dachte sie. Hier, zwei schemenhafte Schatten, „ein Ehepaar, vielleicht mit Kindern?“. Bedrückt wandte sie sich ab. Huschte von Schatten zu Schatten und mied die hellen Lichtkreise die die Strassenlaternen warfen.
    „Soll ich ihn noch schnell besuchen?“ fragte sie sich. Ist ja nur ein kurzer Umweg. Schweigend lief sie weiter. Als sie an das grosse Tor kam, öffnete sie es vorsichtig, um ein Quietschen zu vermeiden.
    Den Weg zu ihm kannte sie auswendig und lief schnell durch die Reihen, ohne nach links oder rechts zu schauen. Es machte sie immer traurig hierher zu kommen. Da war er. Sie kramte in ihrer Handtasche, ja da war tatsächlich noch eine, die letzte. Mit zitternden Fingern stellte sie die Kerze ab und zündete sie mit einem Streichholz an. Flackernde Schatten huschten über den Grabstein.
    Sie wandte sich ab und lief schnell nach Hause.
    In ihrer Wohnung schloss sie die Tür hinter sich und lief über den dunklen Flur ins Badezimmer. Kurz tippte sie auf den Lichtschalter und machte ihn nach dem ersten aufflackern wieder aus. Sie liess die Wanne voll laufen und zog sich in der Dunkelheit aus. Langsam liess sie sich in das warme Wasser hinab gleiten.
    „Jetzt bin ich gleich bei Dir“ dachte sie und schaltete den Föhn an den sie in der rechten Hand hielt. Mit einem Lächeln auf den Lippen liess sie die Hand sinken.

  • von churchill



    Gewunden, verschlungen die Wege,
    zum Leben gebraucht und genommen,
    gewaltig, gefährdend und tötend.
    Welch brüchige Naht klarer Grenze.
    Im Fluss ist das Gute, das Böse,
    und stumm schaut der Strom die Geschichte.


    Von Kelten zum Kultort erhoben,
    vom Weltreich als Lager erkoren,
    gesegnet mit Wein und mit Waffen,
    zerstört und erbaut zur Zerstörung,
    von Bischöfen freudig erobert
    durch Fähren und Münzen und Zölle.


    Der Prachtbau in reiner Romanik,
    die Kaiser so tot, so lebendig,
    das Zentrum der Welt, hundert Jahre.
    Von hier aus der Gang nach Canossa.
    Ein Mönch ruft den König zum Kreuzzug.
    Ein Wasser zum Taufen, Ersaufen.


    Bei Reichstagen streiten die Fürsten
    um Glauben, Gewissen, Gehorsam,
    die Stadt dreht vom Bischof zu Luther.
    Die Wiege des Protestantismus
    durch Schweden besetzt und Franzosen,
    und Hunger bleibt, Seuchen und Schulden.


    Vom König der Sonne kommt Feuer,
    das Heilige brennt bis zum Ufer.
    Barock wird gebaut und erneuert.
    Es treffen sich Zar, Kaiser, König
    für Stunden noch einmal im Zentrum.
    Dann straffen die Bayern die Zügel.


    Die Schlingen des Stroms sind vergangen,
    Begradigung heißt die Devise,
    und wieder regieren Franzosen.
    Doch naht schon die braune Verfärbung,
    bevor endlich Frieden gefunden.
    Heut queren zwei Brücken das Wasser.


    Und Kinder stehn lachend am Ufer,
    im Rücken den Wind der Geschichte,
    vor Augen den Zeugen, den stummen.
    Die Flasche hinein in die Strömung
    voll Hoffnung, ein Gruß möge folgen
    aus Bingen, aus Köln oder Holland.

  • von Sinela



    Von einem leisen schwirren begleitet schoss der Pfeil durch das Unterholz des Waldes. Von einem kleinen Ast abgelenkt blieb er neben dem Hasen, der daraufhin aufgeschreckt das Weite suchte, im Boden stecken. Kleiner Falke stiegen Tränen der Enttäuschung in die Augen. Seit Tagen hatte er kaum etwas gegessen. Auch seine Familie, sein ganzes Volk, hungerte. Die Jagd im Herbst war schlecht gewesen und der Winter lang und extrem kalt. Der Schnee schmolz erst jetzt, Mitte des Monats des sprießenden Grases. Viele Sonnen später als normalerweise. Zaghaft wagte sich zwar an einigen geschützten Stellen das erste saftige Grün hervor, aber noch schien der Frühling weit entfernt.


    Missmutig ging der Junge zwischen den Bäumen hindurch, auf der Suche nach jagdbarem Wild. Plötzlich hielt er inne. Ein dumpfes Grollen schwang durch die Luft, die Erde schien zu vibrieren. Mit schnellen Schritten erreichte er den Waldrand. Was er sah, ließ ihn die Luft anhalten: Ein breiter Strom brauner Tiere ergoss sich über die Hügelkuppe gegenüber. Mächtige Leiber wogten hin und her wie Wellen auf dem Meer. „Büffel!“, schrie es im Kopf des Indianers, aber er brachte vor Freude keinen Ton heraus. Sie waren gerettet! Das Gespenst des Hungers würde sie verlassen!


    Er rannte ins Dorf, das ein paar Meilen entfernt an einem kleinen Flusslauf stand. „Büffel, Büffel, eine große Herde!“, rief er in einem fort. Frauen ließen ihre Arbeit liegen, Kinder hörten auf zu spielen, auch die Männer unterbrachen ihre Tätigkeiten. Kleiner Falke blieb vor dem Häuptling, der sein Tipi verlassen hatte, stehen. Seit Atem flog, seine Beine zitterten von seinem schnellen Lauf. „Büffel! Ich habe Büffel gesehen! Eine große Herde! Sie ziehen in Richtung Biberfluss.“ „Bist du dir ganz sicher? Es war keine Hungerphantasie?“ „Nein! Ich habe sie wirklich gesehen!“, entgegnete Kleiner Falke mit fester Stimme. „Gut. Dann wollen wir heute Abend tanzen und für morgen um eine gute Jagd bitten.“


    Riesengroße dunkle Hügel lagen über die Talsenke verstreut. Pfeile und Lanzen ragten aus den Körpern. Nachdem die Männer die noch warme Leber der Büffel gegessen und auch der Rest des Stammes den ersten nagenden Hunger gestillt hatte, begannen die Frauen den Tieren das Fell abzuziehen, um danach das Fleisch zu zerteilen und alles auf den mitgebrachten Schleppbahren zu verstauen. Stolz saß Kleiner Falke auf seinem gescheckten Pony und beobachtete das rege Treiben. Mit nur einem Pfeil hatte er den ersten Büffel seines Lebens erlegt. Zusammen mit den anderen Männern war er am Morgen der Spur der Herde gefolgt. Wie ein breiter Strom hatten die zahlreichen Hufspuren das Gras der Prärie durchzogen. Nur dass dieser Strom kein Wasser führte, sondern ihr Überleben sichern würde. Die Büffel gaben ihnen nicht nur Fleisch, sondern auch Felle für Kleidung und ihre Zelte, Sehnen zum nähen, Schilde für die Krieger, Kochtöpfe und vieles mehr. Und er hatte die Büffel nicht nur entdeckt, sondern für seine Familie auch eine Kuh erlegt. Er war dadurch ein wichtiger Teil seines Volkes geworden. Er war nun ein Mann und kein Junge mehr.

  • von Ida



    Sie räumte die Küche auf und dachte darüber nach, was sie mit diesem Samstagabend anfangen konnte. Ihre Freundin hatte die Verabredung abgesagt. Wahrscheinlich würde sie es sich allein gemütlich machen, lesen oder sich einen romantischen Film mit Happy End ansehen. Marc und Tom würden das Wochenende bei ihrem Vater verbringen.
    „Mama, wo bleibt denn Papa?“ Marc trug seinen kleinen bunten Rucksack mit dem Stoffclown schon auf dem Rücken.
    „Ja, wann holt er uns endlich ab?“, fragte Tom. Er hatte sein Köfferchen im Flur bereitgestellt.
    Sie schaute zum Fenster hinaus. Es schneite noch immer. Große Flocken tanzten im Licht der Straßenlampe. Ihr Auto konnte man unter der Schneehaube nur noch erahnen, obwohl es erst seit wenigen Stunden vor dem Haus stand. Der Weg, den sie von der Haustür bis zur Straße frei geschippt hatte, war schon nicht mehr zu sehen.
    „Bei dem vielen Schnee braucht Papa ein bisschen länger, bis er hier ist“, sagte sie. „Er ist bestimmt gleich da!“
    Plötzlich flackerte das Licht ein paar Mal kurz auf. Dann ging es aus. Es war vollständig dunkel. Und still. Auch die Straßenlampe war aus.
    „Mama! Was ist los?“
    „Bleibt, wo ihr seid! Der Strom ist ausgefallen! Das dauert sicher nur einen Moment!“
    Doch es blieb dunkel. Marc begann zu weinen. Sie tastete sich zu ihm, nahm ihn in den Arm und wiegte ihn. „Habt keine Angst. Ich hole eine Kerze!“
    Kurze Zeit später saßen sie bei Kerzenschein am Wohnzimmertisch.
    „Habt ihr Hunger? Ich weiß nicht, ob es noch mit dem Pizzaessen klappt, das Papa euch versprochen hat. Vielleicht kann er gar nicht kommen! Ich mache uns erst einmal ein paar Brote. Dann sehen wir weiter.“
    „Ich will aber Pizza!“
    „Tom, das geht nicht! Wie sollen wir denn ohne Strom eine Pizza backen?“
    „Und ich will zu Papa! Ruf Papa an und sag er soll kommen!“
    Anrufen! Doch der Akku ihres Handys war fast leer. In den Radionachrichten wurde gemeldet, dass in der ganzen Region der Strom ausgefallen war, Dauer unbekannt. Zum Glück lief das Küchenradio mit Batterie!
    Sie zeigte den Kindern, wie man mit den Händen Schattenspiele machen konnte und machte belegte Brote, während die Jungen das neue Spiel ausprobierten. Verdammt! Sie war auf eine solche Situation nicht vorbereitet! Bald würde es kalt werden, weil die Gasheizung und elektrisch gezündet wurde. Kein warmes Wasser, kein heißer Tee ...
    Es klopfte an der Haustür. Die Kinder sprangen auf und rannten zur Tür und rissen sie auf.
    „Papa!“
    „Hallo! Tut mir leid, dass ich so spät bin! Hier kann kein Auto mehr fahren! Es ist wie am Nordpol!“ Er schüttelte sich die Schneeflocken aus dem Haar. „Darf ich reinkommen?“
    Sie zögerte kurz. Dann nickte sie.
    „Schaut, was ich mitgebracht habe! Einen Benzinkocher, Kerzen und Schlafsäcke! Wir machen Camping im Wohnzimmer!“
    „Oh ja!“, riefen die Kinder begeistert.
    Später, nachdem sie Geschichten erzählt und Ratespiele gespielt hatten und die Kinder eingeschlafen waren, saßen der Mann und die Frau bei Kerzenlicht still beieinander, und es war wieder ein wenig wie früher. Warm und weich.

  • von WilmaWattwurm



    Zu welchem Zeitpunkt genau es angefangen hatte, konnte Frau Hinkelhuber nicht mehr mit Gewißheit sagen. Irgendwann war es ganz einfach da.


    Es kam aus der Steckdose neben der Frisierkommode. Erst ein Brummen, ein Knistern, das immer aufdringlicher wurde, sich allmählich zu einzelnen Tönen kristallisierte, zu einer Stimme, flüsternd, kaum zu verstehen. Aber die paar Wortbrocken, die sie verstand und der ganze Tonfall ließ sie zusammenzucken und bis in die grauen Haarwurzeln erröten.
    Beleidigend, vulgär, schockierend. Sie, die ihr ganzes Leben lang nie derlei Vokabular gedacht, geschweige denn ausgesprochen hatte, wurde nun attackiert von einem Schwall der unanständigsten, schamlosesten, abartigsten Worte.
    Kein Zweifel möglich, da war jemand in ihrer Steckdose.


    Sie hielt sich die Ohren zu, versuchte es mit Wachsstöpseln, aber die Tiraden wurde immer lauter.


    Auch die Steckdose zukleben hatte keinen Effekt. Fast ein ganze Rolle Leukoplast ging drauf, aber die Stimme schrie jetzt, um dennoch gehört zu werden.


    ’Ich muß die Löcher mit einem Stecker blockieren’, dachte Frau Hinkelhuber mit ihrer Weiheit am Ende und schleppte die Nachttischlampe auf die Kommode. Doch als sie das Licht anknipste, zersprang die Glühbirne mit einem lauten Knall. Sie erschrak so sehr, daß sie sich zwei Tage nicht mehr in ihr Schlafzimmer traute und auf der Wohnzimmercouch übernachtete.
    Jetzt war kein Zweifel mehr möglich, sie wußte, was das bedeutete: Sie hatte sich einen Steckdosenteufel eingefangen.


    Der Hausmeister kam. Finden konnte er jedoch nichts.
    „Oma“, sagte er, „die Steckdose ist in Ordnung, da ist nur Strom drin“.
    Frau Hinkelhuber haßte es, wenn man sie Oma nannte und wie mit einem Kleinkind zu ihr sprach. Dabei hatte sie ihm nicht einmal von dem Teufel erzählt; sie hatte nur die komischen Geräusche erwähnt.


    Die rettende Idee kam ihr, als sie auf dem Nachhauseweg vom Supermarkt den Hausmeister im Vorgarten mit einem Schlauch beschäftigt sah. Auf ihr Fragen erfuhr sie, daß eine Ameisenplage herrschte, die er mit heißem Wasser bekämpfte.


    Das war es! Genial! Wenn ein kräftiger Wasserstrahl tausende Ameisen vernichten konnte, war er sicherlich auch imstande einen einzigen kleinen Teufel unschädlich zu machen.
    Und sie erinnerte sich an de Wasserschlauch, den Herr Hinkelhuber – Gott hab’ ihn selig - immer für den Wintergarten benutzt hatte. Der mußte noch irgendwo in der Rumpelkammer liegen.
    Sie sah es schon vor sich: Wenn sie das eine Steckdosenloch mit dem Daumen zuhielt, oder besser noch mit einem Schraubenzieher, und auf das andere Loch den Wasserstrahl richtete, konnte der Teufel nicht entwischen und würde jämmerlich ertrinken.
    Im Geiste klopfte sie sich auf die Schulter für diesen großartigen Einfall und ein schulmädchenhaftes Kichern entsprang ihrer Kehle, während sie die Wohnungstüre aufschloß.